Irans Nationaltorwart: “Endlich war meine Frau auch im Stadion”

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Irans Frauen feiern den ersten legalen Stadionbesuch seit 40 Jahren als Sieg gegen den konservativen Klerus. Sicherheitskräfte versuchten, öffentliche Äußerungen über das so genannte “Blaue Mädchen” zu unterbinden.

“Am Anfang konnte ich mich nicht beherrschen, Tränen liefen mir übers Gesicht”, schreibt Nafiseh in ihrer Nachricht aus Teheran an die DW. Die 35-jährige Iranerin war am Donnerstag zum ersten Mal in ihrem Leben im Teheraner Azadi-Stadion – Azadi bedeutet Freiheit. Nafiseh und knapp 4000 andere Frauen durften erstmals nach 40 Jahren Stadionverbot Karten für ein Spiel der Männermannschaft kaufen und die Partei live miterleben: das Heimspiel der WM-Qualifikation gegen Kambodscha.

Ein historischer Tag. Nicht wegen des Spiels, das Iran gegen völlig überforderte Kambodschaner mit 14:0 gewann. Das interessierte kaum jemanden in der Fußballwelt. Außer die iranischen Frauen, die dieses Spiel verfolgten. Die Weltöffentlichkeit schaute jedoch allein auf sie. 

Erwähnung des “Blauen Mädchens” verboten

Endlich im Stadion

“Es war ein bisschen unheimlich! Alle Fotografen waren fixiert auf uns. Ich kam mir wie ein Tier im Zoo vor”, sagt Donya nach dem Spiel der DW: “Ich war überrascht, wie höflich die weiblichen Sicherheitskräfte zu uns waren. Sie haben uns nur gewarnt, das “Blaue Mädchen” nicht zu erwähnen.”

Das “Blaue Mädchen” war Sahar Khodayari, Fan des Fußballvereins Esteghlal Tehran, dessen Spieler in blauen Trikots auflaufen. Mit einem langen blauen Mantel als Mann verkleidet, hatte Khodayari am 12. März versucht, ins Stadion zu gelangen. Sie war verhaftet worden, ihr hatten bis zu sechs Monate Gefängnis gedroht. Vor ihrem Prozess hatte sich die Frau selbst angezündet und war einige Tage später an ihren schweren Verbrennungen gestorben. Unter dem Hashtag #BlueGirl hatte ihr Schicksal eine weltweite Protestwelle in den sozialen Netzwerken ausgelöst.

In einem Video aus dem Azadi-Stadion vom Donnerstag, das auf Twitter gepostet wurde, sind weibliche Sicherheitskräfte zu sehen, die versuchen, eine junge Frau zu verhaften, weil sie ein Plakat mit der Aufschrift “Das blauen Mädchen” in die Kameras hielt. Andere Zuschauerinnen verhinderten, dass die Frau abgeführt werden konnte. Mehrere Videos zeigen zudem Frauen, die rufen: “Wir vermissen dich unter uns, blaues Mädchen.”

Viele Frauen mussten draußen bleiben

“Ich begreife immer noch nicht, warum uns all die Jahre der Stadionbesuch verboten wurde und warum wir alles, sogar die banalsten Sachen, so hart erkämpfen müssen”, schrieb Nafiseh nach dem Spiel.

Das Stadionverbot für Frauen wird im Iran religiös begründet. Der streng konservative Klerus behauptet, dass die Frauen vor dem Anblick halbnackter Männer und einem vulgären Umfeld im Stadion bewahrt werden müssten. Nun hat der Iran dem Druck der FIFA nachgegeben. Der Fußball-Weltverband hatte gedroht, den Iran wegen der Diskriminierung weiblicher Fans von der WM 2022 in Katar auszuschließen, wenn nicht bis zum 10. Oktober iranische Frauen freien Zugang zu Stadien erhielten.

Von den rund 10.000 Zuschauern im Stadion waren fast 4000 Frauen

Zunächst hatten die iranischen Behörden im Azadi-Stadion mit mehr als 78.000 Sitzplätzen und 72 Stadionblöcken nur eine einzige Sondertribüne für die Frauen vorgesehen – eine Tribüne für die Hälfte der iranischen Gesellschaft. Als die Tickets innerhalb weniger Minuten vergriffen waren, wurde ein zweiter, dritter und dann vierter Block geöffnet. 

“Ich habe viele Frauen vor dem Stadion gesehen, die gerne ein Ticket kaufen wollten, um mit uns hereinzukommen”, sagt Donya der DW. “Sie mussten jedoch draußen bleiben, obwohl so viele Sitzplätze im Stadion noch leer waren.”

“Das haben wir registriert”, versicherte der ehemalige französische Nationalspieler Youri Djorkaeff im Gespräch mit iranischen Frauen, die kein Ticket kaufen konnten. Der 51-Jährige gehörte zu einer Beobachter-Delegation, die von der FIFA zum Spiel geschickt worden war. “Wir kennen alle Einzelheiten und werden in den kommenden Spielen mit dem iranischen Fußballverband zusammenarbeiten, um dieses Problem zu lösen”, versprach der Weltmeister von 1998.

Die FIFA fordert, dass Frauen künftig in iranischen Stadien nicht nur Spiele der WM-Qualifikation, sondern auch andere internationale Partien ansehen dürfen. Nicht nur die Frauen im Iran feierten den historischen Stadionbesuch am Donnerstag als großen Erfolg in ihrem jahrzehntelangen Kampf gegen die strengen Vorschriften des erzkonservativen Klerus und gegen ihre Diskriminierung. Nach dem Abpfiff liefen die Nationalspieler um Kapitän Massud Schodschaei zu den Frauen-Tribünen und bedankten sich für die Unterstützung. “Nun ist mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen”, sagte Torwart Alireza Beiravand. “Meine Frau war auch im Stadion.”