SISA – Griechische Modedroge zwischen Mythos und Tabu

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Als griechisches Chrystal Meth hat die Droge Sisa internationale Bekanntheit erlangt. Für die Konsumenten spielt das keine Rolle. Sie sind die Opfer einer Tabugesellschaft.

Auf der Aristoteles-Straße in Thessaloniki steht die Statue des ehemaligen griechischen Premierministers Eleftherios Venizelos. Er gilt als Gründer des neuen Griechenlands: christlich, frei und moderner Vertreter der antiken Vorfahren.

Hier, im Schatten seiner Statue aber ist wenig zu spüren vom hellenistischen Nationalstolz. Es ist der Sammelplatz der “Petameni”, der “Weggeworfenen”, wie man sie nennt; verarmte Alkoholiker und Drogensüchtige, oft ohne festen Wohnsitz. 

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Chrystal Meth ist schon für sich eine stark zerstörende Droge. Gepanscht wird sie zur Todesfalle.

Insider wissen: Hier befindet sich einer der Hauptumschlagplätze für eine Substanz, die unter der Bezeichnung “Sisa” bekannt ist und als griechisches Chrystal Meth inzwischen internationale Bekanntheit erlangt hat.

Keine griechische Erfindung

Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich die Praxis des Psychiaters Kleanthis Grivas. Er gilt als Experte in Fragen Sucht und Drogen, beides Dinge, die in Griechenland gern tabuisiert werden.

Gerade Thessaloniki gilt als konservativ und verschlossen, wenn es um heikle Themen geht. Auch deswegen behaupten die meisten, dass man hier mit dem berüchtigten Sisa keine Probleme habe. Das, so die weit verbreitete Meinung, sei eine Athener Angelegenheit.

Darüber kann Grivas nur lachen. Überhaupt könnte für ihn der Umgangmit dem Phänomen Sisa in seinem Land kaum schlechter sein.

Das finge schon beim Namen an: Das Wort Sisa stammt aus dem Arabischen. Dort, sowie in vielen südosteuropäischen Sprachen bedeutet es “Flasche” – oder auch “Wasserpfeife”.

“Diese Etikette gefällt mir nicht. Das führt nur zur Verwirrung. Besser man sagt, wie es ist: gestrecktes Methamphetamin.” Das trifft es wohl am ehesten. Gestreckt wird mit allem, was man sich vorstellen kann, Chlor, Alkohol, Batteriesäure. Das drückt den Preis: Nur zwei bis drei Euro kostet eine Dosis auf den Straßen Thessalonikis.

Auch, dass Sisa eine griechische Erfindung sei, hält Grivas für einen mediengemachten Mythos: “Die Frage ist doch, wo der eigentliche Wirkstoff produziert wird, also das Methamphetamin.” Und das käme aus dem Ausland. In Griechenland würde es in Garagenlabors dann einfach gestreckt. 

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Armut und Hoffnungslosigkeit bereiten den Markt für billige und dreckige Drogen.

Am Ende der Leiter

Den Konsumenten dürfte das egal sein. Selbst die fatalen körperlichen Nebenwirkungen scheint sie nicht zu kümmern. Die Droge wirkt schnell, lässt aber auch schnell an Wirkung nach.

So sind die Süchtigen ständig auf der Suche, am Venizelos-Denkmal oder in den dunklen Gassen rund um den Bahnhof, im Bezirk Vardaris. Vardaris ist ein Ort, der wenig zu tun hat mit dem nationalstolzen Selbstbild der Griechen. Statdessen herrscht dort Prostitution, auch durch Transsexuelle, Drogen, soziale Armut.

Süchtige gehören hier zum gewohnten Bild und fallen kaum auf. Bei harten Sisa-Konsumenten ist das anders. Die Nebenwirkungen des gestreckten Methamphetamins lassen die Konsumenten in kürzester Zeit altern.

Auch deswegen heben sie sich von den gewohnten Heroinsüchtigen oder Alkoholikern ab: Eingefallene Gesichtszüge, zerstörte Gebisse, skelettartige Körper.

“Sisa ist der letzte Schritt in der Karriere eines Drogensüchtigen”, erklärt Damianos Douitsis. Er selbst war jahrelang alkohol- und substanzabhängig und leitet inzwischen die private Suchthilfe OASIS im Zentrum von Thessaloniki. Hier werden  Betroffene von ehemals Süchtigen psychologisch betreut.

Sisa-Konsumenten aber wenden sich kaum an ihn und seine Einrichtung. Die meisten hätten den Kampf gegen die Sucht lange aufgegeben: “Menschen, die mit Sisa in Kontakt kommen, sind keine Neulinge in der Welt der Substanzen”, erklärt Douitsis. Ihre Vorgeschichte umfasse Marihuana, Pillen und Alkohol.

Viele der Sisa-User hätten auch schon eine Heroinkarriere hinter sich und könnten sich den Stoff nicht mehr leisten. “Das sind Menschen, die alles nehmen, was ihnen einen Kick gibt. Sie kaufen, was auch immer ihnen auf der Straße angeboten wird.” 

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Hilfsangebote für Drogenabhängige, wie dieser Versorgungsbus in Athen, erreichen nur wenige Betroffene.

Staatliche Hilfe unzureichend

Douitsis weiß aus eigener Erfahrung, wie die Situation für Süchtige in seinem Land ist: “Als ich abhängig war, habe ich irgendwann nach Hilfe gesucht. Ich war bei Psychiatern und in den Einrichtungen, die es damals gab. Aber dort habe ich keine Lösung gefunden.” Man habe nur auf die körperlichen Seiten der Sucht geschaut, nicht aber auf die psychologischen. 

Trotz der vielen Therapiemöglichkeiten, die seitdem entwickelt wurden, habe sich von Seiten des griechischen Staates kaum etwas getan. Dieser halte das Monopol auf Suchtbehandlung und lasse privaten Initiativen wie OASIS kaum Möglichkeiten, mit neuen Therapieformen Einfluss auf das System zu nehmen.

Wenn Politiker sich interessiert zeigten, dann sei dies vor allem im Rahmen von Wahlkampfveranstaltungen und Fototerminen. Probleme angehen und Tabus brechen? Fehlanzeige.

Kleanthis Grivas kann dem nur zustimmen: “Wirklich gute Hilfe findet man hier nicht. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Griechenland keine Institutionen oder Stiftungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen.”

Hinzukommt die bürokratische Mentalität, nicht nur im Gesundheitswesen, sondern überall im Land. “Wenn man hier an den entsprechenden Stellen nach Hilfe fragt, wird man sie meistens nicht bekommen, auch wenn es sie gibt. Dazu fehlt den öffentlichen Angestellten einfach die Laune.” Und im Gesundheitssystem würden Menschen, die mit Suchtproblemen kämen, wie Menschen zweiter Klasse behandelt. 

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Süchtig nach Schmerzmitteln

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Süchtig nach Schmerzmitteln

Perspektivlosigkeit nach der Wirtschaftskrise

Im Griechenland der Postkrise – der Ära nach der Schuldenkrise – sind Drogen voll im Trend, gerade in gepantschter Form. Die Wirtschaftskrise hat das Land in einem desaströsen Zustand hinterlassen. Die Perspektivlosigkeit lässt gerade junge Menschen immer öfter in die Suchtspirale gleiten.

Zwar ist die Jugendarbeitslosigkeit gesunken. Doch die Gehälter sind mickrig. Oft reicht es bei einer Vollzeitstelle nicht einmal für eine eigene Wohnung. Die Existenzangst einer von Unsicherheit bestimmten Gegenwart ist dem stillen Einverständnis darüber gewichen, dass die Zukunft nichts Gutes mit sich bringen wird.

Damianos Douitsis hat dafür Verständnis. Zwar weiß er als ehemaliger Süchtiger, dass es im Endeffekt darum geht, für sich Verantwortung zu übernehmen, um die Krankheit zu überwinden.

Trotzdem wünscht er sich einen offeneren Umgang mit dem Thema, gerade von Seiten des Staates: “Die Entscheidungsträger müssen sich darüber klar werden, wo das eigentliche Problem liegt. Wenn man hier als Süchtiger nur ermahnende Worte hört oder ausgelacht wird, dann ist das keine Lösung. Und wenn man Süchtigen, die kein Maß kennen, sagt, hör mit den Drogen und trink lieber gemäßigt Alkohol, dann zeigt das, dass man nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht.”

So steht für Douitsis fest: Solange die eigentlichen Probleme tabuisiert würden, gibt es auch immer Platz für Substanzen wie Sisa. 

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    Autorin/Autor: Nicolas Martin