Brasiliens Kampf gegen Dengue: ein Rennen gegen die Zeit

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Die Zahl der Dengue-Erkrankungen im Land ist 2019 um 600 Prozent gestiegen. Unsere Reportage aus dem Bundesstaat Sergipe zeigt, warum der Kampf gegen die Krankheit und ihren Überträger, die Tigermücke, so schwierig ist.

Vanesca Barbosa hält eine Karte des Viertels Palestina in den Händen. Überall, wo rote Punkte zu sehen sind, werde man heute nachschauen, sagt die Gesundheitssekretärin von Aracajú, der Hauptstadt des Bundeslandes Sergipe im Nordosten Brasiliens. Denn die roten Punkte sind potenzielle Brutstätten für die Ägyptische Tigermücke: “Schüsseln, Eimer, Waschbecken, Wassertanks, alles wo sich Wasser sammelt. Achtzig Prozent aller Probleme konzentrieren sich in den Häusern der Menschen”, erklärt Barbosa.

Die Tigermücke, in Deutschland bekannter als Gelbfiebermücke, überträgt allerlei Viruserkrankungen: darunter auch Chikungunya, Zika und Dengue. Alle drei Virus-Erkrankungen breiten sich in Brasilien aus. Vor allem aber Dengue: 1,4 Millionen Fälle wurden seit Jahresbeginn registriert, sechsmal so viele wie im Vorjahreszeitraum.

Tage zuvor hatte ein Team des städtischen Umweltamtes mit Drohnen das Viertel in der armen Peripherie der Stadt abfotografiert und dann aus 989 Einzelaufnahmen die Karte zusammengesetzt. Nun ist man mit 120 Mann angerückt, fünfzig davon Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, die von Haus zu Haus gehen, um eins nach dem anderen zu kontrollieren, dazu noch siebzig Angestellte der Stadtreinigung.

Anhand von Drohnenbildern erstellt das Gesundheitsamt von Aracajú eine Karte mit potenziellen Brutstätten

Aus dem Garten von Elaine Lorenço schleppen sie alte Sofas, Autoreifen und Plastikmüll. Die Nachbarn, sagt die 32-Jährige, hätten das einfach über ihren Zaun geschmissen. “Wir bitten sie, keinen Müll mehr rüber zu schmeißen, aber sie tun es trotzdem, mitten in der Nacht oder morgens früh.” Sammelt sich in dem Müll Wasser an, wird es zur perfekten Brutstätte für die Dengue-Moskitos.

“Sie glauben oft nicht, dass es Dengue wirklich gibt”

Elaine hat Angst um ihre Familie. Ihr Neffe habe zuletzt 15 Tage im Krankenhaus verbracht, mit Dengue, ihre Mutter auch. Sie selbst hat ein neun Monate altes Baby und eine sechsjährige Tochter, die krank werden könnten. Genau wie der vierjährige Antony, der fleißig beim Aufräumen mithilft.

Zwei Straßen weiter schaut sich Ronisy Santos vom Gesundheitsamt in einem Hinterhof um. Die Hunde der alten Dame, die hier wohnt, wollten sie erst gar nicht an das Waschbecken vorlassen. Wonach schaut sie zuerst? “Nach Wasserreservoirs, um zu gucken, ob es hier Larven gibt.” Auch in den großen blauen Wassertanks, die auf den Dächern der meisten Häuser stehen, nisten die Mücken: “Die werden sehr häufig offen gelassen, und dann brüten die Larven da”, sagt Santos. “Wir sind stets bei den Leuten, erklären es ihnen, aber sie kapieren es leider oft nicht.”

Die Männer und Frauen des Gesundheitsamtes wissen schon, wo die größten Schwierigkeiten liegen: “Es sind oft die alten Leute, die nicht glauben, dass es Dengue wirklich gibt. Egal wie oft wir es erklären, sie akzeptieren das einfach nicht”, sagt Edina Andrade Pereira vom Gesundheitsamt. “Das ist genau so wie bei den Impfungen, die sie auch nicht wollen, weil sie glauben, dass sie schädlich sind”, fügt ihre Kollegin Vanesca Barbosa hinzu.

Jeder Behälter unter freiem Himmel kann den Tigermücken als Brutstätte dienen, sobald sich Wasser darin sammelt

Die Rückständigkeit und das mangelhafte Wissen werden den Menschen so zum Verhängnis. “Das ist kulturell bedingt”, sagt Gesundheitssekretärin Vanesca Barbosa. Man treffe in manchen Häusern auf ganze Müllberge. “Und die Leute halten das für normal. Dabei ist das ein Risiko für die ganze Nachbarschaft.” Die schlimmsten “Müllsammler” sollen nun psychologisch betreut werden, um ihr Verhalten zu ändern, so Barbosa.

Das Fieber kommt in die Stadt

In Sergipe breite sich Dengue in diesem Jahr vermehrt auch an der regenreichen Küste aus, berichtet Sidney Sá, die in der Landesregierung für die Bekämpfung von Epidemien zuständig ist. Zuvor sei das Fieber vor allem im trockenen Hinterland vorgekommen: “Der Wassermangel, der viele Kommunen betrifft, zwingt die Menschen, Wasser zu horten, und das machen sie dann auf die falsche Art und Weise.” Allzu häufig müssen die Mitarbeiter von Sás Team Insektizide in die offenen Wassertanks streuen.

Gemeinsam mit der Stadtreinigung versucht das Gesundheitsamt, die Verbreitung der Tigermücke zu verringern

Seit Jahren zieht Sás Trupp durch Sergipe und klärt die Bevölkerung auf. Doch das Dengue-Fieber, sagt sie, halte sich hartnäckig. Manche Bewohner, berichtet Sá, filtern das Wasser oder kochen es ab, bevor sie es trinken, um die Moskito-Larven zu töten. Sie verstünden nicht, dass Dengue durch den Stich der Mücke übertragen wird, nicht durch das Trinken des verseuchten Wassers, sagt Sá: “Wir sind darauf angewiesen, dass die Bevölkerung das Problem versteht, und wir bitten sie auch um ihre Mithilfe.” Doch oft nütze das nichts.

Hinzu komme das planlose Ausufern der Städte, die Zerstörung der Natur sowie das aus den Fugen geratene Klima mit seinen ungewöhnlichen Regenzeiten – all das seien Faktoren, von denen die Mücken profitieren. Zudem fehlt Sá immer mal wieder geeignetes Personal sowie schlicht und einfach das Geld für ihre Aktionen. Und ab und zu sogar die Insektizide für die Mückenbekämpfung.

Aktuell zählen die Behörden von Sergipe rund 4000 Dengue-Fälle, bei 2,3 Millionen Einwohnern im Bundesstaat. Das sind viel mehr als im vergangenen Jahr, aber in anderen Regionen sind die Zahlen noch höher. Und auch in Sergipe gab es schon einmal viel mehr Fälle: “Bei der letzten großen Epidemie, im Jahr 2008, hatten wir 70.000 Fälle mit 56 Toten”, sagt Sá. Dennoch hält sie das Risiko auch dieses Mal für groß: “Diese Epidemie verhält sich anders: Wir haben zwar viel weniger Fälle, aber trotzdem schon zwölf bestätigte Todesfälle.”

In den meisten Fällen handele es sich um den Dengue-Typ 2. “Diese Form zeigt sich viel aggressiver, mit kurzen Zeitspannen zwischen den ersten Symptomen und dem Eintritt des Todes.” Für die Trupps in den Städten und auf dem Land wird die Mückenbekämpfung so zu einem Rennen gegen die Zeit.