Woher bekommen Krimiautoren ihren Stoff?

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Krimis gehören zu den ungebrochenen Favoriten in den Buchhandlungen. Aber woher kommen all die Geschichten? Wir haben nachgefragt: bei den Krimiautoren Johannes Groschupf und Dror Mishani.

In den Buchhandlungen stapeln sich die literarischen Neuerscheinungen dieses Bücherherbstes. Auf der Frankfurter Buchmesse, die am 16. Oktober startet, wird wieder das Neueste und Aktuellste der internationalen Bücherwelt präsentiert. Verlage aus aller Welt werden sich mit aufwendigen Werbe-Events, Pressekonferenzen und exklusiven Autorengesprächen am Messestand überbieten.

Aber eine Literaturgattung braucht all diesen Aufwand nicht, weil sie seit Jahrzehnten kontinuierlich steigende Umsatzzahlen verzeichnet – und weltweit auf treue, vor allem weibliche Leserschaft setzen kann: die Kriminalliteratur.

Jedes Jahr werden Tausende von Krimis veröffentlicht, die Büchertische sind voll davon. Jedes Land hat da eigene Krimi-Traditionen. Und immer wieder tauchen neue Krimi-Genres und aktuelle Kriminalschauplätze auf. Aber woher nehmen die Krimi-Autoren ihren Stoff? Woraus ziehen sie die spannenden Geschichten, wo entdecken sie ihre Protagonisten? Wir haben während des Krimifestivals “Crime Cologne” in der Szene ermittelt.

Das Wichtigste: ein gut recherchierter Plot

“Gute Krimi-Autoren kommen häufig aus dem Journalismus”, erzählt Krimi-Expertin Ingrid Müller-Münch, die viele Jahre als Gerichtsreporterin für die Frankfurter Rundschau gearbeitet hat und heute Kriminalromane rezensiert. “Es gibt auch Polizisten, die schreiben. Und Regierungsbeamte oder Diplomaten, die plötzlich Kriminalliteratur schreiben. Es gibt sogar EU-Kommissare, die Krimis schreiben. Aber es gibt vor allem sehr viele Leute aus dem Journalismus in der Krimi-Branche, weil die einfach recherchieren können”, erklärt sie im DW-Interview.

 

“Vor dem Job im Newsroom ging ich laufen. Durch den dunklen Görlitzer Park, vorbei an Strichern und Drogendealern, jungen Männern aus Gambia, Guinea-Bissau, den Kiesweg entlang runter zum Spreeufer…” (aus “Berlin Prepper”, 2019)

Johannes Groschupf

Der Thriller “Berlin Prepper” ist der erste Kriminalroman des Journalisten Johannes Groschupf. Bislang hat er Jugendbücher und Reportagen für Zeitungen geschrieben. Nachts arbeitet er in einem großen Berliner Zeitungsverlag als Online-Redakteur, bearbeitet und moderiert die täglichen Leserkommentare im Netz.

 

“Wir waren Zensurhuren, Propagandaknechte, Dreck. Hin und wieder versetzte dieser Jargon mir einen Schlag in die Magengrube.” (“Berlin Prepper”)

 

Cover von “Berlin Prepper”

Vieles davon sind üble Hass- und Hetzkommentare, verbaler Wortmüll, der sich in jeder Redaktionsschicht auf seinem Computer-Bildschirm ausbreitet. “Diese Gewaltphantasien gehen einem schon sehr nach”, räumt er im DW-Gespräch ein. “Vieles davon ist früher vermutlich am Stammtisch – hinter vorgehaltener Hand – geäußert worden. Und jetzt wird es im Netz öffentlich.”

Im Hamsterrad der Hasskommentare

Die schlimmsten Kommentare hat Groschupf gesammelt und in seinem Roman verarbeitet. Seine Kriminalgeschichte um einen versuchten Totschlag spielt in der Prepper-Szene. Prepper sind Menschen, die Lebensmittel oder auch Waffenarsenale für einen drohenden Katastrophenfall horten.

Im Netz nennen sie sich “Rambo”, “Racheengel”, “Besorgter Bürger” oder “Achselschweiß”, erzählt Groschupf. Hemmungslos verbreiten sie Ausländerfeindlichkeit und rassistische Thesen über den Untergang des Abendlandes. “Mir ging es nicht um Einzelpersonen, sondern ganz stark um diese gewaltbereite Atmosphäre im Netz. Der Urgrund, aus dem sich solche kriminellen Taten heraus entwickeln, wie wir sie jetzt erleben.”

Der jüngste Terroranschlag vor der Synagoge in Halle zeigt, wie nah an der Realität solche Kriminalromane angesiedelt sind. “Ich habe auch den Anspruch, diese journalistische Perspektive reinzubringen”, sagt Johannes Groschupf. “Zu ermitteln, wie ticken diese Leute? Wie sieht ihr Mindset aus? Aus welchen Quellen speist sich ihr Hass.”

Der Schatten des Alltagslebens

Der israelische Schriftsteller Dror Mishani, der derzeit in Deutschland auf Lesereise ist, zieht den Stoff für seine Kriminalgeschichten – ungewöhnlich aus der Perspektive des Täters geschrieben – aus dem Alltag seiner Heimatstadt Tel Aviv. Ein Soziogramm: der ganz normale Wahnsinn eines Landes, das jederzeit von Terroranschlägen und Bombenangriffen bedroht sein kann.

Dror Mishani in der Synagoge in Köln

Martialische Militär- und Polizeipräsenz gehört dort zum Stadtbild. “Ich schreibe Bücher über die Fragilität unseres Alltagslebens”, erzählt Mishani, dessen Romane gerade die Bestsellerlisten stürmen. “Wir leben unser Leben, ohne darüber nachzudenken, dass sich alles in einer Sekunde verändern kann. Das ist auch gut so, es gibt keinen anderen Weg zu leben. Aber das ist etwas, was Literatur uns vor Augen führen kann: dass unser Leben mit all den Menschen um uns herum, die wir lieben, sich von einer Sekunde auf die andere ändern kann.”

Dror Mishani lebt und arbeitet in Israel und unterrichtet als Professor an der Universität von Tel Aviv auch Kriminalliteratur. Diese latente Bedrohung ist im israelischen Alltag Realität – für alle Menschen, jederzeit. In einem Schulbus explodiert eine Bombe, ein Heckenschütze erschießt einen Passanten, ein Autounfall am Checkpoint provoziert einen Schusswechsel. Geschichten, die das Leben in Israel jeden Tag aufs Neue schreibt, ohne dass sie die Nachrichten erreichen.

Milieustudien statt Kommissargeschichten

Mishani beobachtet seine Umgebung genau. Er hat einen Blick für die Brisanz zwischenmenschlicher Begegnungen. “Ich bin kein typischer Krimiautor. Mich interessieren Menschen, Leute auf der Straße, auch Kriminelle und deren Lebensumfeld”, sagt er.

Die Vorlagen für seine Romanfiguren sind reine Fiktion, entstehen an seinem Schreibtisch. “Ich habe sie aus den Charakterzügen sehr unterschiedlicher Menschen zusammengesetzt. Ich habe da kein reales Rollenbild vor Augen”, erklärt er im DW-Interview in der Kölner Synagoge. “Es ist mehr wie ein Tausend-Teile-Puzzle, das ich zu meinen jeweiligen Protagonisten zusammensetze. Und ein Puzzleteil bin immer ich”, lacht er, “auch bei den weiblichen Figuren.”

Busreisende in Israel – auf den Gefahren, die im israelischen Alltag lauern, beruht mitunter der Stoff von Mishanis Romanen

Große Frage: Gibt es den globalen Krimi?

“Kriminalromane sind oft lokale Geschichten”, sagt Dror Mishani, der mit klassischen Sherlock-Holmes-Geschichten aufgewachsen ist. In Israel gibt es nicht diese Tradition an Kriminalliteratur wie in England oder Deutschland. “Wenn Sie die Krimis von Henning Mankell und seinem Kommissar Kurt Wallander nehmen, da lesen Sie über diese kleine Stadt Ystad in Südschweden, in der Sie niemals waren. Und dennoch wirkt das universell: Es könnte überall spielen. Das Verbrechen könnte auch in Ihrem eigenen Hinterhof passieren.”

Für Krimi-Expertin Ingrid Müller-Münch hat die politische Aktualität in der neueren Kriminalliteratur allerdings ihre Grenzen. Immerhin zählen diese Bücher zur Unterhaltungsliteratur. “Es gibt spannende Geschichten in Krimis, die ganz nah an den aktuellen Themen sind. Wobei ich mir immer sage: Wenn ich mich den ganzen Tag mit der Flüchtlingskrise in den Zeitungen beschäftige oder mit dem Brexit, weiß ich nicht genau, ob ich dann abends noch einen Krimi lesen möchte, in dem das auch nochmal Thema ist. Also ein Krimi muss da schon einfallsreicher sein.”