EURO 2020: Die “verbotenen Spiele” der UEFA

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Eigentlich predigt die UEFA, dass Fußball und Politik getrennt bleiben müssen. Doch in einigen Fällen macht der europäische Verband selbst eine Ausnahme. Das könnte auch Folgen für die Europameisterschaft 2020 haben.

“Ich habe mich gestern mal ein wenig mit dem Modus beschäftigt”, sagte Bundestrainer Joachim Löw auf die Frage nach der Auslosung zur Fußball-Europameisterschaft am 30. November in Bukarest und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: “Mit der Unterstützung von zwei, drei Leuten habe ich es dann auch verstanden.”

In der Tat gestaltet sich die EM-Auslosung extrem kompliziert. Das liegt zum einen an der hohen Zahl von Gastgebern, von denen maximal je zwei in derselben Vorrundengruppe spielen dürfen. Sieben der zwölf Gastgeber sind bereits für die erste pan-europäische EM qualifiziert. Weitere vier hoffen auf eines der vier noch offenen EM-Tickets, die erst im März 2020 über die Playoffs der Nations League ausgespielt werden. Lediglich Aserbaidschan (EM-Spielort Baku) ist definitiv nicht bei dem Turnier dabei. 

Wenn sich der Kosovo qualifiziert …

Und dann wird die Auslosung auch noch dadurch verkompliziert, dass die Europäische Fußball-Union (UEFA) einige politisch heikle Spiele auf den Index gesetzt und für die Vorrunde ausgeschlossen hat. So dürfen die qualifizierten Teams aus der Ukraine und Russland wegen des seit 2014 andauernden bewaffneten Konflikts beider Staaten in der Gruppenphase nicht einander zugelost werden. Weitere mögliche “verbotene Spiele” könnten sich nach den Nations-League-Playoffs ergeben, sollten sich der Kosovo, Serbien oder Bosnien-Herzegowina noch für die Endrunde qualifizieren.

Sechs, so die UEFA wörtlich, “prohibited team clashes” (verbotenes Aufeinanderprallen von Teams) stehen derzeit auf der “Schwarzen Liste” und sollen bei allen europäischen Klub- und Nationen-Wettbewerben verhindert werden: Ukraine gegen Russland (seit 2014), Kosovo gegen Serbien (seit 2016), Kosovo gegen Bosnien-Herzegowina (seit 2016), Kosovo gegen Russland (seit 2019), Armenien gegen Aserbaidschan (seit 2010) und Spanien gegen Gibraltar (seit 2013). Über die Verbotsliste entscheidet die UEFA-Exekutive – oder, wenn es schnell gehen muss, das “Emergency Panel”, ein fünfköpfiger Notfall-Ausschuss, an dessen Spitze der UEFA-Präsident steht.

Wettbewerbsverzerrung oder Sicherheit zuerst?

Kritiker sprechen von Wettbewerbsverzerrung und werfen der UEFA vor, sie selbst verstoße gegen die von ihr fast gebetsmühlenartig wiederholte Forderung, die Politik aus dem Fußball herauszuhalten. “Für die UEFA ist es von größter Bedeutung, dass die Sicherheit von Fans, Spielern und allen relevanten Akteuren bei allen UEFA-Wettbewerben gewährleistet ist”, verteidigt der Verband gegenüber der DW seine Strategie. “Auch wenn die UEFA darauf besteht, das Sport und Politik getrennt bleiben sollen, müssen Vereine und Nationalmannschaften bestimmter Nationalverbände gelegentlich bis auf Weiteres voneinander getrennt werden, da die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.”

Der fußballerische Erfolg des Kosovo begeistert die Fans, könnte die UEFA aber vor organisatorische Probleme Stellen

Dabei sei eine “gehörige Portion Pragmatismus” mit im Spiel, meint Professor Jürgen Mittag gegenüber der DW. Der Wissenschaftler leitet an der Deutschen Sporthochschule in Köln das Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. “Die UEFA ist ebenso wie die FIFA oder das IOC bemüht, eine zu starke Einflussnahme von politischer Seite auf Sport-Großereignisse zu unterbinden”, sagt Mittag. “Auf der anderen Seite weiß sie sehr genau, auch wenn sie es rhetorisch manchmal anders im Munde führt, dass der Fußball angesichts seiner Bedeutung gar nicht unpolitisch sein kann. Die UEFA versucht, diese beiden Tendenzen auszubalancieren.”

“Maxime ist Pragmatismus”

Ein UEFA-Vertreter nannte vor fünf Jahren – damals wurde intensiv darüber diskutiert, ob auch das Duell Serbien gegen Albanien auf die Liste der verbotenen Spiele gehöre – drei Kriterien, nach denen der europäische Verband entscheide: Haben die beiden Ländern normale diplomatische Beziehungen? Gibt es einen bewaffneten Konflikt? Und hat einer der beiden Verbände einen Antrag gestellt, nicht mehr gegen das andere Land spielen zu müssen?

Mehr als eine grobe Richtschnur sei das nicht, sagt Professor Mittag: “Die Maxime ist Pragmatismus. Man versucht dort, wo man besonders große Gefahren sieht, mehr oder weniger sensibel Einfluss zu nehmen, um größere Konflikte zu unterbinden. Ob das immer von Erfolg gekrönt ist, ist eine andere Frage.”

Komplexere Zeiten

Zur Zeit des Kalten Kriegs, so Mittag, sei die UEFA durchaus “so etwas wie ein Brückenbauer” gewesen. Damals seien Fußballduelle zwischen Mannschaften aus den beiden ideologisch verfeindeten Blöcken an der Tagesordnung gewesen, man habe auch in den UEFA-Gremien zusammengearbeitet.

Sportlicher Wettbewerb trotz unterschiedlicher Ideologien: BRD gegen DDR bei der WM 1974

Doch seitdem seien die Verhältnisse deutlich komplexer geworden: “Heute gibt es viel mehr Akteure. Man denke nur an das Spiel Bulgarien gegen England [Beim 6:0-Sieg der Engländer im EM-Qualifikationsspiel in Sofia Mitte Oktober wurde die Partie mehrfach unterbrochen, weil englische Spieler von Zuschauern rassistisch beleidigt worden waren – Anm. d. Red.]. Da gibt es die Fans, die Verbände, den medialen Druck. Das sind weitaus kompliziertere Spannungsgeflechte als früher, die es auch für die UEFA schwieriger machen, eine klare Linie durchzuziehen: Was lasse ich zu, was nicht?” Der Fußball könne nicht nur – wie im Kalten Krieg – Brückenbauer sein, “er kann auch Spannung verstärken”, sagt Jürgen Mittag. “Da muss die UEFA sehr genau und sensibel hinschauen.”

Der europäische Verband weist gegenüber der DW ausdrücklich darauf hin, dass die “Schwarze Liste” nicht in Stein gemeißelt sei. So habe die UEFA 2014 die zwischenzeitlich verbotenen Duelle von Mannschaften aus Russland und Georgien wieder zugelassen, nachdem sich die Beziehungen beider Länder normalisiert hätten.

Nur bedingt durchsetzbar

Dass die UEFA bei der EM 2020 die “verbotenen Spiele” nur für die Gruppenphase ausschließt, hat seinen Grund. So ganz durchziehen lässt sich die Regelung bei einem Turnier mit K.o.-Phase nämlich unter Umständen nicht. Das zeigte sich in der Europa-League-Saison 2014/15, als zwei ukrainische Vereine (Dnjepr Dnjepropetrowsk, Dynamo Kiew) und ein russisches Team (Zenit St. Petersburg) im Viertelfinale standen.

Hätten alle drei das Halbfinale erreicht, wäre nicht gelost worden: Die beiden ukrainischen Mannschaften hätten gegeneinander gespielt, St. Petersburg gegen das einzige im Wettbewerb verbliebene nicht-ukrainische Team. Im Finale hätte es dann aber doch ein russisch-ukrainisches Duell geben können, Liste hin oder her. So weit kam es damals nicht. St. Petersburg und Kiew scheiterten im Viertelfinale. Manchmal lösen sich politisch bedingte Probleme eben auch auf sportliche Art. Vielleicht ja auch bei der EURO 2020.