Wie kann die Plastikindustrie in Zukunft nachhaltiger werden?

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Plastikmüll im Ozean, in Tierkadavern, sogar in unserer Nahrungskette – Plastik hat ein schlechtes Image. Das spürt auch die Kunststoffbranche und will nun stärker auf Recycling setzen. Echte Kehrtwende oder Marketing?

Handys, Laptops, Schuhsohlen, Autositze, Staubsauger, OP-Geräte, Abflussrohre, Bürostühle — Plastik ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. “Plastik hat tolle Eigenschaften, man kann alles Mögliche aus ihm formen, er ist haltbar, wenig brüchig – das bietet kaum ein anderes Material”, sagt Rolf Buschmann. Buschmann ist beileibe kein “Plastik-Jünger”, im Gegenteil. Der Chemiker arbeitet bei der Umweltschutzorganisation BUND und ist Autor des Plastikatlas 2019. Dieser beleuchtet die negativen Auswirkungen des “Supermaterials Plastik”. 

Durch seine extreme Haltbarkeit ist Plastik zu einem weltweiten Problem geworden: Seit 1950 sind Schätzungen zufolge rund 86 Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen gelandet. Tiere fressen Plastikabfälle oder verheddern sich darin und verenden. Selbst in der Arktis schneit es Plastikpartikel und in den Böden findet sich je nach Region vier- bis zwanzigmal mehr Mikroplastik als in den Weltmeeren.

Plastikmüll im Meer – allein der Plastikstrudel im Pazifik ist viermal so groß wie die Fläche Deutschlands

Vor diesem Hintergrund klingt der Slogan “Plastics Shape the Future” – “Plastik formt die Zukunft” – fast wie eine Drohung. Es ist das Motto unter dem sich der Verband der europäischen Plastikindustrie auf der weltweit größten Messe der Kunststoffbranche, der K 2019, in Düsseldorf präsentierte. Eines der “Hot Topics” in diesem Jahr: die Kreislaufwirtschaft. Gibt es also eine Bewusstseinsänderung in der Branche?

“Der Markt verlange Nachhaltigkeit”

“Der größte Fehler beim Recycling ist es, nicht zu recyceln”, sagt Mikko Koivuniemi von Fortum Waste Solutions. Die finnische Firma stellt aus Verbraucher-Abfällen Recyclingplastik her. Daraus entstehen etwa Blumentöpfe oder Abflussrohren. “Der Markt verlangt nachhaltige Verpackungen und Produkte, die Nachfrage ist riesig – das füllt unsere Auftragsbücher.”

Auch die Hersteller von Sortier-und Recyclinganlagen profitieren von der steigenden Nachfrage. “Insgesamt haben wir in der Kunststoff-Branche zwar eine konjunkturelle Delle, aber bei Recyclingmaschinen läuft das Geschäft richtig gut. Generell kommen immer mehr Plastikverarbeiter auf die Maschinenbauer zu und wollen Anlagen, die auch mit Rezyklaten arbeiten können”, berichtet Thorsten Kühmann, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).

Alles so schön grün hier – Plastik-Rezyklat der Firma Fortum Waste Solutions

Bisher galt: Rezyklate, die wiederaufbereiteten Kunststoffe, sind teurer und können nicht so variabel verarbeitet werden wie neuer Kunststoff. Doch mittlerweile sei die Branche durch das negative Image von Plastik stark unter Druck geraten, darum steigt das Interesse an Recyclingmaterial, bestätigt Kühmann. Hinzu kämen politische Vorgaben. So soll in Europa bis 2025 viermal mehr Plastik recycelt und in Produkten verabeitet werden als heute. Allerdings setzt die EU-Kommission dabei auf freiwilliges Engagement der Unternehmen statt auf verbindliche Gesetze. Kühmann plädiert dagegen für eine klare Quote, die den Einsatz von Rezyklaten in neuen Plastikprodukten regelt.

Nicht-Recyceln als Energieverschwendung

Tatsächlich sieht es bisher in Sachen Plastik-Recycling in Europa eher mau aus. Allein in Deutschland fielen 2017 mehr als 6 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Doch nur 16 Prozent davon wurden zu echtem, stofflichen Recyclingmaterial verarbeitet, der Großteil des Plastikmülls wurde verbrannt oder in andere Länder gebracht. 

Die meiste Energie lässt sich durch stoffliches Recycling zurückgewinnen

Dabei bietet stoffliches Recycling die beste Energiebilanz. Hier gewinnt man gut zwei Drittel der Ursprungsenergie eines Produkts zurück, beim Verbrennen dagegen gerade mal ein Viertel. Warum also wird nicht schon längst viel mehr Plastik recycelt?

Der Handel bestimmt die Verpackung

Mehr als 30 Prozent der in Deutschland verarbeiteten Kunststoffe werden laut Umweltbundesamt (UBA) als Verpackung eingesetzt. Auch hier wollen die Hersteller mehr Rezyklate einsetzen, doch das sei nicht immer einfach, sagt Oliver Möllenstädt vom Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV). “Gerade bei Lebensmittelverpackungen ist das schwierig mit den Standards zu vereinbaren, die die europäische Lebensmittelagentur gesetzt hat.”

Die strengen Regeln sollen verhindern, dass schädliche chemische Zusätze aus Recyclingplastik möglicherweise auf Lebensmittel übergehen. Denn beim Wiederverwerten von Altplastik werden meist verschiedene Materialien vermischt, und Schadstoffe können im gewonnen Rezyklat konzentriert sein. 

Doch auch die meisten anderen Produkte, werden in Kunststoff-Verpackungen verkauft – und auch da tut sich die Verpackungsindustrie mit Recycling-Innovationen schwer. Möllenstädt verteidigt seine Sparte. “Um mal die Kräfteverhältnisse zu verdeutlichen: Die Verpackungsindustrie besteht vor allem aus mittelständischen Unternehmen. Im Handel aber dominieren europa- bis weltweit agierende Konzerne. Insofern ist klar wer am Ende darüber entscheidet, ob Innovationen in den Markt kommen oder nicht.”

Schon beim Design an den Kreislauf denken

Auch die Recycling-Expertin Franziska Krüger vom Umweltbundesamt bestätigt: Der Handel mache den Verpackern viele Vorgaben, etwa um die Logistik zu optimieren.

Zwar gebe es in der Plastikindustrie durchaus Bewegung hin zu mehr Recycling, sagt Krüger, aber es könnte noch viel mehr getan werden. “Von Kreislaufwirtschaft spricht man nicht erst seit gestern.”

Doch bisher hat jede Sparte der Branche nur an ihr eigenes Tätigkeitsfeld gedacht. Für mehr Recycling müssen sich die einzelnen Bereiche deutlich mehr vernetzen. So sollte schon beim Produktdesign ans Recycling gedacht werden, fordert die UBA-Expertin, etwa bei der Farbgebung. “Helle oder farblose Kunststoffe sind besser zu recyceln als bunte und dunkle. Denn bei ihrem Recycling entsteht in der Regel ein graues Rezyklat, das nur noch dunkler überfärbt werden kann.” Der Einsatzbereich für solch dunkles Recyclingmaterial sei geringer als für helleres Rezyklat.

Mit Bioplastik gegen den Kunststoffhunger?

Doch nicht nur die Bilder von Walen mit Plastiktüten im Magen oder Berichten über Mikroplastik im menschlichen Organismus setzten die Industrie unter Druck. Deutlich mehr Recycling könnte auch durch eine ganz andere Entwicklung gefördert werden: Der weltweite Plastikbedarf wächst rasant, und könnte sich laut einer Studie des Informationsdienstes IHS Markit bis zum Jahr 2030 verdoppeln: von zuletzt 185 auf 400 Millionen Tonnen pro Jahr. Falls die Förderung fossiler Brennstoffe wie Erdöl bis dahin tatsächlich deutlich gedrosselt würde, um die Erderwärmung zu stoppen, stünde wesentlich weniger Ausgangsstoff für die Kunststoffproduktion zur Verfügung. 

Bioplastik aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Mais, Zuckerrüben oder Kartoffeln könnte den immensen Plastikhunger nicht stillen, sagt Manfred Santen, Chemiker bei Greenpeace. Angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung stelle es eine zu starke Konkurrenz für die Lebensmittelproduktion dar.

Bio-Kunststoffe können das Plastikproblem nicht lösen, sagen Experten

Plastik-Recycling allein reicht nicht 

Und chemisches Recycling, bei dem durch chemische Aufspaltung von Altplastik dessen Ausgangsstoffe wieder zurückgewonnen werden sollen, ist laut Buschmann noch keine effektive Methode. Der energetische Aufwand sei zumindest derzeit noch viel zu hoch, sagt der BUND-Chemiker.

Vor jedem Recycling müsse dagegen eine grundsätzliche Frage stehen – darin sind sich die Experten von BUND, Greenpeace und UBA einig: Wie erzeugt man Produkte, die möglichst langlebig sind und Abfälle vermeiden? Rolf Buschmann drückt es so aus: “Zumindest beim Thema Verpackung brauchen wir einen radikalen Konzeptwechsel. Einmalplastik muss zur Ausnahme werden und Mehrweg die Regel.”