Chilly Gonzales: “Der Respekt anderer Musiker ist mir am wichtigsten”

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Erstmals wird in Berlin der International Music Award verliehen. Mit in der Jury: der Pianist und Entertainer Chilly Gonzales. Mit der DW sprach er über den Sinn von Preisen und seine Gonzervatory-Akademie.

Der International Music Award (IMA) ist in gewisser Weise der Nachfolger des Musikpreises Echo, der in Deutschland von 1992 bis 2018 nach Verkaufszahlen verliehennach Verkaufszahlen verliehen  wurde. Im letzten Jahr verabschiedete sich der Echo in der Folge des Antisemitismus-Skandals um Kollegah und Farid Bang mit einem großen Knall. Der IMA will nun die Verkaufszahlen hinter sich lassen und die Preise nach neuen kreativen Kategorien verteilen. Außer 26 internationalen Künstlern sind auch Journalisten stimmberechtigt und entscheiden über die verschiedenen Preiskategorien des IMA. Neben den Sounds von heute und morgen soll es beim IMA auch um Innovation, Engagement und Haltung gehen.

Chilly Gonzales hat seine Karriere in Kanada, Frankreich und Deutschland aufgebaut und kennt das Musikbusiness von allen Seiten: Er betreibt sein eigenes Label, hat mit Musikern wie Feist, Daft Punk und Drake zusammengearbeitet und zahlreiche Songs und Alben koproduziert. 2018 hat Gonzales einen eigenen Musik-Workshop initiiert. Die DW sprach mit ihm über diesen Gonzervatory und den neu ins Leben gerufenen IMA.

DW: Herr Gonzales, wie wichtig oder unwichtig sind Musikpreise Ihrer Ansicht nach?

Chilly Gonzales: Wenn man Preise gewinnt, sind sie ganz toll, und sie sind ein Zeichen, dass man eine Wirkung in der Welt hinterlässt. Sie sind wie eine konzentrierte Version des Gefühls, das man hat, wenn man eine gute Kritik über sich liest. Ich wünsche mir vermutlich insgeheim, öfter für Preise nominiert zu werden oder welche zu gewinnen, aber das passiert sehr selten. Ich habe keine Ahnung, warum. Es scheint Spaß zu machen, zu diesen Verleihungen zu gehen, weil es so ist, als würde man in einen Club erfolgreicher Musiker eingeführt. 

Die Weitergabe seiner Erfahrungen an junge Musiker ist Gonzales ein wichtiges Anliegen

Die Messlatte des Musikpreises Echo waren Verkäufe, beim IMA soll es jetzt um Qualität gehen…

Nun ja, Qualität ist subjektiv, danach kann man nicht gehen, sondern nach einem Konsens innerhalb der Musikindustrie, so wie bei den Grammys auch. Man kann so einen Preis entweder nach guten Kritiken, nach Verkäufen oder eben über eine Einigung verleihen. Die Verkäufe werden dabei sicher auch nicht ganz außer Acht gelassen. Aber zumindest verleihst du den Preis nicht mehr einfach an diejenigen, die am meisten verkauft haben, und das sind dann plötzlich Antisemiten, und du kriegst Ärger und musst dein ganzes System ändern. Es hat eine seltsame Anmutung, wenn du nur nach Sales gehst.

Sie haben ja schon hin und wieder etwas gewonnen – unter anderem den Grammy für die Zusammenarbeit mit Daft Punk auf dem Album “Random Access Memories”. Inwieweit hat das Ihre Karriere beeinflusst?

Ich habe keinen Preis gewonnen. Daft Punk haben ihn gewonnen und ich war ein Teil davon. Ich betrachte ihn ganz und gar nicht als meinen Preis, denn Daft Punk hätten ihn mit oder ohne mich bekommen. Ich sehe Preise nur dann als meine eigenen an, wenn ich sie in meinem Namen, für meine Alben oder meine Konzerte bekomme. 2011 war ich mit “Ivory Tower” für einen kanadischen Grammy, den Juno, nominiert – in der Kategorie “Bestes Elektronisches Album”. Dieses Jahr war ich für den Preis für Popkultur in Deutschland nominiert und werde Ehrenmitglied am Royal Conservatory of Music in Toronto. 

Aber meine Piano-Alben waren nie für irgendeinen Preis nominiert – weder in Kanada, noch in England, Deutschland oder Frankreich. Das war immer ein bisschen enttäuschend für mich. Aber man kommt schnell darüber hinweg. Es ist ja nicht überlebenswichtig. Wenn du einen Preis nicht bekommst, dann lässt du dich davon nicht herunterziehen, sondern schnappst dir die negative Energie und machst daraus etwas Positives.

Gonzales ist studierter Musiker, seine eigentliche Lehrzeit begann aber später auf der Bühne

Welche Anerkennung ist Ihnen selbst am wichtigsten?

Der Respekt anderer Musiker.

Das Leben als professioneller Musiker ist hart. Was kann jungen Musikern heutzutage helfen, am Ball zu bleiben?

Wenn sie gerne live auftreten, sollten sie ihre Energie darauf konzentrieren. Das “Gonzervatory” basiert genau aus diesem Grund auf Performance. Es bringt Menschen näher an den spirituellen Sinn von Musik – nämlich die Darbietung. Und pragmatisch betrachtet gibt es ihnen die Werkzeuge an die Hand, Geld zu verdienen und eine Karriere zu haben. Ausverkaufte Konzerte sind der Grund, warum ich ein eigenes Label betreibe, volle kreative Kontrolle habe und mir ein Team aus mehr als zwei Leuten leisten kann. Dadurch habe ich die finanzielle Unabhängigkeit, das zu tun, was ich möchte. Ich kann wählerisch sein und die Projekte ablehnen, die ich nicht gerne mache. Ich kann mich auf das konzentrieren, was ich am liebsten mache, für das mich die Fans mögen und was zufälligerweise auch noch das ist, was am besten bezahlt ist: Live-Konzerte. 

Ihre Anfänge fielen in die Zeit, als es mit dem Home Recording losging. Wenn Sie jetzt ein junger Musiker wären, würden Sie sich mehr als damals auf das Live-Spielen konzentrieren und weniger im Schlafzimmer aufnehmen? 

Ich würde sagen: Nimm weiter zu Hause auf, aber wenn du aufnimmst oder Stücke schreibst, denk darüber nach, wie du sie live aufführen wirst. Versetz dich selbst in die Situation auf der Konzertbühne. So wird das Stück kommunikativer. Wenn du nämlich mental schon auf der Bühne stehst, änderst du die Komposition und das Feeling des Stücks, denn du hast ein Publikum in deinem Kopf.  Und beim echten Konzert gibt es dann eine Harmonie zwischen der Studiofassung und der Live-Version, das hat eine gewisse Kraft.

Live-Performance im Gonzervatory

Wenn du aber in deinem Schlafzimmer sitzt und denkst, du hast beim Aufnehmen totale Freiheit, dann machst du dir keinen echten Druck. Dann kannst du in die Perfektionismus-Falle tappen, oder du komponierst mit dem falschen Publikum im Kopf. Das kann später zu Problemen führen. Ich will nicht ständig mein Gonzervatory über dieses Interview stülpen, aber deshalb setze ich meine Schüler direkt unter Druck. Deshalb spielen sie die Stücke sofort live – zehn Minuten, nachdem sie sie komponiert haben. So will ich die die Grenze zwischen der Illusion von völliger Freiheit beim Komponieren einerseits und der Illusion des Kontrollverlusts auf der Bühne andererseits aufheben.

Wie geht es mit dem Gonzervatory weiter?

Ich will es wachsen lassen, aber ich weiß noch nicht genau, wie. Ich habe ja gerade erst den zweiten Workshop beendet.

Das Gespräch führte Philipp Jedicke.