DDR-Vertragsarbeiter: Ausgegrenzt und angefeindet

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Die DDR warb ausländische Vertragsarbeiter an, um die Wirtschaft anzukurbeln. Sie sollten hart arbeiten, aber unsichtbar bleiben. Und nach der Wende am besten schnell wieder verschwinden. Manche blieben bis heute.

Huong Trute ist eine zierliche Frau. Sie steigt die Treppen zu ihrem Restaurant in der kleinen Stadt Wernigerode im Harz empor. Im Eingang hängt ein Foto von ihr mit Angela Merkel. Bei einer Podiumsdiskussion durfte sie einmal mit der Bundeskanzlerin diskutieren – über die Rolle der ausländischen Vertragsarbeiter für Deutschland. 

Huong Trute bei einer Podiumsdiskussion mit Angela Merkel. Das Bild hängt heute bei ihr im Restaurant.

Die heute 62-Jährige kam 1976 aus Vietnam in die DDR. Ein Jahr nach dem Ende des Vietnamkrieges hatte sie dort die Schule beendet. Doch das Land war kaputt, es gab kaum Perspektiven. “Als es dann hieß, ich könnte eine Berufsausbildung in Deutschland machen, da habe ich sofort zugesagt. Aber Ich wusste nicht, worauf ich mich einließ”, sagt Trute. Im Rahmen eines Solidaritätsprogramms zwischen der DDR und Vietnam macht sie eine Ausbildung zur Zerspannungsfacharbeiterin. Anschließend ein Ingenieurpädagogikstudium.

Auch wenn sie in separaten Wohnheimen untergebracht sind und nicht viel Kontakt zur Bevölkerung haben, fühlen sich Trute und ihre Mitauszubildenden zunächst willkommen. Nachbarn bringen den jungen Vietnamesen frische Blumen und Obst ins Wohnheim.

Huong Trute mit anderen vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen in Wernigerode

Doch dann ist das Programm beendet, und sie muss 1981 zurück nach Vietnam. Wegen des wachsenden Fachkräftemangels ist die DDR allerdings zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Sie schließt weitere Abkommen mit Vietnam und anderen sozialistischen Staaten, so dass auch immer mehr Vietnamesen ins Land kommen. 

Klima der Ausgrenzung

So erhält Huong Trute 1987 die Möglichkeit, als Vertragsarbeiterin erneut in die DDR zu kommen. Ohne Zögern nimmt sie das Angebot an. Doch plötzlich ist alles anders. “Die Leute mieden uns. Immer, wenn wir einkaufen fuhren, bekamen wir richtig ablehnende Blicke von den Verkäuferinnen. Die guckten, als ob wir aus dem Dschungel kämen. Die warme Herzlichkeit war verschwunden”, erinnert sich Trute.

Sie und die anderen Vertragsarbeiterinnen, die mit ihr in einer Produktionsstätte für Kleidung arbeiten, fühlen sich ausgegrenzt. Die DDR-Regierung droht ihnen sogar mit Verweisen, sollten sie versuchen, mit der Bevölkerung Kontakt aufzunehmen. Integration? Nicht gewünscht.

Huong Trute heute vor ihrem Restaurant in Wernigerode

Als dann 1989 die Mauer fällt und Deutschland im Jubel versinkt, ist lange nicht klar, was mit den Vertragsarbeitern passiert. Niemand informiert sie, niemand kümmert sich um sie. Viele verlieren von heute auf morgen ihren Job – und damit auch ihre Wohnung. Unsicherheit macht sich breit. “Ich war so verzweifelt. Ich wusste nicht, was los ist, ich dachte, jetzt ist alles zu Ende. Es herrschte eine richtige Endzeitstimmung”, berichtet Huong Trute.

Rückführungsabkommen

In den kommenden Jahren versucht die Bundesregierung, die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter durch Rückführungsabkommen zurückzuschicken. Wie viele andere will Huong Trute das nicht. Sie heiratet einen Deutschen und bleibt. Dass das nicht allen gefällt, bekommt sie unmittelbar zu spüren. Kurz nach der Wende trifft sie einen Arzt, bei dem sie und andere Vertragsarbeiterinnen häufig waren. Er fragt sie, was sie noch hier mache. Man brauche sie schließlich nicht mehr, weil es die DDR nun nicht mehr gebe.

Diesen Leserbrief schrieb Huong Trute 1990 an die “Magdeburger Volksstimme”

Der Hass gegen Ausländer gipfelt 1992 in den Anschlägen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen: Wohnhäuser und Autos der ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter werden von Rechtsradikalen angegriffen. Huong Trute hat die Anschläge im Fernsehen gesehen: “Mein Mann hat geweint. Und ich habe ihm gesagt, das wird schwer für uns beide, vielleicht muss ich das Land verlassen”, sagt sie.

Doch Trute trotzt den Anfeindungen und bleibt in Wernigerode. Sie eröffnet ein vietnamesisch-japanisches Restaurant und gründet eine deutsch-vietnamesische Städtepartnerschaft, mit der sie den Austausch von Fachkräften zwischen Vietnam und Deutschland organisiert. Sie fühlt sich wohl. Aber sie sieht auch Parallelen zwischen damals und heute: “Ich beobachte die Entwicklungen in diesem Land mit Sorge, aber ich hoffe, dass die Menschen, die mir lieb sind, in der Mehrzahl sein werden, sodass für uns keine Gefahr besteht. Das wünsche ich mir sehr. Aber jeder von uns ist gefordert, offen zu sein und keine Angst zu haben vor Fremden. Denn wir Fremde bringen das Salz für die Suppe in dieser Gesellschaft.”

Ihren vietnamesischen Pass hat Huong Trute behalten. Doch zurückgehen will sie nur im Notfall.