Nord Stream 2: Der ewige Zankapfel

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Mittlerweile hat der Bundestag die letzte Hürde für die Fertigstellung der Ostseepipeline aus dem Weg geräumt. Doch Nord Stream 2 bleibt ein Politikum, in dem Deutschland zwischen die Fronten geraten ist.

Nord Stream 2 ist viel mehr als eine Gasleitung. Denn an ihr scheiden sich wichtige strategische Interessen. Auf der einen Seite stehen Russland als Gaslieferant und Deutschland sowie andere europäische Länder als Abnehmer. Der Bundesregierung geht es vor allem um Versorgungssicherheit. Die ist besonders gefährdet, weil Deutschland als wohl einziges Land der Welt fast gleichzeitig sowohl aus der Kernkraft als auch aus der Kohle aussteigen will. Bevor sich Deutschland ganz auf erneuerbare Energien verlassen kann, wird Erdgas eine entscheidende Übergangslösung sein, wahrscheinlich noch Jahrzehnte. Doch auch andere europäische Länder werden von Nord Stream 2 profitieren.

Auf der anderen Seite stehen die bisherigen Transitländer, allen voran die Ukraine, aber auch Polen und die baltischen Staaten. Ihnen entgehen in Zukunft Einnahmen. Zusätzlich befürchten gerade diese Länder in der östlichen Hälfte Europas, dass sich Russland und Deutschland auf ihre Kosten einigen. Dies sind nicht nur wirtschaftliche Sorgen, sondern auch tiefe sicherheitspolitische Ängste, die bis zu den Zeiten des Hitler-Stalin-Paktes vor 80 Jahren zurückreichen.

Russland als zuverlässiger Lieferant

Die USA unter Präsident Trump schlagen in dieselbe Kerbe. Trump sagt, Deutschland könne durch Nord Stream 2 zur “Geisel Russlands” werden. Er meint offenbar eine mögliche Blockade in einem Krisenfall und hat sogar mit Sanktionen für europäische Firmen gedroht, die sich an Nord Stream 2 beteiligen. Allerdings hat sich Moskau selbst in den Zeiten des Kalten Krieges als absolut zuverlässiger Energielieferant erwiesen.

Das bestätigt Josef Auer von DB Research, der Denkfabrik der Deutschen Bank. Im Prinzip seien Befürchtungen, Russland könnte Europa den Gashahn abdrehen, auf den ersten Blick gerechtfertigt. “Auf den zweiten Blick aber nicht. Denn Russland liefert schon seit 46 Jahren Erdgas nach Europa, insbesondere nach Deutschland, und es hat noch nie den Gashahn zugedreht”, sagt Auer gegenüber DW. Umgekehrt werde ein Schuh daraus. Russland habe momentan politische Probleme und unterliege bestimmten Sanktionen. “Und von daher ist das Land an stabilen Exporteinnahmen interessiert. Unter dem Strich würde Russland nicht gewinnen, sondern verlieren, sollte man die Gaslieferungen stoppen.”

Hinter den amerikanischen Bedenken stehen denn auch vor allem eigene Wirtschaftsinteressen. Die USA wollen Flüssiggas an Deutschland verkaufen. Das ist allerdings deutlich teurer als russisches Erdgas. Das mache es für Amerika sehr schwierig, hier das Gas zu verkaufen, sagt Auer. “Von daher kann man sich ja auch vorstellen, dass ein Motiv hinter der US-Politik ist, das Angebot zu verknappen, indem Russland eben nicht mehr liefert. Dann würden die Preise nach oben gehen und das verflüssigte Erdgas aus Amerika hätte hier in Europa bessere Chancen.”

Trotzdem will Deutschland Terminals für Flüssiggas in einigen Hafenstädten bauen. Nicht nur die USA, auch andere, eventuell billigere Anbieterländer könnten so ihr Flüssiggas nach Deutschland verkaufen. Damit und mit Nord Stream 2 zusätzlich zu den bestehenden Gasleitungen könnte Deutschland in Zukunft sehr flexibel auf Veränderungen auf dem weltweiten Gasmarkt und mögliche Krisensituationen reagieren und würde so die Versorgungssicherheit erhöhen.

Vorbereitung der Rohre auf einem Verlegeschiff

Die Sicht Washingtons       

Die USA sind geschlossen gegen die Nord Stream 2-Pipeline. Das war schon Anfang des Jahres in einem Gastbeitrag dreier US-Botschafter auf dw.com zu lesen: Darin heißt es: “Nord Stream 2 würde die Anfälligkeit Europas für russische Erpressungen im Energiebereich weiter erhöhen.” In das gleiche Horn stößt auch US-Präsident Donald Trump, wenn er sagt, dass sich Deutschland damit zur “Geisel Russlands” mache. Fest steht aber auch: Washington investiert viel Geld in eine LNG- (liquefied natural gas – verflüssigtes Erdgas) Infrastruktur und möchte, dass Deutschland Energie-Ressourcen von den USA, und nicht über die Pipeline aus Russland bezieht.

Die Vorlage des “Gesetzes zum Schutz von Europas Energiesicherheit”, die Sanktionen für am Bau der Pipeline beteiligter Firmen vorsieht, betont im Titel die “freundliche Sorge” der US-Amerikaner. Am 31. Juli wurde der Gesetzesentwurf im Senatsausschuss für Außenpolitik verabschiedet. Die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen, die den Gesetzesentwurf gemeinsam mit dem Republikaner Ted Cruz vorangebracht hat, erklärt ihre Ablehnung von Nord Stream 2 so: Das Projekt sei nur ein weiteres Mittel, “mit dem Russland seinen bösartigen Einfluss ausdehnen kann, indem es Europas Energieabhängigkeit ausnutzt.” Sanktionen würden sich gegen alle Firmen richten, die mit speziellen Schiffen Rohre in Tiefen von ca. 30 Metern für russische Gas-Exporteure verlegen.

Seit einem Vierteljahr liegt der Gesetzesentwurf nun praktisch “auf Halde” und es könnte noch dauern, bis er beide Häuser des US-Kongresses passiert. Aber die Abgeordneten könnten zu einem Trick greifen und ihren Entwurf an einen größeren anhängen. Wenn der Sanktionsvorschlag beispielsweise an das Gesetz über den US-Militärhaushalt gekoppelt würde, könnte er noch vor Weihnachten verabschiedet werden.

Verlegung einer Anschluss-Pipeline an Land in Mecklenburg-Vorpommern

Thomas J. Pyle, Präsident des Think Tanks Institute for Energy Research, hält es allerdings für unwahrscheinlich, dass die Sanktionen dieses Jahr noch verabschiedet werden. “Mit der aktuellen innenpolitischen Situation – die Demokraten im Repräsentantenhaus sind voll und ganz mit dem Impeachment beschäftigt – ist es schwer vorstellbar, dass der Gesetzesentwurf in der nahen Zukunft durchkommt”, sagte Pyle der DW. Das bedeute aber nicht, dass Nord Stream 2 problemlos starten könne. “Nur weil der Kongress keine Sanktionen verabschiedet, bedeutet das nicht, dass die Pipeline fertiggestellt werden wird”, sagte Pyle. “Ich habe keine Kristallkugel, aber es ist ein sehr kontroverses Projekt.”

Die Sicht Moskaus

Im Kreml sieht man die möglichen US-Sanktionen entspannt. “Jetzt, wo fast alles schon fertig gebaut ist, Sanktionen zu erheben – das wäre einfach eine Dummheit”, erklärt Sergei Pikin, der Leiter des Energieentwicklungsfonds. “Ich denke nicht, dass Sanktionen jetzt noch eine Auswirkung haben können.” Denn der Großteil der Leitung ist schon fertiggestellt, man sei jetzt auf der “Zielgeraden”, so Pikin im Gespräch mit der DW.

Statt sich über die Machenschaften in Washington Gedanken zu machen, schaut Moskau besorgt Richtung Brüssel. Denn eine neue Gasrichtlinie der EU-Kommission, die im Mai in Kraft getreten ist, könnte die Betreiber der Pipeline hart treffen. Die Regelung sieht eine sogenannte “Entflechtung” vor: Das gleiche Unternehmen darf demnach nicht eine Pipeline betreiben und auch noch das Gas dafür produzieren. Außerdem darf Gazprom möglicherweise unter den neuen Regelungen die Kapazitäten der Pipeline nur zur Hälfte ausnutzen, um anderen Wettbewerbern auch Zugang zu gewähren. 

Vor einigen Tagen, am 11.November, schlug die Nord Stream 2 AG zurück. Sie hat gegen die EU-Kommission geklagt. Die Firma sieht die neuen Regeln als diskriminierend an. Laut dem Energieexperten Sergei Pikin seien die EU-Regelungen eine viel größere Bedrohung für das Projekt als die US-Sanktionen. “Das bedroht die Kostendeckung des Projektes. Beim Bau wurden die Kosten mit Zahlen abgeglichen, die jetzt nicht mehr stimmen könnten. Wenn nur halb soviel Gas durch die Pipeline fließen darf, wie gedacht, dauert es doppelt so lange, bis die Investitionen sich rentieren.”

Die Sicht unseres Karikaturisten Sergey Elkin

Geht die Ukraine leer aus?

Mit Nord Stream 2 will Russland die Ukraine umgehen. Seit der Ukrainekrise und der Annektierung der Krim sind die beiden Länder verfeindet. Russland würde dadurch Milliardensummen an Transitgebühren an die Ukraine sparen. Zum 31. Dezember läuft der Vertag zum Transit zwischen den beiden Ländern aus. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hat zwar bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin letztes Jahr gefordert, dass die Ukraine auch weiterhin bei dem Transit von russischem Gas in Richtung Europa eine Rolle spielt, doch laut dem russischen Energieexperten Pikin ist es “unvermeidbar”, dass Gazprom den Transit durch das Land herunterschraubt, sobald Nord Stream 2 in Betrieb genommen wird. “Da gibt es keine Zweifel. Die Frage ist nur, wie schnell das passiert.”

Trotz der politischen Herausforderungen, vor denen Nord Stream 2 in den vergangenen Jahren immer wieder stand, ist der Experte sicher, dass die wirtschaftlichen Interessen unterm Strich wichtiger sind. “Wenn das Interesse [an dem Bau der Pipeline] nicht so groß wäre, wäre er schon längst eingestellt worden. Wenn man die Politik hier raushält, ist alles sehr einfach”, sagt Pikin. Auch im Kreml scheint man das so zu sehen.

Im Oktober bekam der Bau des dänischen Abschnittes der Pipeline endlich auch die über anderthalb Jahre lang erwartete Zustimmung aus Dänemark. Putins Sprecher Dmitrij Peskow erklärte daraufhin im russischen Staatsfernsehen, man habe auf den Schritt “lange gewartet” aber er sei “nicht lebensnotwendig. Das Projekt hätte es auch ohne die Zustimmung gegeben”, weil Nord Stream 2 für die Energiesicherheit europäischer Länder wichtig sei, gab der Sprecher die Sicht des Kreml wieder.

Trotz der neuen EU-Richtlinien sind Experten im Moskau sicher, dass pragmatische und nicht politische Faktoren letzten Endes die Nutzung der Pipeline bestimmen werden. “Wie immer wird es so sein, dass der Winter entscheidet”, so Pikin gegenüber der DW.

Am Ende fehlen derzeit noch knapp 290 der insgesamt 1230 Kilometer langen Röhre. Mit dem Ja Berlins zur Umsetzung der EU-Gasrichtlinie und dem Okay aus Kopenhagen läuft der Lückenschluss nun auf Hochtouren. Schon bald also dürfte russisches Gas über die zweite Unterwasser-Leitung durch die Ostsee nach Europa fließen. Abzuwarten ist, wie es politisch weitergeht. Spannend bleibt es allemal.