Kinder reichen Menschenrechtsbeschwerde gegen Klimapolitik ein

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16 Kinder und Jugendliche aus zwölf Ländern klagen gegen die unzureichenden Klimamaßnahmen der Industrieländer. Sie haben Beschwerde beim UN-Kinderrechtsausschuss gegen fünf G-20 Länder eingereicht.

Gegen Deutschland, Argentinien, Brasilien, Frankreich und die Türkei haben 16 Kinder und Jugendliche aus zwölf verschiedenen Ländern eine Beschwerde beim Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen (UN) eingereicht. Der Vorwurf: Die fünf G-20-Länder gehören zu den größten CO2-Emittenten der Welt und seien maßgeblich am Klimawandel schuld. Alle fünf Staaten haben das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Doch ihre Maßnahmen um die globale Erhitzung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, bleiben weit unter den Empfehlungen der Wissenschaftler, so die Beschwerde. Damit verletzen die Industrie- und Schwellenländer die UN-Kinderrechtskonvention – insbesondere das Recht auf Leben (Artikel 6) und das Recht auf Gesundheit (Artikel 24).

“Wir wollten vor allem auf die Folgen des Klimawandels für Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt aufmerksam machen und zeigen, wie sie durch die Klimaemissionen von diesen Ländern beeinträchtigt werden”, erzählt Ramin Pejan, der leitende Anwalt  der Umweltorganisation Earth Justice. Unter dem Motto “Die Erde braucht einen guten Anwalt” hat die Organisation mehrere Umweltklagen in den USA gewonnen. Earth Justice ist in den USA beheimatet, arbeitet jedoch weltweit mit Umwelt- und Menschenrechts-Organisationen zusammen, um Umweltschutz in juristischen Verfahren und in der Gesetzgebung voranzutreiben. 

Das Pariser Klimaabkommen 2015 wurde gefeiert – reicht jedoch nicht aus, so die jungen Kläger

“Das Pariser Klimaabkommen bringt uns immer noch nicht dahin, wo wir hin müssen. Auch wenn die Versprechen von Paris eingelöst werden, steuern wir immer noch auf eine globale Erwärmung von drei bis vier Grad zu. Das ist viel zu viel, um katastrophale Folgen auch für die Menschenrechte zu vermeiden.”

Beschwerde vor UN-Kinderrechtsausschuss

Dass ausgerechnet diese fünf G-20-Länder Gegenstand der Kinderrechtsbeschwerde sind, hat eine einfache Erklärung: Alle fünf Länder, darunter auch Deutschland, haben das dritte Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Das Protokoll sieht die Möglichkeit einer Individualbeschwerde vor: Kinder, die sich in ihren Rechten verletzt sehen, können Beschwerde beim 18-köpfigen UN-Expertenausschuss  einreichen. Allerdings ist die Bedingung normalerweise, dass alle nationalen Instanzen bereits durchlaufen sind.

“Solche Verfahren vor nationalen Gerichten können sehr lange dauern. Das können wir uns angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise nicht leisten”, erklärt der Jurist von Earth Justice.

Bei  der Beschwerde beim UN-Kinderrechtsausschuss arbeitet Earth Justice mit der Anwaltskanzlei Hausfeld LLP zusammen, eine Kanzlei, die internationale Erfahrungen in Menschenrechtsverfahren hat.

Weltweit demonstrieren Kinder und Jugendliche für besseren Klimaschutz

Völkerrechtliches Neuland

Eine ähnliche Beschwerde hat es noch nie gegeben. Der Expertenausschuss der Vereinten Nationen nimmt normalerweise Stellung zu individuellen Beschwerden über Kinderrechtsverletzungen in einem Vertragsstaat. Typisch sind zum Beispiel Sorgerechts- und Asylverfahren bei minderjährigen Flüchtlingen in einem Land. Diesmal macht die Klägerpartei fünf Staaten gleichzeitig für Verletzungen der Kinderrechtskonvention verantwortlich.

“Ich glaube, hier betritt man auch völkerrechtlich Neuland, denn es ist eine Sammelklage, die sich gleichzeitig gegen mehrere Staaten richtet. Die Beurteilung, ob das vom Völkerrecht her angenommen werden kann, kann allein der UN-Ausschuss treffen”, sagt der Sprecher von Unicef Deutschland, Rudi Tarneden.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen ist nicht an der Beschwerde beteiligt. Unicef, so Rudi Tarneden im DW-Interview, habe lediglich eine Pressekonferenz in New York ermöglicht, damit die 16 Jugendlichen ihre Forderungen darlegen konnten:

“Wir haben gesagt, es ist ganz wichtig, dass ihr Gehör findet. Gleichzeitig ist es so, dass wir als Unicef neutral sind.”

Um die Zukunft betrogen

“Wir sind hier als Bürger und Bürgerinnen dieses Planeten, als Opfer der Umweltverschmutzung, wo seit Generationen unser Land, Luft und Meere rücksichtslos verseucht werden. Unsere Rechte als Kinder werden verletzt. Aber jetzt schlagen wir zurück!”, sagte die 14-jährige US-Amerikanerin Alexandria Villasenor am 23. September auf der Unicef-Pressekonferenz. Sie ist eine der 16 Kinder und Jugendlichen aus 12 verschiedenen Ländern, die mit Hilfe von Earth Justice und Hausfeld LLP die Beschwerde eingereicht hat. Eine andere ist die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, auch ein 15-jähriges Mädchen aus Hamburg ist dabei, ebenso Kinder und Jugendliche aus Frankreich, Tunesien, Indien, Palau, Argentinien, Marshall Inseln, Nigeria, Südafrika und Brasilien. Wie lange es allerdings dauern wird, bis  die Beschwerde im UN-Kinderrechtsausschuss behandelt wird, ist noch ungewiss.

Fünf der jungen Kläger: Deborah Adegbile, Nigeria, Catarina Lorenzo, Brasilien, Ridhima Pandey, Indien, Iris Duquesne, Frankreich und Raina Ivanova, Deutschland

Die erste Hürde ist die Zulassung der Beschwerde. Laut Homepage des Gremiums warten aktuell noch 80 Beschwerden auf Stellungnahme der unabhängigen Kinderrechtsexperten des UN-Ausschusses. Sie werden der Reihe nach im Ausschuss behandelt.

Unverbindliche Empfehlung

Sollte die Beschwerde zugelassen werden, käme erst danach das eigentliche Verfahren. Nach Behandlung im UN-Kinderrechtsausschuss würde den fünf Regierungen eine Stellungnahme der Experten  überreicht. Anschließend haben die Regierungen die Möglichkeit zu antworten Am Ende des Verfahrens steht dann eine Empfehlung des UN-Kinderrechtsausschusses. Rechtlich verpflichtend ist die Empfehlung nicht, sie könnte jedoch weltweit Wirkung zeigen, meint Earth-Justice-Anwalt Ramin Pejan: “Ich glaube, dass die Entscheidung globale Auswirkungen haben könnte und nicht nur in den Staaten, die Gegenstand der Beschwerde sind. Es wird eine starke Entscheidung sein, und wir haben uns entschlossen, das Verfahren zu machen, weil wir die globale Bedeutung sehen.”

Doch wie schätzt er die Chancen für Erfolg ein?

“Wir hätten die Beschwerde nicht eingereicht, wenn wir nicht die Ansicht wären, dass die Argumente unserer Beschwerdeführer sehr stark sind”, sagt Ramin Pejan. “Es ist keine leichte Sache für den Ausschuss, aber wir glauben, dass es eine Sache ist, die der Ausschuss aufnehmen muss.”