30 Jahre Mauerfall: “Die Berliner Mauer fiel auch in Afrika”

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Bürgerkriege, Befreiungsbewegungen und Völkerfreundschaft: Nach dem Ende des Kalten Krieges blieb auch für viele Afrikaner nichts, wie es vorher war.

In Mosambik heißen frühere DDR-Vertragsarbeiter “Madgermanes” – von “Made in Germany”

“Für alle Partnerländer der DDR hatte der Mauerfall immense Konsequenzen, vor allem für afrikanische Staaten wie Mosambik, Angola oder auch Äthiopien”, sagt Markus Meckel im Gespräch mit der DW, der im Jahre 1990 kurz vor der Wiedervereinigung letzter Außenminister der DDR war.     

Tatsächlich hatte die DDR zu mehreren afrikanischen Ländern wie Äthiopien, Angola, Mosambik, Guinea-Bissau oder Tansania,  aber auch zu Befreiungsbewegungen wie die SWAPO in Namibia oder den ANC in Südafrika, besondere Beziehungen aufgebaut. Die DDR unterstützte diese Länder und Organisationen beim “Aufbau des Sozialismus”, es gab präferenzielle Handelsabkommen, Ausbildungsprogramme und sogar Waffenhilfe. “Nach dem Fall der Mauer war es mit Alledem relativ schnell vorbei”, erinnert sich Markus Meckel, der vor dem Mauerfall, als evangelischer Pfarrer in Magdeburg, viel Kontakt mit Afrikanern aus den “Bruderstaaten” der DDR pflegte.

Der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel bei einer Veranstaltung im Oktober 2019

Waren die Beziehungen zu den “Sozialistischen Bruderländern” in Afrika in der Zeit, als er als Außenminister die DDR abwickelte, überhaupt ein Thema? “Wir haben die ersten freien Wahlen organisiert und dann blieben nur noch wenige Wochen und Monate bis zur Wiedervereinigung”, erinnert sich Markus Meckel. “Ich habe versucht, im Außenministerium das Thema Afrika zu behandeln, aber daraus ist in diesen stürmischen Zeiten nicht wirklich etwas geworden.” Für die betroffenen Staaten und Organisationen in Afrika bedeute das: Die DDR fiel als Partnerland plötzlich weg. Die Länder mussten sich von heute auf morgen neu orientieren.

DDR-Vertragsarbeiter: “Wir wussten nicht, was los war”

Auch die etwa 20.000 afrikanischen Studenten und Vertragsarbeiter, die Ende der 80er Jahre in der DDR lebten, bekamen die Veränderungen unmittelbar zu spüren: Sie kamen aus Mosambik, Angola, Guinea-Bissau, Kap Verde oder Äthiopien. Der Mosambikaner Adelino Massuvira João war 28 Jahre alt und arbeitete aufgrund eines internationalen Freundschaftsvertrags im “Fahrzeug-, Sport- und Jagdwaffen-Kombinat” im thüringischen Suhl.

In vielen DDR-Betrieben waren Vertragsarbeiter beschäftigt, hier angolanische Techniker im Traktorenwerk Schönebeck

“Nach dem Mauerfall wurden unsere Arbeitsverträge aufgelöst und wir wurden arbeitslos. Die allermeisten von uns mussten zurück nach Mosambik”, erinnert sich  Massuvira im DW-Gespräch: “20.000 junge Männer und Frauen – plötzlich im luftleeren Raum. Auch das war eine Konsequenz des Mauerfalls”, sagt er. Der Fall der Mauer habe die Afrikaner in der DDR völlig unvorbereitet getroffen. Deutschland und die Deutschen seien mit sich selbst und ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen. Und in Mosambik selbst habe sich die Regierung auf den Bürgerkrieg gegen die antikommunistischen Rebellen von der RENAMO konzentriert, so Massuvira. “Wir wurden einfach im Stich gelassen.”

Der offizielle Diskurs von der Völkerfreundschaft sei kaum mehr als Ideologie gewesen. Es sei der DDR vor allem um Export von Ideologie gegangen, bestätigt Ex-Außenminister Meckel: “Da wurden ideologische Strukturen und Repressionsstrukturen weitergegeben und unterstützt.” Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts sei es vor allem darum gegangen, möglichst viele afrikanische Staaten auf den Pfad des Sozialismus zu lenken und den Kurs mit allen Mitteln zu unterstützen.

Stellvertreterkriege: Der Ost-West-Konflikt auf afrikanischem Boden

Der Fall der Berliner Mauer fiel in die Zeit mehrerer Ost-West-Stellvertreterkriege in Afrika: In Angola bekämpften sich nach der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 die von den USA und Teilen der Bundesrepublik unterstützte UNITA und die von der UdSSR und der DDR unterstützte MPLA. In Mosambik bekämpfte die marxistische FRELIMO-Regierung die Rebellen von der RENAMO.

In Mosambik demonstrieren die “Madgermanes” immer noch für die Auszahlung ihrer Löhne als DDR-Vertragsarbeiter

Der Angolaner Orlando Ferraz erlebte den Tag des Mauerfalls als junger Student der russischen Sprache und Literatur am Pushkin-Institut in Moskau, einer Kaderschmiede für junge Parteifunktionäre, auch aus dem afrikanischen Ausland. Er habe den Tag mit zahlreichen ostdeutschen Studenten gefeiert und er habe sich sehr für seine deutschen Kommilitonen gefreut, erinnert er sich. Kurz darauf sei Ferraz nach Angola zurückgegangen, um als Funktionär der marxistisch-leninistischen Staatspartei MPLA zu arbeiten.

Dort habe sich allerdings – nach dem Ende des Kalten Krieges – vieles radikal verändert: “Die Auswirkungen des Mauerfalls auf mein Land waren enorm. Angola war ja eng mit der DDR verbunden gewesen – vor allem ideologisch, aber auch militärisch. Die DDR hatte jahrelang die MPLA unterstützt im Krieg gegen die UNITA-Rebellen, die ideologisch vom Westen unterstützt wurden. Diese alten Allianzen brachen plötzlich zusammen.”

Der brutale angolanische Bürgerkrieg seien von da an nicht mehr von Ideologien aus dem Ausland befeuert worden. Es sei plötzlich ein rein angolanischer Krieg geworden, erinnert sich Ferraz. Das habe dazu geführt, dass die beiden Kriegsparteien langsam aufeinander zugegangen seien. Einige Jahre später sei dann auch der Durchbruch bei den Friedensverträgen gelungen.

Beide deutsche Staaten leisteten auch Entwicklungshilfe – hier von der DDR gebaute Wohnungen auf Sansibar, Tansania

Ähnlich verlief die Geschichte in Mosambik, erinnert sich der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter Adelino Massuvira João: “In meinem Land dauerte es nach dem Mauerfall nicht lange, bis die Friedensverträge zwischen der marxistischen FRELIMO und der vom Westen unterstützten RENAMO unterschrieben wurden.” Mit dem Mauerfall sei sein Land nicht länger ein Testgelände für den Ost-West-Konflikt gewesen, so Massuvira, der nach dem Mauerfall als einer der wenigen ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter in Suhl bleiben konnte und heute für die evangelische Kirche arbeitet. Sein Fazit: Der Mauerfall hat im großen Maße zum Frieden auf dem afrikanischen Kontinent beigetragen.

Nach dem Mauerfall: Weniger Optionen für afrikanische Länder?

“Insgesamt hat der Mauerfall die politischen Optionen vieler afrikanischer Länder verringert, denn die Konkurrenz zwischen Ost und West gab ihnen die Möglichkeit zwischen beiden Systemen zu jonglieren”, sagt Dr. Berthold Unfried von der Universität Wien im DW-Interview.

Simbabwes Machthaber Robert Mugabe hatte viele sozialistische Freunde, hier 1983 zu Besuch bei Erich Honecker

Der Professor für Globalgeschichte rekonstruierte in detektivischer Archiv- und Feldarbeit, unter anderem in Tansania und Äthiopien, die Entwicklungshilfe in der Zeit des Kalten Krieges. In den beiden afrikanischen Ländern waren sowohl die BRD als auch die DDR aktiv, erinnert Unfried: “Äthiopien hat als Partnerland der DDR gleichzeitig in einem gewissen Ausmaß mit der BRD kooperiert. Und das gleiche gilt für Tansania, da war die DDR eigentlich im kleineren Ausmaß immer präsent, und die BRD stärker. Aber es gibt schon klare Orientierungen, welcher der jeweils stärkere Partner war.”

Diese und andere afrikanischen Länder hätten im Kalten Krieg das eine System gegen das andere ausspielen können, “insofern als dass sie die Systemkonkurrenz genutzt haben um Gelder von beiden Systemen zu bekommen”, erläutert Unfried: “Aus Äthiopien bezog die DDR Kaffee zu günstigen Bedingungen im Tauschhandel, allerdings nur ein Jahr lang, nämlich das eine Jahr, im dem der Krieg mit Somalia ausbrach und die äthiopische Regierung fürs Überleben auf die DDR angewiesen war. Danach zog es Äthiopien vor, diesen Kaffee auf dem Weltmarkt für Dollars zu verkaufen.”


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Ausbildung fernab des Bürgerkriegs

    Bis zu ihrem Ende mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 bildete die DDR zahlreiche Facharbeiter aus den sozialistischen Ländern Afrikas aus. Diese Angolaner nahmen 1983 an einem halbjährigen Lehrgang am Zentralinstitut für Arbeitsschutz in Dresden teil. Damals herrschte in Angola Bürgerkrieg. Die DDR unterstütze die Regierung der marxistisch-leninistischen MPLA.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Lehrgänge für afrikanische Reporter

    Neben technischen Berufen bildete die DDR auch afrikanische Journalisten aus. Hunderte Redakteure aus fast allen Ländern Afrikas nahmen in Berlin-Friedrichshagen an den Seminaren der Schule der Solidarität des Verbandes der Journalisten der DDR teil. Im Bild: Junge Journalisten aus Angola, Guinea-Bissau, den Kapverden sowie aus São Tomé und Príncipe während ihres Lehrgangs im Dezember 1976.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Schule der Freundschaft

    Der erste Präsident Mosambiks, Samora Machel, und Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung der DDR, trafen sich 1983 mit der Leitung der Straßfurter Schule der Freundschaft. 1979 hatten beide Länder beschlossen, dass 899 mosambikanische Kinder vier Jahre lang in der DDR die Schule besuchen sollen.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Oberschule “Dr. Agostinho Neto”

    Während eines Besuchs des Präsidenten Angolas, José Eduardo dos Santos, bekam die 26. Oberschule Berlin-Pankow im Oktober 1981 den Namen seines Vorgängers, “Dr. Agostinho Neto”, verliehen. Mitglieder der DDR-Jugendorganisationen empfingen den angolanischen Präsidenten mit Propaganda-Plakaten mit Aufschriften wie: “An der Seite der Sowjetunion für Frieden und Sozialismus”.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Staatsbesuch an der Berliner Mauer

    Der angolanische Präsident dos Santos (5. von links), besuchte 1981 auch die Berliner Mauer am Brandenburger Tor. Im Jahr 1961 hatte die DDR die Grenze in das freie West-Berlin hermetisch abgeriegelt, um die Flucht ihrer Staatsangehörigen in den Westen zu verhindern. Offiziell wurde die Mauer als “Anti-faschistischer Schutzwall” bezeichnet. Etwa 200 Menschen starben bei Fluchtversuchen.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    SED-Parteitage mit afrikanischen Gästen

    Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) präsentierte sich auf ihren Parteitagen gerne mit internationalen Gästen. Am zehnten Parteitag 1981 nahmen unter anderem teil: Ambrósio Lukoki (hinten, rechts außen), MPLA-Mitglied aus Angola, sowie Berhanu Bayeh (hinten, zweiter von links), später Außenminister der marxistisch-leninistischen Derg-Diktatur in Äthiopien.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Parteitags-Besuche auch in Afrika

    Auch in die andere Richtung waren Besuche auf Parteitagen üblich. So nahm Konrad Naumann (zweite Reihe rechts), Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, am dritten Parteitag der PAIGC (Afrikanischen Unabhängigkeitspartei von Guinea-Bissau und den Kapverden) im November 1977 in Bissau teil. Der Parteitag stand unter dem Motto “Unabhängigkeit, Einheit, Entwicklung”.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Sommerlager für Kinder und Jugendliche

    Auch während der Ferienzeit versuchte die DDR, Kinder nach kommunistischen Idealen zu erziehen und lud sie zu Sommerlagern ein, wie hier in der “Pionierrepublik Wilhelm Pieck” nahe Berlin. Diese Lager empfingen auch ausländische Gäste. Hier erklären zwei Mitglieder der DDR-Jugendorganisation “Pioniere” einem Kind aus der Volksrepublik Kongo einen Beitrag aus der Zeitung “Die Trommel”.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Wochenenden mit der Gastfamilie

    Die ausländischen Kinder, die im Jahr 1982 am Sommerlager teilnahmen, verbrachten ein Wochenende bei Familien, um den Alltag in der DDR kennenzulernen. Mit einem Sonderzug fuhren sie in die Chemiestadt Schwedt an der Grenze zu Polen. Sandra Maria Bernardo aus Angola wird von ihrer Gastmutter Ingeborg Scholz und deren Tochter Petra willkommen geheißen.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Traktoren für sozialistische “Bruderländer”

    Als Solidaritätsspende gingen im Jahr 1979 zahlreiche Landmaschinen aus dem Traktorenwerk Schönebeck an das damals marxistisch-leninistisch regierte Äthiopien. Die Traktoren des in der DDR als Standard verwendeten Typs “ZT 300-C” wurden weltweit in insgesamt in 26 Länder exportiert, darunter auch Angola und Mosambik.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    DDR-Textilmaschinen in Äthiopien

    Die Maschinen in dieser Textilfabrik in der Stadt Kombolcha in der äthiopischen Provinz Amhara (Foto vom November 2005) verarbeiten Wolle zu Bettlaken und Handtüchern. Sie wurde 1984 mit der Unterstützung der DDR und der Tschechoslowakei errichtet. Fast alle Maschinen kommen aus dem ehemaligen DDR-Kombinat TEXTIMA, das im damaligen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) beheimatet war.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    Plattenbauten auf Sansibar

    Noch heute sind die Plattenbauten auf Sansibar zu sehen, mit denen die DDR das 1964 gegründete und unter Staatspräsident Julius Nyerere sozialistisch regierte Tansania unterstützte. Die Baustoffe kamen per Schiff aus der Deutschland, auf Sansibar mussten sie nur noch zusammengefügt werden. “Michenzani” heißt das Neubauprojekt mit einer mehr als 1,5 Kilometer langen Plattenbau-Fassade.


  • Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika

    DDR-Nostalgie in Maputo

    Rund 15.000 Mosambikaner arbeiteten Ende der 80er Jahre als Vertragsarbeiter in der DDR. Die meisten kehrten nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 in ihre Heimat zurück. Dort werden sie “Madgermanes” genannt: eine Verballhornung von “Made in Germany”. Weil Mosambik ihnen ihren vereinbarten Lohn nie gezahlt hat, demonstrieren sie noch heute regelmäßig in der Hauptstadt Maputo.

    Autorin/Autor: Johannes Beck