Wiedergutmachung? Erstmalig werden zwei Literaturnobelpreise verliehen

0
223

Sexuelle Belästigung, Korruption, Absage der Verleihung – nach dem Skandaljahr 2018 werden in diesem Jahr zwei Schriftsteller geehrt. Auch eine neu besetzte Jury soll den Ruf der Schwedischen Akademie wiederherstellen.

In der Geschichte des Literaturnobelpreises war 2018 wahrlich kein gutes Jahr. Vorwürfe wegen sexueller Belästigung, Vergewaltigung, Korruption, Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht – Monat für Monat häuften sich die Skandale rund um die Schwedische Akademie. Am Ende des Jahres hatte sich die einst ehrwürdige Literaturinstitution mit öffentlich ausgetragenen Kämpfen nahezu selbst zerfleischt. Ausgelöst wurde die wohl schwerste Krise der Akademie durch Enthüllungen rund um Jean-Claude Arnault, Ehemann des einstigen Gremium-Mitglieds Katarina Frostenson. Er soll Akademiemitglieder, deren Frauen oder Töchter belästigt haben, in einem Fall wurde er wegen Vergewaltigung verurteilt.

In Folge des selbstzerstörerischen Umgangs mit dem Skandal folgten eine Reihe von Austritten des ursprünglich 18-köpfigen Gremiums, das zwischenzeitlich aufgrund von Unterbesetzung sogar handlungsunfähig wurde. Die Vergabe des Literaturnobelpreises 2018 wurde schließlich gestrichen.

“Es gibt blaue Flecken”

Nur langsam glätten sich die Wogen, sorgfältig wurde eine Vielzahl von neuen Mitgliedern – schwedische Schriftsteller, Übersetzer und Philosophen – ausgewählt, das letzte erst im Mai diesen Jahres. Eigens dafür änderte der schwedische König Carl Gustaf sogar die Statuten, da die Akademiemitglieder eigentlich auf Lebenszeit gewählt wurden. 

“Es ist schmerzhaft gewesen. Es gibt blaue Flecken”, gab Mats Malm auf der Buchmesse in Göteborg zu. Der Literaturhistoriker und Übersetzer ist eines der neuen Mitglieder und nun auch Ständiger Sekretär der Akademie, nachdem Vorgängerin Sara Danius zurückgetreten war. Neu in diesem Jahr sind auch fünf externe Berater, Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer, die zusätzlich für neuen, unabhängigen Wind bei der Entscheidungsfindung sorgen sollen.

Schlussstrich?

Um einen Schlussstrich unter das Skandaljahr zu ziehen und das Vertrauen in die Schwedische Akademie zurückzugewinnen, sollen nun zwei Preise verliehen werden: rückwirkend einer für 2018 und ein weiterer für 2019. Aber ist es als Preisträger nicht undankbar, sich die Weltöffentlichkeit an diesem literarisch ehrwürdigen Tag zu teilen?

“Die Preise und die Preisträger von 2018 und 2019 werden gleichermaßen geschätzt, und wir glauben, dass die Aufmerksamkeit und der Ruhm reichlich sein werden für beide”, sagte Malm. Schließlich gehe es ja nicht nur um Anerkennung einer einzelnen Person, sondern um die Wertschätzung der Weltliteratur.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Wollte nicht reden: Bob Dylan

    Als erster Musiker erhielt 2016 Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur. Die Musikwelt feierte ihn dafür. Doch Dylan distanzierte sich und schien wenig interessiert an der hohen Auszeichnung zu sein. Er sagte seine Teilnahme an der Preisverleihung ab und schickte auch keine Rede zum Verlesen. Im März 2017 kam er dann doch kurz in Stockholm vorbei und holte sich seine Medaille.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Späte Ehre für den Erstling: Thomas Mann

    Als Thomas Mann 1929 den Preis bekam, war es nicht etwa für seinen gerade erschienenen “Zauberberg”. Er wurde für seinen Debütroman “Die Buddenbrooks” ausgezeichnet. Der war allerdings schon fast 30 Jahre alt. Da der Jury aber der Zauberberg zu “weitschweifig und schwerfällig” vorkam, entschied man sich für das ältere Werk: “Ein Höhepunkt in der zeitgenössischen Romandichtung schlechthin”.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Auch keine Literatur. Aber starke Worte: Winston Churchill

    Eigentlich wäre der britische Premierminister Sir Winston Churchill ein Kandidat für den Friedensnobelpreis gewesen – zweimal stand er auf der Nominierungsliste. 1953 bekam er den Preis – allerdings für Literatur. Die Jury lobte seine “Meisterschaft in der historischen und biografischen Darstellung”, sowie seiner glänzenden “Redekunst, mit der er menschliche Werte verteidigt”.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Durfte den Preis nicht annehmen: Boris Pasternak

    Der sowjetische Autor, weltberühmt für seinen Roman “Doktor Schiwago”, wurde 1958 ausgezeichnet. Seine Regierung allerdings drohte ihm mit Ausbürgerung, sollte er den Preis annehmen. Pasternak gab nach – was ihm postwendend den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband der UdSSR bescherte. Trotz allem blieb Pasternak in der Sowjetunion. Sein Sohn holte die Nobel-Medaille 1989 in Stockholm ab.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Wollte nur das Geld: Jean-Paul Sartre

    1964 sollte der französische Dramatiker und Philosoph Jean-Paul Sartre den Nobelpreis erhalten. Der jedoch lehnte überraschenderweise ab (“Jeder Preis macht abhängig.”) Man sagte ihm nach, dass er Jahre später vorsichtig beim Nobelpreiskomitee vorsprach, ob er die 273.000 schwedischen Kronen nicht vielleicht doch noch bekommen könnte. Doch das ist wohl nur eine angedichtete Anekdote.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    “Keine Literatur”: Dario Fo

    Er sei doch nur ein “unterhaltsamer Gaukler und kein Autor von Weltrang”, gab die empörte Literatur-Elite von sich, als der italienische Dramatiker Dario Fo 1997 ausgezeichnet wurde. Als Satiriker schlug Fo mit seinen eigenen Waffen zurück. Seiner Rede in der Schwedischen Akademie gab er den Titel “Gegen freimütige Gaukler” und machte aus der ehrwürdigen Preisverleihung eine Satireshow.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Zu viele Menschen: Elfriede Jelinek

    Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek wollte nicht zur Preisverleihung kommen, als sie 2004 geehrt wurde. Sie hatte Angst vor großen Menschenmengen und plötzlicher Popularität: “Ich bin psychisch nicht in der Lage, mich dem persönlich auszusetzen.” Das musste auch das Nobelkomitee so hinnehmen. Immerhin hielt Jelinek ihre Nobelpreisrede trotzdem: per Videobotschaft.


  • Skandale rund um die Literaturnobelpreis-Akademie

    Mit dem Tod bedroht: Salman Rushdie

    Weil er “Die satanischen Verse” (1988) als Gotteslästerung empfand, setzte Irans Führer, Ajatollah Khomeini, ein Kopfgeld auf den indisch-britischen Autor aus, der jahrelang versteckt leben musste. Die Akademie schwieg dazu, aber zwei Jury-Mitglieder legten ihr Amt nieder. Erst 27 Jahre später verurteilte die Akademie die Todesdrohung, zeichnete Rushdie aber nie mit dem Literaturnobelpreis aus.

    Autorin/Autor: Silke Wünsch


Malms Vorgängerin Sara Danius hält die Doppel-Vergabe für einen Fehler. Aus Respekt gegenüber den Opfern der sexuellen Übergriffe sollte man die Preisvergabe nicht nachholen. “So hätte man in Erinnerung behalten können, dass tatsächlich etwas passiert ist. Wie ein Sprung in der Scheibe”, sagte die schwedische Literaturwissenschaftlerin im März 2019 im schwedischen Fernsehen.

Spekulationen und Wettquoten

Da nun zwei Preise vergeben werden, sind die Spekulationen um mögliche Preisträger noch vielfältiger. Wird sich die Akademie beispielsweise auf “sichere”, weltweit anerkannte Schriftsteller einigen? In jedem Fall einen der beiden Preise an jemand wenig Bekanntes vergeben? Oder für Kontroversen sorgen wie bei der Preisverleihung 2016 an Bob Dylan? Wer nun genau zur Auswahl steht, das bleibt traditionell für 50 Jahre unter Verschluss. Nach Informationen der Nachrichtenagentur DPA ist zumindest die Anzahl der Kandidaten bekannt: Für 2018 sollen es 194, für dieses Jahr 189 sein.