Meeting in der Muckibude

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Demografischer Wandel und Fachkräftemangel machen die Mitarbeiter zu einem wertvollem Gut, das gehegt und gepflegt werden will. Das hat so mancher Mittelständler erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeführt.

Henning Schulz hat ein neues Lieblingsthema: Täglich trifft der sportliche Kommunikationschef seine Kollegen am Elektrofahrradständer seines Arbeitgebers. Das ist der Heizungs- und Wärmepumpenhersteller Stiebel Eltron mit knapp 2.000 Mitarbeitern in Holzminden. Dann fachsimpelt Schulz mit seinen Kollegen über E-Bikes, Akkulaufzeiten und die besten Radwege.

“Das ist ein wunderbares Thema, um auch mit Leuten aus anderen Abteilungen ins Gespräch zu kommen”, Schulz weiß, wie wichtig persönliche Gespräche für den Teamgeist sind. Seit einem Jahr tummeln sich morgens zwischen acht und neun Uhr ebenso viele Mitarbeiter am Fahrradständer wie auf dem Firmenparkplatz. “Bei den Radlern herrscht eine sportlich-fröhliche Stimmung”, sagt der 48-Jährige, der seit einem Jahr Besitzer eines Firmen-E-Bike ist.

Die zehn Kilometer zur Arbeit würde er mit einem herkömmlichen Rad nicht fahren. Das wäre Stress. Dank Elektroantrieb kann er auf dem Hinweg im Schongang fahren und kommt nicht ins Schwitzen, zurück leistet er sich elektrische Antrittsunterstützung und dadurch automatisch einen Trainingseffekt. Der Clou: Das Bike hat sein Arbeitgeber für ihn geleast.

Henning Schulz steht mit seinem E-Bike am Fahrradständer mit Ladestelle der Firma Stiebel Eltron

Gesundheit der Mitarbeiter ist gut fürs Unternehmen

“Wir haben nicht mit so einem Ansturm gerechnet”, erinnert sich Christiane Schäfers, Personalchefin bei Stiebel Eltron. Seit November letzten Jahres sind 300 Leasingverträge für Fahrräder, die meisten davon mit elektrischer Tretunterstützung, abgeschlossen worden: “Das bestätigt uns in unserer Strategie, den Angestellten viele unterschiedliche Angebote für Sport und Gesundheit am Arbeitsplatz zu machen.” Zusätzlich zu dem Firmenrad-Leasing können Yoga-, Rücken- und Pilates-Kurse, Tennis-, Fußball- und Squash-Gruppen besucht werden.

Die niedersächsischen Heizungsspezialisten sind keine Ausnahme. Mittelständische Unternehmen kümmern sich aktiv um die Gesundheit ihrer Angestellten. Der demografische Wandelund Fachkräftemangelhaben hierzulande die Belegschaft eines Unternehmens zu einem sehr wertvollen Gut werden lassen. Während Konzerne seit vielen Jahren betriebliches Gesundheitsmanagement in den Arbeitsalltag integriert haben, setzen die kleineren Unternehmen erst seit einigen Jahren auf Muckibuden und Schreibtischlaufbänder.

Personalchefin Christiane Schäfers hat die Gesundheit der Mitarbeiter im Auge

Das bewegte Meeting

Schnelle Hilfe für Rücken- und Konditionsprobleme sowie Vorsorge gegen Diabetes und Bluthochdruck können Sport-Geräte wie Fahrrad-Ergometer und Laufbänder bieten – wenn sie im Betrieb zur Verfügung stehen. Einer der größten Fitnessgeräte-Spezialisten in Europa, Sport-Tiedje, erwirtschaftet mittlerweile 15 Prozent seines Umsatzes mit Firmenkunden.

“Meist fragen uns Firmenchefs, was sie für eine Grundausstattung brauchen”, so Christian Grau, Geschäftsführer bei Sport-Tiedje in Schleswig. Etwa 10.000 Euro sollten die Chefs dafür in die Hand nehmen, um einen 40 Quadratmeter großen Raum mit drei bis vier Fitnessgeräten auszustatten. “Beliebt sind Rudergeräte, Crosstrainer und Kraftstationen mit Gewichten.” Der Experte rät, vor dem Kauf die Mitarbeiter zu befragen und eine bedarfsgerechte Analyse anfertigen zu lassen. Auch eine Einweisung mit Erklärungen zu den Geräten und ein Wartungsservice sind empfehlenswert.

Ein weiterer aktueller Trend: Bewegte Meetings. Dabei werden Besprechungen an Stehtischen mit Laufbändern, so genannte Desktop Laufbänder abgehalten. “Dadurch dauern Meetings weniger lang, die Teilnehmer sind konzentrierter”, sagt Grau. Praktisch sei auch ein klappbare Schreibtischlaufband, mit dem man ohne große Anstrengung während Büroarbeit und Telefonaten 10.000 Schritte am Tag schafft.

So könnten in Zukunft Meetings in vielen Unternehmen aussehen

Aktivere Menschen sind produktiver

“Es hat sich herumgesprochen, dass Mitarbeiter, die ihre Fitness trainieren, produktiver und aktiver im Job sind”, sagt Moritz Fiebig, Geschäftsführer von Sankt Pauli Athletik in Hamburg. Die zwei Filialen des jungen Fitness- und Ernährungsberaters liegen in der Hansestadt in unmittelbarer Nähe von zahlreichen Büros im Schanzenviertel und in Bahrenfeld in der Marzipanfabrik.

“Die Firmenkundschaft ist eine wichtige Zielgruppe”, bestätigt Fiebig. Sie tragen zu einem Viertel unseres Umsatzes bei. Die Spezialität seiner Gesundheits-Coaches: Individuelle, körperliche Stärkung und gesunde Ernährung. Das ganze läuft unter dem Namen: funktionales Training. Am beliebtesten sind so genannte Crossfit-Kurse. Dabei erhält der Körper Kraft, Muskeln und Ausdauer. “Die meisten Firmenkunden kommen mit Rücken- und Knieproblemen zu uns”, berichtet Fiebig. Das sind die Folgen des Sitzens. “Wir stärken mit gezielten Übungen den unteren Rücken und mithilfe kontrollierter Kniebeugen beseitigen wir Knieschmerzen.”

Auch die psychische Gesundheit ist wichtig

Laut aktuellem AOK Gesundheitsreport sind Angestellte durchschnittlich pro Jahr 12 Tage krank. Diejenigen, bei denen psychische Gründe die Ursache der Erkrankungen sind, fehlen im Schnitt sogar 26 Tage im Jahr. “Das sind zu viele Fehltage für einen mittelständischen Betrieb”, konstatiert Erdwig Holste, Geschäftsführer der Management Angels, einem Provider für Interim Manager. Das bedeute, eine Vertretung muss organisiert werden oder Arbeit bleibt liegen. “Beides ist für kleinere Betriebe problematisch, führt zu Umsatzeinbrüchen und belastet die gesunden Kollegen.”

Fahrrad-Ergometer im Betrieb machen es möglich: Herz-Kreislauf-Training nach Feierabend

Holste hat für die Studie “Interim Leadership – Gesund und erfolgreich” gemeinsam mit der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg knapp 900 Führungskräfte nach ihrer psychischen Verfassung und körperlichen Fitness befragt. Ein Ergebnis: Gesundheit hängt eng mit Motivation und Resilienz zusammen. “Erstaunlich ist, dass Manager und deren Teammitglieder, die ihre Arbeit als sinnvoll empfinden, nur neun Tage im Jahr krank sind”, so Holste. Wer keinen Sinn in seiner Arbeit erkennt, wer sich nicht weiterentwickeln kann, fehlt 19 Tage im Jahr.

Chef auf Zeit kann Mitarbeiter auf Kurs bringen

Wie aber können Mitarbeiter und Führungskräfte, die offenbar das Ziel aus den Augen verloren haben, wieder ins Boot geholt werden? Laut Holste können sogenannte Interimer, die oftmals nur für sechs, acht oder zwölf Monate in ein Unternehmen kommen, diese Lücke schließen: “Ein Chef auf Zeit muss sein Team motivieren, braucht gesunde Mitstreiter, sonst erreicht er nichts.”

Dabei hat sich gezeigt, dass Interimer, die in ihrem Tun einen langfristigen Sinn erkennen und ihre Tätigkeit als bedeutsam erachten, laut Studie trotz starker Belastung in Projektsituationen nur selten krank werden, nämlich im Schnitt drei Tage pro Jahr. “Sie haben mit ihrem gesundheitsorientierten Führungsstil eine Vorbildrolle für alle Projektbeteiligten, indem sie Leistung und Gesundheit in Einklang bringen”, fasst Holste zusammen.  

Der nächste Schritt der Personalchefin bei Stiebel Eltron, Christiane Schäfers, ist daher, dass sie nicht mehr den Krankheitsstand ihrer Mitarbeiter messen will, sondern deren Gesundheit.