Stottern – wenn die Worte nicht wollen

0
557

Sie wiederholen immer wieder einzelne Silben oder Laute. Nach dem Weg fragen oder ein Telefonat führen – für Stotterer kann das ein riesengroßes Problem sein. Geheilt werden kann Stottern nicht, aber therapiert.

“Ich vergleiche das immer mit jemandem, der Autoradio hört und keinen guten Empfang hat. Es rauscht vielleicht ein bisschen, aber es reicht, um die Nachrichten zu verstehen. Wenn dann aber eine zusätzliche Störung hinzukommt, eine Brücke oder eine enge Straße, dann bricht das Signal ab”, erklärt Martin Sommer, von der Uniklinik Göttingen, das Phänomen des Stotterns. Und der Arzt weiß, wovon er spricht, denn er ist selbst Stotterer und gehört damit zu den rund 800.000 Menschen in Deutschland, bei denen der Redefluss gestört ist. Das ist ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung – und dieser Anteil sei in jedem Land der gleiche, so der Göttinger Neurologe.

Im Alter zwischen drei und sechs Jahren beginnt das Stottern. Dann ist die Prognose noch günstig: 60 bis 80 Prozent dieser Kinder verlieren das Stottern im Laufe der Jahre von selbst, andere wiederum müssen lernen, damit zu leben – geheilt werden kann Stottern nicht. Dabei sind Männer mit 80 Prozent wesentlich häufiger betroffen als Frauen. 

Telefonieren kann für Stotterer zu einer unüberwindbaren Hürde werden

Der Redefluss ist unterbrochen

Klassische Symptome beim Stottern sind die häufigen Wiederholungen einzelner Laute, einzelner Silben oder ganzer Wörter. Neben diesen “Wie – Wie – Wie – Wiederholungen” ist auch das “Deeeeehnen” typisch für diese Erkrankung.

Und manchmal geht gar nichts mehr. Dann sind die Sprechorgane komplett blockiert: Sie stehen zwar unter höchster Anspannung, aber es dringt nichts nach außen. Die Wörter wollen einfach nicht raus, und das obwohl der Stotterer genau weiß, was er sagen möchte – aber es funktioniert eben nicht.

Viele Betroffene leiden unter erheblichen psychischen Problemen, isolieren sich, schotten sich ab. Viele versuchen auch, gewisse Wörter zu vermeiden oder auch Situationen. Dazu kann das Kaufen einer Fahrkarte gehören, ein Telefonat oder die Frage nach dem Weg. Was für Gesunde überhaupt keine Schwierigkeit ist – für einen Stotterer kann es zu einem unüberwindbaren Hindernis werden.

Viele Studien und Theorien

Wie es zum Stottern kommt, welche Störungen und feinsten Mechanismen dabei ausschlaggebend sind, das ist noch immer Gegenstand der Forschung. Seit etwa 15 Jahren werden auch bildgebende Verfahren genutzt, um das Stottern zu ergründen. Dazu gehört vor allem das MRT, die Magnetresonanz-Tomographie. Diese Methode zeichnet Bilder vom Gehirnaufbau des Menschen auf. 

MRT-Aufnahmen helfen bei der Erforschung des Gehirns

Es gebe eine ganze Reihe von Studien bei erwachsenen Stotterern, erläutert Sommer. “Die zeigen, dass es in der linken, vorderen Hirnhälfte subtile Störungen des Hirns – der Hardware quasi – zu geben scheint”, erklärt Sommer. “Salopp gesagt: Es scheint vorne links ein Problem zu geben, und wir wissen, dass es die Regionen betrifft, die für das Sprechen zuständig sind und es betrifft auch die Faserbahnen, durch die diese Regionen miteinander verbunden werden.”

Die grauen Zellen seien zwar da, aber die Verbindungen dazwischen seien gestört oder störanfälliger als bei Nicht-Stotterern. Das erschwert die Feinabstimmung der vielen Muskeln, die fürs flüssige Sprechen notwendig sind.

Auch die Genetik ist entscheidend

Stottern könnte neurologische Ursachen haben oder auch psychische, denn unter Druck verschlimmern sich bei den meisten die Störungen. Und die Genetik spielt eine große Rolle. Laut Studien könnte das auf bis zu drei Viertel der Stotterer zutreffen. In einigen Familien tritt Stottern gehäuft auf.

Das ist auch der Fall bei Dr. Reiner Nonnenberg. Sein Großvater habe gestottert, erzählt er, sein Vater, er selbst und auch sein Sohn. Während des Sprechens macht er unwillkürlich längere Pausen, in denen er nach Begriffen ringt, wiederholt immer wieder einzelne Laute. Es kann etliche Sekunden dauern, bis das Wort dann endlich raus ist.

Logopädische Behandlungen hat er nie bekommen, das sei damals noch nicht üblich gewesen. Zeit seines Lebens habe er unter dem Stottern gelitten. “Die Tatsache, dass ich noch immer in der Selbsthilfe bin, zeigt ja, dass ich ständig daran arbeite, einen Zustand zu erreichen, mit dem ich dann zufrieden bin. Ich habe Phasen, in denen ich ganz flüssig spreche und dann wieder sehr schlecht.”

Auch der griechische Gelehrte Aristoteles hat gestottert

Er ist in guter Gesellschaft, denn auch viele berühmte Persönlichkeiten waren oder sind Stotterer: Der Schauspieler Bruce Willis zum Beispiel, der britische Schriftsteller George Bernard Shaw, der Wissenschaftler Isaac Newton. Und selbst dem griechischen Gelehrten Aristoteles fehlten oft die Worte.

Reiner Nonnenberg nimmt regelmäßig an den wöchentlichen Treffen der Stotterer Selbsthilfe Köln teil. Seit ihrer Gründung im Jahr 1974 hat der Verein vor allem ein Ziel: “Wir möchten einen freimütigen und selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Stottern erlernen und dadurch ein flüssigeres Sprechen ermöglichen”, heißt es im Informationsheft. Telefontraining gehört genauso zu den Angeboten wie Vorlesen in der Gruppe oder ein Videotraining, bei dem die Teilnehmer mit Alltagssituationen konfrontiert werden.

Singen statt Sprechen

Bei Stotterern versucht die eine Hirnhälfte, die Defizite der anderen auszugleichen. “Wir wissen, dass Singen überwiegend in der rechten Gehirnhälfte geschaltet ist und bei fast allen Stotterern ungestört stattfindet”, sagt Sommer. Das Sprechen dagegen, das überwiegend in der linken Gehirnhälfte liegt, weist bei Stotterern Störungen auf.” Singen ist also kein Problem. 

Eine Methode, die helfen kann, das Stottern besser in den Griff zu bekommen ist, die Sätze so um- und neu zu formulieren, dass darin nur Wörter vorkommen, bei denen die Betroffenen eine große sprachliche Zuversicht haben und sich trauen, die Wörter auch auszusprechen. Das sind Wörter, die nicht mit Sprechangst beladen sind.”

Die Vereinigung Stottern und Selbsthilfe hat ein eigenes Logo

Eine oft angewendete Therapiemethode ist das sogenannte “fluency shaping”. Dabei werde versucht, mit einem weicheren Stimmeinsatz die Sprache so zu verändern, dass Stottern so gut wie nicht mehr vorkomme, so Sommer. “Der Preis ist dann allerdings, dass ich die ganze Zeit etwas komisch reden muss.” Die Sprache klingt sehr abgehackt wie bei einem Roboter.

Die andere große Schule ist die Stottermodifikation. “Dabei rede ich normalerweise so, wie mir der Schnabel gewachsen ist”, erklärt Sommer. “Nur an den Stellen, an denen ich hängenbleibe, versuche ich, die Sprechblockade langsam und kontrolliert aufzulösen. Der Mitentwickler dieser Methode, Charles Van Riper, hat mal einen schönen Satz geprägt: ‘Wir können uns nicht aussuchen, ob wir stottern, wir können uns aber aussuchen, wie wir stottern.'”


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Wenn Töne zu Farben werden

    Die Musikerin Kaitlyn Hova sieht die Musik, die sie spielt, in Farben. Um der Welt zu zeigen, was sie sieht, hat sie eine leuchtende Geige gebaut. Bei Menschen mit dieser Wahrnehmung verbinden sich im Kopf verschiedene Sinneseindrücke. Dies nennt man Synästhesie.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Einer aus 25

    Vier Prozent der Menschen haben Synästhesie. Das entspricht statistisch einer Person aus 25. Zum Vergleich: Nur etwa ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung sind rothaarig. Wie nehmen Menschen mit Synästhesie die Welt wahr?


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Caroline Beier

    Caroline Beier ist Ärztin in Hamburg. Ihre Synästhesie half ihr schon in der Grundschule, sich Sachen besser zu merken, denn…


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Zahlen im Gemüsestand

    …sie sieht Buchstaben und Zahlen in unterschiedlichen Farben und in 3D. Die 8 ist immer gurkengrün, die 3 immer grasgrün, die 4 immer sonnengelb und die 2 stets cremeweiß. Um sich die Quadratzahl von 18 zu merken, stellt sie sich vor, dass zwei dunkelgrüne Gurken in einem hellgrünen Gemüsestand mit gelb-weiß gestreifter Markise liegen.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Alexandra Kirschner

    Nicht nur Buchstaben, auch Töne können mit Farben verbunden werden. Das hilft Alexandra Kirschner in ihrem Beruf als Stimmbildnerin eines Knabenchores bei Stuttgart.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Wenn Töne aus der Reihe tanzen

    Sie hört unterschiedliche Stimmen in unterschiedlichen Farben. Hohe Stimmen sind oft gelb gefärbt. Tiefere Stimmen sind eher dunkelblau. Wenn jemand eine Tonleiter singt, sieht Kirschner die Töne als Kreise vor sich im Raum. Hört sie in der Tonleiter einen falschen Ton, sieht sie diesen auch. Der Kreis wird grau und unscharf und tanzt aus der Reihe.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Farbiger Tastsinn

    Wenn man eine Form der Synästhesie hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, auch weitere Verbindungen von Sinneseindrücken wahrzunehmen. Nicht nur Klänge lösen bei Alexandra Kirschner Farben aus, auch Berührungen. Kneift sie sich kurz in den Arm, erscheint in ihrem Kopf eine rosa-hellblaue Ellipse wie von einem Bleistift gezeichnet.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Rosa schmeckt nach Erdbeereis

    Andersherum können Farben auch Geschmäcker auslösen. Wenn Alexandra Kirschner einen rosafarbenen Wollpulli sieht, hat sie den Geschmack von Erdbeereis im Mund.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Auch umgekehrt – Farben werden zu Tönen

    Und es geht nicht nur in eine Richtung, dass Menschen Musik in Farben sehen. Die Musikerin Katja Krüger hört automatisch bestimmte Töne, wenn sie bestimmte Farben sieht. Die Verbindungen entstanden wie bei fast allen Synästhetikern schon als Kind – bevor sie überhaupt ein Musikinstrument spielte.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Ein roter Oboenton

    Sieht sie etwa einen roten Luftballon vor sich, hört Katja Krüger den Ton “a” von einer Oboe gespielt.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Nofretete gehört

    Einmal hat sie sogar ein Foto der Nofretete-Statue in Tönen aufgeschrieben. Wenn sie sich die Farben des Kopfes der Nofretete von unten nach oben anschaut, kann sie die in Noten übersetzen. Daraus hat sie ein ganzes Musikstück geschrieben.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Martin Schmiederer

    Manche Menschen, wie Martin Schmiederer, haben wirklich viele Synästhesieformen auf einmal. Da kann manchmal ganz schön etwas los sein. Der Wissenschaftler und Philosoph kann sich durch seine Farb- und Klangcodes etwa Textstellen gut merken. Eine Reizüberflutung erlebt er trotz seiner 21 Synästhesieformen selten. Er kann sich auf mehrere Wahrnehmungen konzentrieren, kann sie aber auch ausblenden.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Geschmack wie beim Zahnarzt

    Für ihn sind verschiedene Wahrnehmungen wie Monitore übereinander gelegt . Die Farben sieht er an unterschiedlichen Stellen im Raum. Beim kleinen “k” kann er folgendes wahrnehmen: Den Buchstaben sieht er links oben in 3D im Raum in schwarzgrün. Wenn er das “k” liest, hat er einen Geschmack wie beim Zahnarzt im Mund. Spricht er den Laut “k”, erzeugt der Ton eine Farbe, die rechts unten erscheint.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    So viel auf einmal?

    Synästhesie ist keine Krankheit, sondern einfach eine andere Art, Dinge wahrzunehmen. Die meisten empfinden ihre zusätzlichen Sinneseindrücke als angenehm, können sie aber auch in den Hintergrund schieben. Alexandra Kirschner und Martin Schmiederer erzählen aber zum Beispiel beide, dass sie keine kratzigen Wollpullover anziehen mögen, weil dieses Gefühl eine unangenehme Farbe hervorruft.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Keine Einbildung

    Synästhesie ist keine Einbildung. Ein funktionales MRT zeigt, dass Hirnareale für unterschiedliche Sinne aktiv sind. Es gibt auch genetische Zusammenhänge. Menschen mit Synästhesie haben oft Familienmitglieder mit Synästhesie. Viele Menschen wissen nicht, dass sie Synästhetiker sind, weil die Eindrücke für sie völlig normal sind. Synästhesie ist bei Frauen und Männern gleich häufig.


  • Synästhesie – wenn Sinne sich verbinden

    Ganz spontan, aber immer wieder da

    Es gibt über 80 dokumentierte Formen von Synästhesie. Alle haben gemeinsam, dass sie spontan auftreten, ohne bewusste Vorstellung. Ein bestimmter Eindruck ist immer mit dem selben anderen Eindruck verbunden und kehrt immer wieder. Berühmte Menschen mit Synästhesie sind etwa Pop-Musiker Lady Gaga (Foto) und Pharell Williams sowie Künstler Wassily Kandinsky oder Philosoph Ludwig Wittgenstein.

    Autorin/Autor: Elisa Miebach