Leon Draisaitl: NHL-Star Made in Germany

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Einen so guten Eishockeyspieler wie Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers hatte Deutschland noch nie. Er gehört in Nordamerikas Profiliga NHL zu den Besten. Persönliche Statistiken sind für ihn aber zweitrangig.

Die Außenfassade des Rogers Place in Downtown Edmonton entlang der 104th Avenue gleicht einem Eishockey-Museum. Auf rund 50 Metern sind die großen Protagonisten der fünf Meistertitel zu sehen, die die Edmonton Oilers einst gewonnen haben. Ganz links Wayne Gretzky. Er hat den Mund weit aufgerissen und hievt den Stanley Cup über seinen verschwitzten Kopf. 1984 steht in blauen Zahlen daneben. Es war der Auftakt des erfolgreichsten Kapitels der Vereinsgeschichte. Auf Gretzky folgen Meistertrainer Glen Sather und Spieler wie Jari Kurri, Paul Coffey und Mark Messier – allesamt Legenden im nordamerikanischen Eishockey. Dazu die Jahreszahlen 1985, 1987, 1988, 1990. Edmonton war damals plötzlich nicht mehr nur eine für Öl bekannte Gegend, sondern auch Nordamerikas erste Eishockey-Adresse. Wayne Gretzky, “The Great One”, war hier zu Hause – und machte den Verein weit über die Grenzen des Kontinents hinaus berühmt.

Doch das ist mittlerweile lange her. Seit 1990 haben die Oilers nichts mehr gewonnen. Das lange Warten soll – so hoffen Verantwortliche und Fans gleichermaßen – bald vorbei sein. Und einem Deutschem ist dabei eine Hauptrolle zugedacht: Leon Draisaitl. Der 24-Jährige, dessen Vater Peter in den Achtzigern und Neunzigern einer der besten Profis in Deutschland war, spielt seit 2014 für die Oilers und ist mittlerweile neben Connor McDavid zum Star aufgestiegen.

Blindes Verständnis mit McDavid

McDavid ist der Kapitän, 15 Monate jünger als sein deutscher Sturmkollege und so gut, dass er als “Jahrhundertspieler” oder auch “McJesus” bezeichnet wird. Wenn der Kölner und der Kanadier so richtig loslegen, könnten sie in der Arena auch das Licht ausschalten – die Pässe des einen würden trotzdem ganz genau beim anderen ankommen. Wie gefährlich das Duo sein kann, erlebt an diesem 14. November die Colorado Avalanche. Edmonton gewinnt 6:2. McDavid schießt drei Tore und bereitet drei weitere Treffer vor. Draisaitl gelingen sogar fünf Vorlagen. “Wir spielen seit Jahren zusammen, wissen genau, wo wir auf dem Eis sind”, sagt der Deutsche.

Starkes Sturmduo: Connor McDavid (l. / Rückennummer 97) und Leon Draisaitl (r. / Nr. 29)

Draisaitl hat in der ovalen Oilers-Kabine seinen Platz auf der linken Seite, McDavid sitzt einige Plätze daneben. Nach dem 6:2-Sieg stehen beide im medialen Mittelpunkt. Es mache Spaß, mit “Leo” zusammenzuspielen, sagt McDavid. Wenn McDavid so spiele wie diesmal, entgegnet Draisaitl, dann würde er “auf keinen Fall” der Gegner sein wollen. Obwohl der Fokus in Edmonton deutlich auf McDavid liegt und rund 80 Prozent der Fans dessen Oilers-Trikot mit der Rückennummer 97 tragen, ist Draisaitl derzeit mindestens ebenso gut, wenn nicht sogar besser. Der Deutsche führt nach 21 Spielen mit 41 Punkten die NHL-Scorerliste an, die eine Addition von Toren und Torvorlagen ist. Draisaitls 26 Assists sind ebenfalls Liga-Bestwert. Zudem hat er die zweitmeisten Tore geschossen (15).

Draisaitl mit einzigartiger Bilanz

Wenn es eine Auszeichnung für den wertvollsten Spieler des ersten Saisonviertels gäbe, Draisaitl wäre einer der Anwärter, sagt Bob Stauffer. Er moderiert beim Radiosender “630 CHED” in Edmonton montags bis freitags von 12 bis 14 Uhr die Sendung “Oilers now”. Ein Gespräch mit ihm ist wie das Nachschlagen in einem Lexikon. Stauffer hat Zahlen, Fakten und Anekdoten zu jedem Oilers-Spieler parat – und legt sofort los. “In den vergangenen zehn Jahren wurden 2100 NHL-Spieler gedraftet”, sagt er. Der Draft ist die jährliche Verteilung der Nachwuchstalente in den nordamerikanischen Profiligen auf die Teams. Draisaitl wurde 2014 an dritter Stelle von den Oilers ausgewählt. “Von all diesen 2100 gedrafteten Spielern”, betont Stauffer, “hat nur einer 50 Tore in einer Saison geschossen – und das ist Leon Draisaitl.”

Vergangene Saison hatte sich der Rheinländer mit 50 Treffern etwas unerwartet auf Platz zwei der Torschützenliste katapultiert. Einen derartigen Wert hatte vorher noch kein Deutscher auch nur ansatzweise erreicht. Der Rekord, gehalten von Draisaitl und Marco Sturm, lag bei 29 Toren. Zudem war Draisaitl 2018/19 noch an 55 Treffern beteiligt. In der Scorerwertung waren das 105 Punkte – Platz vier. In dieser Saison könnte Draisaitl diese Zahlen sogar noch verbessern. Scoring-Titel? Bester Torschütze? “Klar, wäre schön”, sagt er. “Keine Frage. Welcher Sportler würde nicht gerne solche Trophäen gewinnen?” Trotzdem gehe es ihm in erster Linie um das Team. Dass Edmonton in die Playoffs komme und ein erfolgreiches Jahr habe.

“Papa sagt: ‘Immer weiter!'”

Vater und Sohn: Peter und Leon Draisaitl

Und deshalb spricht Draisaitl nach dem Sieg gegen Colorado auch viel lieber über die Oilers, die nun Tabellendritter sind, als über seine fünf Torvorlagen. “Mir sind die zwei Punkte für die Mannschaft wichtig, alles andere ist ein Bonus”, resümiert er. Gut gespielt als Mannschaft, zusammengehalten, die Chancen stark genutzt. Das ist für ihn das Essenzielle dieser 21. Saisonpartie. Diese Bodenständigkeit ist neben seinen herausragenden sportlichen Qualitäten eine weitere Besonderheit des Leon Draisaitl. Er ist ein Topstar in seiner Sportart. Und dennoch reagiert er auf die Frage, was er beim Blick auf die aktuelle Scorerliste denke, die seinen Namen ganz oben führt, mit einem leicht verwunderten Blick. So, als würde es ihn überraschen, dass sich jemand dafür interessiert.

Seine Familie habe ihm beigebracht, wie wichtig es sei, immer zu wissen, wo man herkomme, sagt Draisaitl. Dass man anderen Menschen gegenüber respektvoll sei und die Bodenhaftung nie verliere. Genau das zeigt sich nicht nur am bescheidenen Auftreten von Draisaitl Junior, sondern auch an der Reaktion des Vaters. Was der zur bisherigen Saison seines Sohnes sage? “Papa sagt: ‘Immer weiter!'”