EU-Kommission: “Team Ursula” am Start

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Die neue EU-Kommission wird heute mit Verspätung vom EU-Parlament bestätigt. Dann geht die Arbeit los. Präsidentin Ursula von der Leyen will es geopolitisch, grün und günstig. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Es war kein leichter Start für das Kommissions-Team von Ursula von der Leyen: Zwei Kandidatinnen aus Frankreich und Rumänien und einen Kandidaten aus Ungarn hatte das Europäische Parlament nach Anhörungen abgelehnt. Die Regierungen mussten neue Bewerber für die oberste EU-Behörde schicken. Besonders der französische Präsident Emmanuel Macron war verärgert über die Schlappe, die er der Präsidentin der neuen EU-Kommission, der deutschen Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, persönlich anlastete.

Viel Ärger also am Anfang, der zu einer Verzögerung von vier Wochen führte. Die neue Mannschaft startete in Brüssel nicht wie geplant am 1. November, sondern wird erst am kommenden Sonntag, dem 1. Dezember, die Amtsgeschäfte aufnehmen.

Bis wenige Tage vor der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament an diesem Mittwoch gab es noch rechtliche Unsicherheiten, weil Großbritannien sich beharrlich weigert, einen Kandidaten für die neue EU-Kommission zu benennen. Zwar hatte der britische Premier Boris Johnson im Oktober eine andere Zusage gegeben, meint dann aber, wegen der Parlamentswahl am 12. Dezember auf einen Kommissar verzichten zu können. Außerdem sei der Brexit, der Ausstieg aus der EU, ja ohnehin für den 31. Januar geplant.

Von der Leyen bei der Präsentation ihrer Kandidaten für die EU-Kommission im September

Die Juristen der EU-Kommission kamen zu dem Schluss, dass Ursula von der Leyen auch mit 26 Kommissaren legal starten kann, ohne einen Briten. “Wir machen das jetzt einfach mal, denn es gibt ja kein Vorbild. Der Brexit ist für alle Neuland”, meinte dazu ein EU-Diplomat. Trotzdem hat die EU-Kommission vorsorglich ein Verfahren gegen das Vereinigte Königreich wegen Verletzung des EU-Vertrages eröffnet, das wahrscheinlich vor dem Europäischen Gerichtshof landen wird. Sollten die Briten doch noch länger in der EU bleiben, könnten sie jederzeit einen EU-Kommissar nach Brüssel schicken. Ursula von der Leyen müsste sich dann noch ein Ressort für den Mann oder die Frau aus London ausdenken.

Drei Klassen von EU-Kommissaren: 3 + 8 + 15

Für die Aufgabenverteilung in der neuen EU-Kommission hat sich das “Team Ursula”, der kleine Kreis ihrer engsten Mitarbeiter, ein komplexes Modell ausgedacht. Die Interessen der kleinen und großen, der nördlichen und östlichen, der reichen und ärmeren Mitgliedsstaaten mussten unter einen Hut gebracht werden. Ihr sei ein guter Ausgleich, der alle befriedigt, gelungen. Davon zeigte sich Ursula von der Leyen bei der Vorstellung ihres Konzepts im September überzeugt. Sie wird drei “geschäftsführende” Vizepräsidenten haben. Zu diesen zählen mit Frans Timmermans (Niederlande) und Margrethe Vestager (Dänemark) zwei gestandene EU-Politiker, die beide selbst Chef der Kommission werden wollten, also der in Europa unerfahrenen Ursula von der Leyen das Amt neiden könnten.

Im zweiten Anlauf: Ungarn setzt Oliver Varhelyi als Erweiterungskommissar durch

Außerdem wird es fünf weitere Vizepräsidenten geben, die jeweils fantasievoll betitelte Querschnittsressorts leiten werden. Der griechische Kommissar Margaritis Schinas, bisher Sprecher der EU-Kommission, wird den Bereich “Förderung der europäischen Lebensweise” leiten, zu dem Bildung, Arbeit und auch Migration gehören. Den ursprünglichen Namen des Ressorts “Schutz der europäischen Lebensweise” musste Ursula von der Leyen nach heftiger Kritik aus dem Europäischen Parlament ändern. Der Namensvorschlag sei zu “rechtspopulistisch” und irreführend, meinten Abgeordnete von der linken Seite des Parlaments.

Frans Timmermans soll sich mit einem “grünen Vertrag” für die EU beschäftigen, also Klimaschutz, Umweltschutz und Energiepolitik. Dieser Bereich wird einer der Schwerpunkte der Kommission sein. Ursula von der Leyen kündigte ein umfassendes Klimaschutzgesetz bereits 100 Tage nach ihrem Amtsantritt an.

Neuer “Außenminister” der EU wird der Spanier Josep Borrell. Er soll vor allem die militärischen Fähigkeiten der EU, die sogenannte Verteidigungsunion ausbauen. Ihm zuarbeiten werden der EU-Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaft, Oliver Varhelyi (Ungarn), und die Kommissarin für Internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen (Finnland). Varhelyi soll so schnell wie möglich dafür sorgen, dass die westlichen Balkanstaaten Beitrittsverhandlungen mit der EU aufnehmen können. Frankreich blockiert diesen Schritt im Moment zusammen mit den Niederlanden und Dänemark. Urpilainen soll die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten ausbauen, auch um die Migration nach Europa abzuschwächen.

Früher Finnlands Finanzministerin, jetzt zuständig für Afrika: Jutta Urpilainen

Vizepräsidenten und 15 normale Kommissare werden je nach Thema zu wechselnden Arbeitsgruppen und Projekten zusammengefasst. Von der Leyen schreibt in ihren Aufträgen an die 26 Kommissare, dass die Arbeitsweise ihrer europäischen Mannschaft kollegial, transparent und schnell sein soll. Die außenpolitischen Aspekte der Kommissionsarbeit sollen betont werden. “Dies wird eine geopolitische Kommission sein”, so von der Leyen.

Weiblich, aber nicht paritätisch

Ein erstes Versprechen konnte Ursula von der Leyen nicht einhalten. Die neue Kommission wird nicht nach Geschlechtern paritätisch besetzt sein. An Bord sind 12 Frauen und 15 Männer. Die Kommission ist damit dennoch die weiblichste, die es je gab. Von der Leyen ist zudem die erste Frau an der Spitze der europäischen Verwaltung.

Zur neuen Kommission wird auch der jüngste EU-Kommissar aller Zeiten gehören. Der Litauer Virginius Sinkevicius feierte gerade seinen 29. Geburtstag und war bislang Wirtschaftsminister in seiner Heimat. Sinkevicius wird für Ozeane, Fischerei und die Umwelt zuständig sein und damit einen Schwerpunkt der nächsten fünf Jahre beackern.

Von der Leyen zieht es am Wochenende vom Arbeits-und Schlafzimmer in Brüssel zu Ehemann Heiko nach Hannover

Auch Ursula von der Leyen, der man den Hang zu überlangen Arbeitstagen nachsagt, wird wohl für einen Rekord sorgen. Sie wird voraussichtlich die geringsten Übernachtungs- und Bewachungskosten aller EU-Kommissare verursachen. Wie schon als Bundesverteidigungsministerin will sie auch als Präsidentin der Kommission in ihrem Büro übernachten. Dazu steht neben ihrem Arbeitszimmer im obersten Stock des Berlaymont-Gebäudes ein 25 Quadratmeter großes Apartment zur Verfügung, in das noch schnell eine Dusche eingebaut wurde. Von der Leyens Sprecher wies darauf hin, dass dadurch die Kosten für Personenschutz drastisch gesenkt werden. Das EU-Gebäude, in dem von der Leyen dann fast ausschließlich leben wird, wird ohnehin rund um die Uhr bewacht.

Am Wochenende will von der Leyen allerdings das machen, was viele EU-Beamte machen. Sie pendelt nach Hause und zwar zu ihrem Ehemann Heiko am angestammten Wohnsitz in Burgdorf-Beinhorn bei Hannover.