Chagos-Inseln: Streit um die letzte Kolonie in Afrika

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Ein Stück Großbritannien liegt zwischen Madagaskar, Sri Lanka und Indonesien: Die Chagos-Inseln sind bis heute britische Kolonie, ihre Bewohner wurden umgesiedelt. Die UN fordern, die Inseln zurückzugeben – bis Freitag.

Der Ärger in seiner Stimme ist kaum zu überhören: Olivier Bancoult vermisst den guten Willen der britischen Regierung – zu lange zieht sich der Streit um die Chagos-Inseln im Indischen Ozean schon hin. „Wir machen weiterhin Druck. Wir werden gegen den mangelnden Respekt der Briten gegenüber der UN-Resolution demonstrieren”, sagt er. Bancoult wurder als kleiner Junge zwangsumgesiedelt. Als Anwalt kämpft er seit Jahren dafür, dass die einstigen Inselbewohner und ihre Nachfahren zurückkehren dürfen. Er lebt in Mauritius – der Insel vor Afrikas Ostküste, zu der seine Heimat laut den Vereinten Nationen gehört. 

“Wir geben nicht auf”, sagt Bancoult im Ton der Überzeugung. Für Freitag hat er eine Demonstration der ehemaligen Inselbewohner vor dem britischen Generalkonsulat in Mauritius organisiert: “Wir wollen der Welt zeigen, was Großbritannien uns angetan hat”, sagt er.

“Wir dürfen nicht in unserer Heimat leben”

Die britischen Kolonialherren entließen Mauritius 1968 in die Unabhängigkeit, die Chagos-Inseln hatten sie zuvor administrativ abgespalten und behielten sie unter ihrer Kontrolle. Zwischen 1968 und 1973 ließen sie fast 2000 Bewohner des Archipels nach Mauritius, auf die Seychellen und nach Großbritannien zwangsumsiedeln, um eine Militärbasis auf der Hauptinsel Diego Garcia einzurichten. Die Basis hat London an die USA noch bis 2036 verpachtet. Von dort starteten Kampfjets zu Einsätzen nach Afghanistan und in den Irak.

“Wir lebten in Frieden und Harmonie, bis Großbritannien eine der größten Inseln für diesen Stützpunkt hergab. Seither leiden wir darunter, dass wir nicht in unserer Heimat leben dürfen”, sagt Bancoult im DW-Interview. “Wir machen uns stark für das Ende der illegalen Besatzung durch Großbritannien.” Im Februar entschied der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass der Archipel völkerrechtlich zu Mauritius gehöre. Großbritannien habe die Inseln unrechtmäßig von seiner damaligen Kolonie Mauritius abgespalten und müsse sie zurückgeben.

Strategisch bedeutsamer Archipel im Indischen Ozean

Die britische Regierung wies das Gutachten des Gerichts zurück. „Wir haben keine Zweifel an unserer Staatshoheit über den Chagos-Archipel”, schreibt Alan Duncan, damaliger Staatssekretär im britischen Außenministerium, in einer Stellungnahme. Großbritannien habe sich aber verpflichtet, die Gebietshoheit langfristig an Mauritius zu übergeben, wenn das Gebiet nicht länger für Verteidigungszwecke benötigt werde. „Dazu stehen wir”, heißt es in der Stellungnahme.

Auch die UN-Vollversammlung forderte Großbritannien im Mai auf, die Kontrolle über die Chagos-Inseln an Mauritius abzugeben. Am Freitag endet die Frist. Aber völkerrechtlich ist die Resolution nicht bindend. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Großbritannien der Forderung nachkommt.

Ehemalige Chagos-Inselbewohner und ihre Nachfahren bei Protesten in Großbritannien (Archivbild)

Gerade die strategische Bedeutung und militärische Nutzung des Archipels macht eine Lösung schwierig. Sicherlich werde es zwischen den USA, Großbritannien und Mauritius noch Gespräche geben, sagt der britische Jurist Philippe Sands, der die Regierung von Mauritius beim Thema Chagos-Inseln berät. “Aber Mauritius hat signalisiert, dass der Militärstützpunkt bleiben könnte”, sagt Sands im DW-Interview.

Festhalten an der letzten Kolonie in Afrika

Er glaubt, das zögerliche Verhalten der Regierung Großbritanniens habe mit ihrer Position in einer neuen Weltlage zu tun: “Großbritannien ist eine stark eingeschränkte politische Macht. Sie hat eine Reihe von UN-Resolutionen verloren und ich glaube, sie braucht noch Zeit, das einzusehen. Aber sie werden am Ende die UN-Entscheidung annehmen”, ist Sands überzeugt. “Es ist keine Frage ob, sondern wann.”

Laut Sands zahlt die britische Regierung gerade insgesamt einen hohen Preis für politische Verluste: “Sie ist gerade im Prozess, die Europäische Union zu verlassen, sie muss neue Handelsabkommen zimmern und neue politische Vereinbarungen mit vielen Ländern treffen. Die Regierung steckt in echten Schwierigkeiten. Daher will sie noch an ihrer letzten Kolonie in Afrika festhalten”, sagt Sands. “Es ist ein Land, das mit dem Ende des kolonialen Reiches klarkommen muss. Das braucht Zeit.” Für ihn komme es einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich, sollte sich die Regierung auch nach dem 22. November weiterhin querstellen und den Menschen eine Rückkehr in ihre Heimat verweigern. “Sie können dem internationalen Recht nicht für immer im Wege stehen.”

Vertriebene der Chagos-Inseln feiern die Einschätzung des Internationalen Gerichtshofs, nach der Großbritannien die Insel an Mauritius abtreten soll

Hoffen auf Neuwahlen in Großbritannien

Die UN-Organisationen seien laut Sands schon dabei, das Kartenmaterial zu überarbeiten und die Chagos-Inseln als Teil von Mauritius darzustellen. Und nur Mauritius könne dann über die Fischerei- und Überflugrechte verfügen – für Großbritannien ein dramatischer Einschnitt. Sands wie auch Bancoult hoffen auf die angekündigten Neuwahlen in Großbritannien – und auf einen Regierungswechsel: “Die Labour-Partei hat zugesagt, die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag anzuerkennen”, sagt Sands. Und auch Bancoult zählt auf die Labour Party und deren Vorsitzenden: “Wenn die neue Regierung von Jeremy Corbyn geleitet würde, wäre viel gewonnen. Er unterstützt uns jetzt schon und hat versprochen, die UN-Entscheidung zu respektieren.” Die nächste Britische Unterhauswahl findet voraussichtlich am 12. Dezember statt.

Auch seine Mitstreiter hoffen auf einen Wechsel in der britischen Regierung und eine nahende Rückkehr auf ihre Heimatinseln. Laut Bancoult leben noch 596 Einheimische  aus der ersten Generation. Mit ihren Nachfahren zählt er 9800 Menschen, die sich als rechtmäßige Chagos-Insel-Bewohner sehen. Er findet es hart, fernab der Heimat alt zu werden. So wie viele seiner Generation: “Die meisten wollen in an ihrem Geburtsort sterben.”