Syrien-Schutzzone? Kontroverse um Kramp-Karrenbauer

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Mit ihrem Vorschlag für eine international kontrollierte Schutzzone in Syrien hat Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) auch ihre politischen Partner überrascht. Aus der Türkei gibt es Kritik.

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AKK für Sicherheitszone in Syrien

“Mein Vorschlag ist, dass wir eine international kontrollierte Sicherheitszone einrichten unter Einbeziehung der Türkei und unter Einbeziehung von Russland”, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer im Interview mit der Deutschen Welle. 

Deutschland solle gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien und unter Berücksichtigung Russlands und der Türkei diesen Vorschlag erarbeiten, so die Ministerin. “Wir sollten überlegen, ob wir für diesen Prozess möglicherweise einen Sonderbeauftragten einsetzen.” Der Prozess könne von einer Konferenz begleitet werden. “Ich glaube, das wäre eine starke politische und diplomatische Antwort der Europäer in der NATO.” Eine Beteiligung des NATO-Partners USA erwähnte Kramp-Karrenbauer nicht. 

SMS an Auswärtiges Amt

Mit diesem Vorschlag sorgte die Verteidigungsministerin für einen Paukenschlag. Aus dem von SPD-Außenminister Heiko Maas geführten Auswärtigen Amt hieß es, es bestehe Diskussionsbedarf. Die CDU-Chefin hatte Maas vor ihren öffentlichen Äußerungen laut eigener Aussage per SMS informiert. 

Er sei überrascht vom Vorstoß der Bundesverteidigungsministerin, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Fritz Felgentreu im Deutschlandfunk. Die Forderung nach einer international kontrollierten Schutzzone in Nordsyrien sei mit seiner Partei nicht abgesprochen gewesen, erklärte der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Wie die Beteiligung von Deutschland konkret aussehen würde, müsse noch geklärt werden, so Felgentreu. Er wisse zum Beispiel nicht, wo die Soldaten für einen möglichen Einsatz herkommen sollten. Die Bundeswehr sei darauf nicht vorbereitet – sie befinde sich derzeit an ihrer Belastungsgrenze.

Vorwürfe von der Oppositon

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour kritisierte den Vorstoß Kramp-Karrenbauers. “Halbgare Vorschläge für das internationale Parkett zu machen, ohne diese mit dem Außenminister abzusprechen, beschädigt Deutschlands Ruf als zuverlässigen Partner”, sagte Nouripour. Die Ministerin verfestige den Eindruck, dass der türkische Präsident Erdogan Deutschland mit Flüchtlingen erpressen könne. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter, bemängelte, dass der Vorschlag mehr Fragen aufwerfe als er Antworten gebe. Beispielsweise “wie die rechtlichen, politischen und materiellen Vorbedingungen geschaffen werden sollen”.

Auch FDP-Chef Christian Lindner bewertete den Vorschlag als nicht genügend durchdacht. Es entstehe der Eindruck, “hier geht es um Profilierungsbemühungen einzelner Kabinettsmitglieder.” Offensichtlich sei der Vorstoß noch nicht einmal innerhalb der Bundesregierung vollständig abgestimmt gewesen. In einer so sensiblen internationalen Frage wäre die Erwartung, dass die
Regierung erst dann an die Öffentlichkeit geht, “wenn sie selbst bereits eine gefestigte, abgestimmte interne Position hat”, sagte Lindner. Inhaltlich zeigte er sich für den Vorstoß offen, sofern es um ein internationales Mandat unter dem Dach der Vereinten
Nationen gehe.

Die stellvertretende Vorsitzende und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Sevim Dagdelen, warf Kramp-Karrenbauer eine “politische Geisterfahrt ohnegleichen” vor. Die Verteidigungsministerin wolle “den Völkerrechtsbruch an der Seite Erdogans verwalten und deutsche Soldaten zu Hilfstruppen des Despoten machen.” Dagdelens Parteikollege und EU-Parlamentarier Özlem Demirel zeigte sich gegenüber der Deutschen Welle verwundert, “denn die Bundesregierung hat nicht alle diplomatischen Mittel eingesetzt, hat nicht alle Waffenexporte gestoppt.” Demirel ergänzte, die deutsche Geschichte habe gelehrt, “dass militärische Operationen nicht den Frieden nachhaltig sichern.” 

Türkische Opposition geht auf Distanz

Der Syrien-Vorschlag Kramp-Karrenbauers stößt auch in der Türkei auf Befremden bis Ablehnung. Unal Ceviköz, Chefberater für Außenpolitik der größten türkischen Oppositionspartei CHP, sagte der türkischen Redaktion der Deutschen Welle, man respektiere die territoriale Integrität Syriens, “daher bevorzugen wir es, wenn Syrien die Verantwortung für seine Sicherheit selber übernimmt. Wir sind dafür, dass sich in der Region so wenig ausländische Streitkräfte wie möglich aufhalten.” Das deutsche Verteidigungsministerium versuche, die Beteiligung Russlands am Aufbau einer Sicherheitsstruktur in Nordsyrien zu verhindern. “Aber die Westmächte sollten der syrischen Regierung den Vortritt lassen”, forderte Ceviköz.

Die Rolle Russlands thematisiert auch die nationalistisch-konservative IYI-Partei. Deren Parteivorstandsmitglied Aydin Sezgin äußerte gegenüber der Deutschen Welle sein Unverständnis darüber, dass “Deutschland dieses Angebot an die Türkei gemacht hat. Wenn diese Region zum Einflussbereich von Russland gehört, wie kann die NATO sich auch dort aufhalten?”

Von der prokurdischen HDP, die als einzige Oppositionspartei des türkischen Parlaments die Offensive in Nordsyrien ablehnt, kommen naturgemäß freundlichere Töne. Wenngleich es Zweifel an der konkreten Umsetzbarkeit des deutschen Vorschlags gibt. “Nur eine Sicherheitszone kann die politischen Probleme nicht lösen”, sagte der HDP-Abgeordnete Garo Paylan. Er sieht vor allem die EU in der Pflicht. Aber: “Europa ergreift nicht die Initiative, wenn es darum geht, eine Syrien-Lösung zu finden, denn sie fürchten sich vor Flüchtlingen.” Europa müsse klarere Lösungsvorschlägen liefern, fordert Paylan.

Eine Stellungnahme der türkischen Regierungspartei AKP ist bisher nicht bekannt.

Rückhalt von der Unionsfraktion

Unterstützung im Inland hat die Verteidigungsministerin erwartungsgemäß von der Spitze der Unionsfraktion bekommen. Ihr außenpolitischer Sprecher Jürgen Hardt erklärte, die weitere Entwicklung in Syrien habe unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit und Stabilität Europas. “Gerade nachdem die USA auf ihre gestaltende Kraft in Syrien verzichtet haben, ist es nur folgerichtig, dass Europa sich stärker einbringt.” Kramp-Karrenbauer ziele mit ihrem Vorstoß genau auf diese Rolle Europas. In engem Schulterschluss mit den europäischen Partnern müsste eine Initiative in den Vereinten Nationen auf den Weg gebracht werden.

Hardt betonte, dass dafür auch Gespräche mit Russland geführt werden sollten, “das Mitverantwortung für das tausendfache Leid in Syrien trägt”. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion sieht Deutschland in einer aktiven Rolle. Wenn es zu einer solchen Schutzzone komme, dann müsse diese auch durchgesetzt werden. “Das bedeutet, Deutschland kann nicht an der Seite stehen, sondern muss sich aktiv beteiligen.”

“Eine starke europäische Initiative”

Eine solche Sicherheitszone, so Kramp-Karrenbauers Plan, solle das Ziel haben, den seit der türkischen Offensive in Nordsyrien zum Erliegen gekommenen Kampf gegen den islamistischen Terror wieder aufzunehmen. “Dazu bedarf es aus meiner Sicht einer starken europäischen Initiative.”

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits ein gemeinsames Treffen mit Frankreich, Großbritannien und der Türkei vorgeschlagen. Kramp-Karrenbauer forderte, dass der deutsch-französische Verteidigungsrat unter Einbeziehung der Briten Details ausarbeiten solle.

Russlands Einfluss berücksichtigen

Parallel will die Ministerin sowohl die Türkei als auch Russland aktiv in ihre Pläne einbeziehen. “Russland ist einer der wichtigsten Akteure in Syrien”, sagte Kramp-Karrenbauer. “Das kann einem gefallen oder nicht, aber es ist ein Fakt und damit müssen wir umgehen.”

Sie wolle Deutschlands derzeitigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für Verhandlungen ebenso nutzen wie bilaterale Gespräche mit beiden Seiten. “Die Alternative dazu wäre jetzt, als Europäer und auch als NATO einfach zuzuschauen, wie mögliche Gespräche zwischen der Türkei und Russland weiterlaufen.” 

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