Kein Weihnachtsmarkt wie jeder andere

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Der Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz: zentral gelegen am Fuße der Gedächtniskirche, inmitten von Einkaufsstraßen. Vor drei Jahren erlangte er traurige Berühmtheit – da wurde er Ziel eines Anschlags.

Es duftet nach Glühwein und nach Marzipan, nach Lebkuchen und Bratwurst. Lichterketten schaukeln sanft im Wind, eine meterhohe hölzerne Weihnachtspyramide dreht sich zu den Klängen von Klassikern wie “Jingle Bells” oder “I’m dreaming of a white Christmas”. Ein Weihnachtsmarkt, mitten in der Stadt, rund um die Gedächtniskirche. Und doch eine eigene kleine Welt aus Holzhäuschen und mehr als 50 heimeligen Hütten, in denen Kunsthandwerk angeboten wird und unendlich viele Leckereien: Maroni, griechisches Weihnachtsgebäck, Grünkohl, knusprige Kartoffelchips, Kaiserschmarrn, Böhmische Baumstriezel, Raclette oder gebrannte Mandeln.

Alles eine Idylle?

Den großen Weihnachtsbaum direkt vor der Gedächtniskirche zieren hunderte goldener und roter Kugeln, um seinen Fuß stapeln sich silbern und golden verpackte, von  energiesparenden LED-Lämpchen erleuchtete Pakete, am Mini-Riesenrad hilft ein Weihnachtsmann kleinen Kindern beim Einstieg, und zum Aufwärmen gibt es heiße Schokolade und für die Großen gerne noch einen Glühwein.

Lichterketten kaschieren Sicherheitsabsperrungen

Niemand wundert sich über die Polizisten, die patrouillieren. Oder über die Absperrungen: sandgefüllte Stahlkörbe, tonnenschweren Betonpoller, die den Weihnachtsmarkt zu den anliegenden Straßen hin abriegeln. Ist bei uns nicht viel anders, sagt eine Besucherin aus Hamburg. Und, ergänzt sie dann noch, eigentlich sei es ja schade, dass sich das Stadtbild so verändere. Aber so sei das nun mal. Ob sie weiß, dass die kostenintensive Sicherung deutscher Weihnachtsmärkte die Folge eines Attentats ist, das sich genau hier, mitten in Berlin, vor drei Jahren ereignet hat? Ja, irgendwas mit einem SUV, meint die Mittfünfzigerin. Und ihr Mann nickt.

Terror. Und die Antwort auf ihn.

Als dann der Name Anis Amri fällt, wissen die beiden sofort, was tatsächlich geschehen ist. Eine unglaubliche Tragödie. Mit einem 40 Tonnen schweren LKW ist der Islamist am 19. Dezember 2016 auf diesen Weihnachtsmarkt gerast, hat zwölf Menschen getötet und mehr als 70 zum Teil schwer verletzt.

Nach dem Anschlag wurde dann viel über Freiheit gesprochen. Und dass wir sie uns nicht nehmen lassen dürfen. Aber einen Weihnachtsmarkt ohne Sicherheitskonzept wollte niemand mehr. Hier erst recht nicht. Deshalb sei der Markt am Breitscheidplatz heute der am besten gesicherte auf der ganzen Welt, ist Martin Blume überzeugt. Er sitzt am Tresen seiner “Schlemmerkate” bei einem späten Mittagessen und erinnert sich genau an jenen Abend vor drei Jahren. Ist ja genau nebenan passiert, sagt er. Der Aufprall, das Blut, das Entsetzen!

Stilles Gedenken

Nebenan, auf den Stufen hoch zur Gedächtniskirche, liegen Blumen, Trauerlichter flackern. Immer wieder bleiben Passanten betroffen stehen, lesen die Namen der Opfer, die in die Treppenstufen eingraviert wurden, blicken nachdenklich auf deren Fotos, die Angehörige aufgestellt haben. Ein Band aus Bronze schlängelt sich aus dem Blumenmeer die Treppenstufen hinab, verliert sich in den Granitplatten des breiten Bürgersteigs. Es steht für die Menschen, die hier aus dem Leben gerissen wurden und auch für den Riss, der durch die deutsche Gesellschaft geht: hier Weltoffenheit, da Ausländerfeindlichkeit.

Weiter ja, aber anders

Irgendwie musste es dann ja weiter gehen, sagt Martin Blume. Ihm sind damals mehrere geschockte Mitarbeiter weggelaufen. Dennoch habe er nie ans Aufhören gedacht. Sein Vater hat den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor 35 Jahren mit gegründet, er selbst ist mit diesem Markt groß geworden, hat erlebt, wie er sich verändert hat, immer größer wurde. Und immer schöner, wie Blume sagt.

Längst hat er die “Schlemmerkate” von seinem Vater übernommen. An ihren drei aneinandergereihten Holzhütten leuchten die Glühlampen um die Wette, es duftet nach Glühwein mit Zimt, Nelken und Orangen, auf einem großen Grill brutzeln Würste, und Mitarbeiter mit karierten Schürzen vor dem Bauch und lustigen Zipfelmützen auf dem Kopf servieren die Spezialität des Hauses, eine Champion-Pfanne.

Beliebt bei Jung und Alt

Rund eine Million Besucher erwarten die Veranstalter des Marktes, die AG City und der Schaustellerverband Berlin, in diesem Jahr. Das Attentat hat der Popularität des Marktes keinen Abbruch getan, ja, es kämen sogar mehr Menschen als zuvor, sagt Martin Blume. Berliner, die Solidarität zeigen wollen und sich sagen, jetzt erst recht. Und Touristen aus aller Welt, die hinter den Absperrungen zwischen Budapester Straße und Tauentzien in eine andere Welt eintauchen und dort neben rustikaler Kurzweil und schönem Christbaumschmuck auch eine ganz besondere Art von Besinnlichkeit finden.