Mut zu notwendigen Debatten: Die Verlegerin Monika Schoeller ist gestorben

0
287

Als Verlegerin des S. Fischer Verlags gab Monika Schoeller mit Reihen zum Nationalsozialismus und Feminismus wichtigen gesellschaftlichen Diskursen eine Plattform. Nun ist sie im Alter von 80 Jahren gestorben.

Seiner Schwester sei es um Werte gegangen, sagte Stefan von Holtzbrinck am Montag (21. Oktober) zum Tod Monika Schoellers: “Um Stil, Anstand und Geduld, aber vor allem auch um diejenigen, die wir in der jüngsten deutschen Geschichte so bitter und mühevoll erlernen mussten und immer wieder aufs Neue erlernen müssen: Toleranz und Mitmenschlichkeit, den Willen zu Freiheit und Gerechtigkeit.”

Monika von Holtzbrinck kam am 15. September 1939 in Stuttgart als Tochter des Verlegers Georg von Holtzbrinck und seiner Ehefrau Addy als erstes von drei Kindern zur Welt. Mehr als 20 Jahre später folgte ihr Halbbruder Stefan aus einer anderen Beziehung ihres Vaters. Monika studierte Sprachen in München, Wien, London und Paris sowie Kunstgeschichte und Germanistik in Zürich und arbeitete sich anschließend mit Volontariaten bei Artemis & Winkler sowie dem Arche Literatur Verlag in Zürich ins Verlagswesen ein. Sie heiratete den Literaturwissenschaftler Bernd Schoeller, mit dem sie 1968 eine Tochter bekam. 1974 übernahm sie von ihrem Vater die Leitung des 1886 von Samuel Fischer gegründeten S. Fischer Verlags.

1963 hatte Holtzbrinck das vom jüdischen Verleger Fischer gegründete Unternehmen übernommen – ein Vorgang, der nicht frei war von einem bitteren Beigeschmack: Der Verlag war im Nationalsozialismus “unerwünscht”, viele seiner Werke waren indiziert worden, die Eigentümerfamilie emigrierte 1936. Georg von Holtzbrinck hingegen, Sohn aus einem verarmtem Adelshaus, war 1933 der NSDAP beigetreten und nutzte diese Verbindungen, um sich das alleinige Vertriebsrecht von Zeitschriften zu sichern und seinen Wohlstand zu begründen.

Vielleicht wegen dieser Familienhistorie war es Monika Schoeller ein Anliegen, ab 1977 die “Schwarze Reihe” zu publizieren: Mit über 250 Titeln entstand eine Buchreihe, die heute als umfangreichste zur Zeit des Nationalsozialismus gilt. Der erste Band, das “Nürnberger Tagebuch”, dokumentierte die Gespräche eines amerikanischen Gerichtspsychologen mit angeklagten Kriegsverbrechern der Nürnberger Prozesse aus dem Jahr 1962.

“Schwarze Reihe” und “Frau in der Gesellschaft”

Monika Schoeller besaß ein Gespür für gesellschaftlich notwendige Debatten und den Mut, ihnen eine Plattform zu bieten. 1975 startete sie die Reihe “Die Frau in der Gesellschaft” mit Alice Schwarzers “Der kleine Unterschied und seine großen Folgen”.

Ein Affront: 1975 verlegte Monika Schoeller das feministische Interview-Buch von Alice Schwarzer

Schwarzer gab darin Interviews mit sechzehn Frauen wieder, die über Beziehungen, Sexualität und Selbstbestimmung sprachen. Der Tenor, Männer missbrauchten sexuelle Beziehungen, um Macht zu demonstrieren, sorgte über Deutschland hinaus für Empörung.

Seit 1986 überließ der S. Fischer Verlag unter Schoellers Leitung sukzessive sein gesamtes Verlagsarchiv samt Korrespondenzen und Manuskripten namhafter Autoren wie Thomas Mann, Ilse Aichinger und Boris Pasternak dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Die Erschließung und Erforschung der Dokumente förderte der Verlag durch die Finanzierung von Projektstellen und internationalen Stipendien.

Zu teuer? Da finanzierte sie aus eigener Tasche

Erst heute steht die kritische Gesamtausgabe der Werke des Wiener Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal, Mitbegründer der Salzburger Festspiele, vor dem Abschluss. Die seit 1967 betriebene Zusammenstellung wird am Ende 42 Bände umfassen, 41 liegen mittlerweile vor. Als das Vorhaben aus verlegerischer Sicht wirtschaftlich kaum mehr zu rechtfertigen war, soll Monika Schoeller das Projekt aus eigener Tasche weiterfinanziert haben. Immerhin: Das Vermögen der Mäzenin wurde zuletzt auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Ähnlich aufwendige Projekte waren die “Große kommentierte Frankfurter Ausgabe” zum Schaffen Thomas Manns sowie die “Kritische Ausgabe” der Werke Franz Kafkas.

Monika Schoeller: klug, entschlossen, mit Taktgefühl und Wärme

Nach dem Rückzug ihres Bruders Georg-Dieter Holtzbrinck hielten Monika Schoeller und Stefan von Holtzbrinck seit 2006 jeweils 50 Prozent der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, zu der heute neben dem S. Fischer Verlag und der Wochenzeitung “Die Zeit” auch Technologiefirmen und Fondsbeteiligungen für Start-up-Unternehmen gehören.

Bereits 2002 hatte sich Monika Schoeller aus dem Tagesgeschäft der S. Fischer Verlage zurückgezogen, blieb jedoch Vorsitzende der Geschäftsführung und gründete kurz darauf die S. Fischer Stiftung, die sich insbesondere der Förderung von Übersetzungen widmete und heute zu den wichtigsten Kulturstiftungen Deutschlands zählt. 2012 begründete die Stiftung gemeinsam mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung die Gesprächsreihe “Debates on Europe”. Für ihr Engagement erhielt Monika Schoeller zahlreiche Ehrungen, darunter das Bundesverdienstkreuz und die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt.

Schoeller mied die Öffentlichkeit, soweit es ging. Als ihr der Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute 2018 die Maecenas-Ehrung verlieh, bezeichnete sie sich als “nicht gesellschaftsfähig”. Wegbegleiter beschrieben sie als behutsam, klug, entschlossen sowie ausgestattet mit Taktgefühl und Wärme. Die 2017 verstorbene Autorin Silvia Bovenschen nannte Schoeller 2009 in der “FAZ” anlässlich ihres 70. Geburtstags eine mächtige Frau: “Kann Macht so aussehen? Ja, aber ganz, ganz selten nur. Sähe sie immer so aus, wir hätten kaum noch Probleme.”

Am Montag teilten die S. Fischer Verlage mit, dass Monika Schoeller am 17. Oktober nach kurzer, schwerer Krankheit in Filderstadt bei Stuttgart gestorben ist. Sie wurde 80 Jahre alt.