Kaum vergleichbar: Wie Korea Mauerfall und Wiedervereinigung sieht

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Der Vergleich mit Deutschland liegt nahe, aber er hinkt: An Mauerfall und Wiedervereinigung mag in Südkorea derzeit kaum jemand glauben. Zu groß sind die Differenzen mit dem Norden, zu drängend die alltäglichen Probleme.

Ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte in einer Minute: Eine Mauer teilt Deutschland, bedrohliche Soldaten patrollieren als Schatten vor der undurchdringlichen Wand. Die Mauer bekommt Risse, einzelne Steine fallen heraus, die Mauer fällt und die Menschen feiern Freiheit und Frieden.

Diese Animation illuminiert das gigantische Seoul Square-Hochhaus, in dem auch die Deutsche Botschaft untergebracht ist. Die deutsche Auslandsvertretung will so maximale Aufmerksamkeit in der 10 Mio. Metropole für den 30. Jahrestag des Mauerfalls erzeugen.

Die meisten Südkoreaner kennen die jüngste deutsche Geschichte zumindest in groben Zügen, erscheint doch vieles auf den ersten Blick vergleichbar: Die Teilung als Folge des Krieges, zwei wirtschaftlich und politisch völlig unterschiedliche Teile, Wirtschaftswunder im westlichen Teil, Mangelwirtschaft im kommunistischen Norden.

Tatsächlich aber ist das Trennende zwischen Nord- und Südkorea wesentlich größer ist als es zwischen Ost- und Westdeutschland jemals war. Drei Jahre lang führten die verfeindeten Bruderstaaten einen blutigen Krieg gegeneinander, seit der Teilung gibt es so gut wie keinen privaten Austausch, keine Kontakte, keine Briefe, stattdessen eine vollständige Isolation und permanente Provokationen.

Einheit als langfristiges Ziel

Trotzdem könne eine Wiedervereinigung auch in Korea gelingen – bis 2045, prophezeite der liberale südkoreanische Präsident Moon Jae-in beim Unabhängigkeitstag im August. Bei solch einer langfristigen Prognose spielen auch die Erfahrungen der langwierigen deutschen Wiedervereinigung eine entscheidende Rolle.

Denn die Erfolge und Fehler des deutsch-deutschen Wiedervereinigungsprozesses werden in beiden Teilen Koreas aufmerksam analysiert. Schließlich ist eine Wiedervereinigung in Süd- und Nordkorea erklärtes Staatsziel, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen. Nicht von ungefähr haben die drei letzten Präsidenten Südkoreas ihre außenpolitischen Grundsatzreden zu Amtsbeginn allesamt in Deutschland gehalten.

Nordkorea will mit militärischen Provokationen seine Verhandlungsposition stärken

Durch Moons Annäherungspolitik gegenüber Nordkorea ist nach Jahrzehnten des Stillstands tatsächlich Bewegung in den Korea-Konflikt gekommen. Aber die anfängliche Euphorie ist längst verflogen, die Verhandlungen treten auf der Stelle und der Norden versucht wieder mit militärischen Provokationen seine Verhandlungsposition gegenüber den USA zu stärken. Derzeit spricht wenig für ein vertrauensvolle Annäherung, ein Friedensabkommen oder eine vollständige Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel.

Lahmende Wirtschaft

Zum 30. Jahrestag des deutschen Mauerfalls haben die Südkoreaner noch ganz andere Sorgen. Die Handelsstreitereien zwischen den USA und China sowie der eigene Handelskonflikt mit der einstigen Kolonialmacht Japan haben der südkoreanischen Exportindustrie schwer zugesetzt, die Konjunktur und der Arbeitsmarkt schwächeln.

Mehr als ein Handelsstreit: Anti-japanische Ressentiments in Südkorea

Die Wirtschaftspolitik und der Annäherungskurs an Nordkorea haben die ohnehin breiten Gräben in der südkoreansichen Gesellschaft weiter vertieft. Dies zeigt sich auch bei den Leserzuschriften unter den DW-Artikeln zum Mauerfall, die beim reichweitenstarken Partner Chosun Ilbo publiziert wurden.

In den Hintergrundbeiträgen geht es unter anderem um die naheliegenden Fragen: Wie gelang der Übergang von einer sozialistisch geprägten Planwirtschaft zur Marktwirtschaft? Wie wurde das Militär zusammengeführt? Was geschah mit den Stasi-Akten? Wer profitierte von der Währungsunion? Warum verlassen viele Ostdeutsche ihre Heimat?

Gespaltene Gesellschaft

Die in Deutschland gesammelten Erfahrungen und Antworten ließen sich kaum auf Korea übertragen, da sind sich viele konservative Leser sicher. Dem Norden dürfe man nicht trauen und der Annäherungskurs der Regierung grenze an Landesverrat. Die liberaleren Leser dagegen setzten auf Dialog, auch wenn es derzeit kaum Fortschritte oder hoffnungsvolle Signale gebe.

Einig sind sich beide Seiten aber, dass der Norden unberechenbar bleibt, dass eine Wiedervereinigung gewaltige finanzielle Belastungen mit sich brächte und dass ein Zusammenwachsen Jahrzehnte dauern würde. In dieser Hinsicht sind die deutschen Erfahrungen dann doch wieder vergleichbar.