Polen: Starke Wirtschaft – teure Wahlversprechen

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Polen wählt ein neues Parlament, die regierende PiS-Partei unter Jaroslaw Kaczynski hat alle Chancen, weiter an der Macht zu bleiben. Und die polnische Wirtschaft? Die brummt – egal, wer regiert. Wirklich?

Warschau und seine Skyline

“It’s the economy, stupid!” Von wegen! Der zum geflügelten Wort geronnene Slogan des Bill Clinton aus dem Jahr 1992, nach dem die Wirtschaft entscheidend für Wahlsiege sei, gilt für Polen nicht. Oder wenn, dann nur auf Umwegen. Denn: Bevor die konservative PiS, die Partei “Recht und Gerechtigkeit” an die Macht kam, wuchs die Wirtschaft im Land weit über EU-Standard. Und auch Jahre später, vor den Parlamentswahlen am kommenden Wochenende, hat Polen Wachstumsraten zu bieten, die jeden west-europäischen Politiker vor Freude taumeln lassen würden. Im letzten Jahr wuchs die Wirtschaft um 5,1 Prozent – für dieses Jahr legte die EU-Kommission eine Schätzung von 4,4 Prozent vor.

“Die PiS-Regierung hat in punkto Wirtschaftslage einfach Glück gehabt”, sagte der Ökonom Leszek Balcerowicz unlängst der “Neuen Zürcher Zeitung” – will sagen: Sie kann eigentlich nichts dafür. Das Urteil des Mannes mag etwas gelten, er verordnete Polen in den längst vergangenen neunziger Jahren eine wirtschaftliche Schocktherapie, die die Grundlagen für den späteren Erfolg legte. Im Guten wie im Schlechten

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Städter und Abgehängte

Zum “Guten” zählen zweifelsfrei die Wachstumsraten, der Aufbau florierender Unternehmen, der Ausbau der Infrastruktur, der Wandel mancher polnischer Großstadt zur europäische Metropole. Zum “Schlechten” gehört in Polen (wie in anderen europäischen Ländern) eine wachsende Spaltung zwischen arm und reich, zwischen Stadt und Land. Wohlhabend, wenn nicht gar reich, wurden die Städter, die Leute auf dem Land fühlten sich abgehängt (auch wenn sie heute deutlich besser dastehen als vor zwanzig Jahren).

Das Einkommen der Polen in den Städten ist zwischen 2004 und 2016 um 94 Prozent gestiegen, der Anstieg auf dem Land war sogar noch höher – aber immer noch sagt nur jeder fünfte Landbewohner, der eigene Lohn sei ausreichend. Vier Fünftel denken also, sie hätten nicht wirklich genug zum Leben, und in Polen leben 15 Millionen der insgesamt rund 37 Millionen Einwohner auf dem Land.

Europäische Metropole: Cafe-Bar in Breslau

Vollbeschäftigung

Da hilft auch wenig, dass im Land insgesamt praktisch Vollbeschäftigung herrscht: Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,7 Prozent; rund 1,5 Millionen Zuwanderer aus der Ukraine sorgen dafür, dass freie Stellen überhaupt besetzt werden können. Die Löhne jedenfalls ziehen auf diesem Wege ordentlich an und seit Jüngstem auch der private Konsum.

Aber an dem Gefühl vieler Landbewohner (und mancher Städter), abgehängt zu sein, ändert das nur wenig. Und hier hat die PiS erfolgreich angesetzt: Die konservative Partei betreibt Umverteilungspolitik mit anderen Vorzeichen, und darüber spricht der starke Mann im Land, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, im Blick auf die Vorgängerregierungen auch ganz unumwunden: “Die Wahrheit ist: Die haben Umverteilung betrieben. Was wir machen, ist Sozialpolitik!” So zitierte die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” unlängst den Wahlkämpfer Kaczynski.

Diese Art der “Sozialpolitik” hat den Lebensstandard vieler einfacher Polen angehoben: Ein zentraler Baustein war das Kindergeld “500+”, das erst für jedes Kind ab dem zweiten Sprössling gezahlt wurde und nun auch für das erste Kind gelten soll. 500 Zloty oder umgerechnet rund 115 Euro pro Kind sind bei einem in Polen üblichen Durchschnittseinkommen von nicht mal 1000 Euro im Monat eine Menge Geld.

“Wahlwürstchen”

Auch nahm die PiS-Regierung das kurz zuvor angehobene Rentenalter wieder auf 65 Jahre zurück. Für Mieter ohne hohes Einkommen gibt es ein staatliches Förderprogramm “Wohnung+”. Mit solchen Programmen hat die PiS nun weiter Wahlkampf gemacht: Für Ältere soll es eine 13. Monatsrente geben, für Jüngere die Befreiung von der Einkommensteuer bis zum 26. Lebensjahr. Dazu kommen Fördergelder für die Bauern und Investitionen in Bahnverbindungen auf dem Land.

Wahlkämpfer – PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski

Regierungschef Morawiecki erwartet denn auch, dass das durchschnittliche Haushaltseinkommen in Polen im Jahr 2030 den EU-Standard erreicht haben wird; 2014 lag es noch bei 69 Prozent.

Angesichts der Erfolge der PiS verhallen manche Unkenrufe der Kritiker. Hieß es anfangs bei der Ankündigung des Kindergelds, das würde der polnische Staat nicht verkraften, so legte die Regierung jetzt einen ausgeglichenen Haushalt vor. All die neuen Wohltaten, die in Polen als “Wahlwürstchen” verspottet werden, dürften nach Schätzungen rund 40 Milliarden Zloty (also etwa 10 Milliarden Euro) kosten. Gleichzeitig aber konzedieren Kritiker, dass die Ausgabenprogramme den Konsum anfachen. Und die Einnahmen des Staates sind durch rigorosere Kontrollen bei der Mehrwertsteuer um rund 10 Milliarden Euro jährlich gewachsen. Pleite sieht anders aus.

Diese Zehn-Milliarden-Summe entspricht übrigens in etwa dem, was Polen netto durch die EU-Programme bekommt und vielfach einsetzt – man kann es im ganzen Land an neuen Brücken oder Straßen sehen.    

Propaganda und Verlierer

Und die Verlierer? Rund 100.000 Frauen, kann man in der Presse nachlesen, haben sich vom Arbeitsmarkt verabschiedet, das Kindergeld macht’s möglich. Und die Kritik an den hohen Kosten der Umverteilung mittels “Wahlwürstchen” wird auch nicht wirklich leiser: “Erst verteilen sie fremdes Geld, um ihre Macht zu festigen”, warnt Ökonom Balcerowicz. “Später kommen höhere Steuern und Schulden. Für die PiS-Verteilungspolitik wird jemand bezahlen müssen.”

Der Ökonom Marcin Piątkowski von der Weltbank hält dagegen: “In den vergangenen vier Jahren hat Polen unter der PiS weiter hohes Wachstum gehabt – obwohl die Wirtschaft im Rest Europas nicht gerade einen Boom erlebt hat”, sagte er dem “Spiegel”. “Polens Verschuldung ist heute geringer als vor vier Jahren.”

Auf Dauer aber, da sind sich Piątkowski und Balcerowicz einig, kommt das Land nicht ohne vermehrte Investitionen aus dem Ausland zurecht – zumal die Jahre längst vergangenen sind, als Polen eine Art Werkbank für westeuropäische Konzerne war. Jetzt ist höherwertiges Wachstum gefragt, und die Exportentwicklung Polens ist bisher ja vielversprechend (siehe Grafik). Schon jetzt sind in Regionen wie der Gegend um Breslau Firmen wie  Google, Bosch oder Hewlett-Packard aktiv, Volkswagen hat große Fertigungsanlagen in Posen, Daimler baut Motoren und nun auch Batterien in Polen. Für solcherart Investoren, die international heftig umworben werden, könnte die andere Seite des Machterhalts der PiS zum Problem werden.

Die rechte Seite der PiS-Macht – Demo zum Unabhängigkeitstag

Wie andere populistische Kräfte in Europa setzt die Rechtspartei auf Propaganda gegen Muslime, Homosexuelle, die Eliten und EU-Politiker. Pluspunkte für die Imagewerbung sind das nicht. Noch gehört das zum funktionierenden Bild der Partei als Verteidiger der kleinen Leute. Bisher scheint auch der Umbau der Justiz im Land nach dem Gusto der Regierungspartei oder der PiS-Zugriff auf die Medien eher dem Machtausbau genutzt zu haben, als Partner und Investoren aus dem Ausland nachhaltig abgeschreckt zu haben. Kritiker Balcerowicz blickt aber in die Zukunft: “Der Schaden der PiS-Politik ist noch nicht sichtbar. Er wird verdeckt vom Boom.”

(mit Archivmaterial)