Widerstand gegen Reality-Shows in Serbien

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Primitive Beschimpfungen, Gewalt und Sex vor der Kamera: Keine Seltenheit in Reality-Shows, die in Serbien produziert werden. Ein junger serbischer Jurist möchte das ändern. Dragoslav Dedovic traf ihn in Belgrad.

Savo Manojlović: “Auf einmal sieht man, dass man nicht allein ist”

In einem durchschnittlichen serbischen Haushalt läuft der Fernseher fast ununterbrochen, auch Kinder dürfen meistens lange vor der Glotze sitzen. Besonders beliebt sind Reality-Shows, die von Privatsendern fast rund um die Uhr ausgestrahlt werden. Die typischen Teilnehmer reichen von psychisch labilen Persönlichkeiten bis hin zu bekannten Kriminellen. Rüdes Verhalten, Beschimpfungen, genüsslich dargelegte intime Details, Gewalt und Sex gehören zum Standardrepertoire.   

“Die Erniedrigungen, die die Teilnehmer der Show erleiden müssen, sind ein Trost für die eigenen miesen Lebensumstände und das Leiden der Zuschauer”, sagt die Psychologin Aleksandra Djurić, die ihre Doktorarbeit zum Thema Reality-Shows in Serbien geschrieben hat. An den Folgen leiden sowohl Kinder als auch Erwachsene. Dazu gehören: “Zunehmende Passivität, Abstumpfung des kritischen Denkens, Verlust der Integrität, Verarmung der emotionalen und intellektuellen Entwicklung der Menschen.”       

Fazit: Die entfesselten Reality-Shows, mit ihrer Aggressivität, ihren pornografischen und vulgären Tendenzen, stellen ein zunehmendes Problem in Serbien dar. Zwar gibt es einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen, der dies eindämmen könnte, doch der Interpretationsspielraum ist groß. Das ermöglicht es den Institutionen, einfach wegzuschauen.

“Zuerst ignorieren sie dich…”

Der 33-jährige Rechtswissenschaftler und Aktivist Savo Manojlović will das nicht mehr hinnehmen. Mit seinem bereits 2015 gegründeten “Verein zum Schutz der Verfassungsmäßigkeit und Gesetzlichkeit” macht er jetzt mobil – für Gesetze über elektronische Medien, die so klar formuliert sind, dass es keinen Raum mehr für verschiedene Interpretationen gibt. 

Um zu zeigen, wieso das wichtig ist, nennt Savo Manojlović das Beispiel einer serbischen Reality-Show, in der ein Teilnehmer eine Teilnehmerin mit der Pistole bedrohte. Bei der Live-Übertragung ins Wohnzimmer schien die Gefahr real zu sein. “Wenn schließlich ein Junge ein Mädchen in der Schule solchen Schikanen aussetzt, hat er so ein Muster zuvor in der Fernsehsendung gesehen”, sagt der junge Anwalt.     

Sein Verein schrieb verschiedene serbische Institutionen an und schickte als Beweis das YouTube-Video mit der Pistolen-Szene. Die Staatsanwaltschaft schwieg. Die unabhängige staatliche Kommission, die die Gesetzestreue der Fernsehanstalten überwachen soll, antwortete lediglich: “Die Überprüfung von Online-Kanälen wie YouTube gehört nicht zu unserem Zuständigkeitsbereich.” Eine aberwitzige Formulierung, meint Savo Manojlović. Das sei so, als würde man die Video-Aufnahme eines Verbrechens an die Staatsanwaltschaft schicken und die Antwort wäre, die Staatsanwaltschaft verfasse keine Filmkritik, meint der junge Anwalt. 

“…dann bekämpfen sie dich”

Nach den serbischen Gesetzen sei die Gewaltverherrlichung im Fernsehen strafbar, erläutert Savo Manojlović. Das gilt auch für die “Irreführung der Zuschauer”. Der Jurist zögerte nicht lange: Sein Verein sammelte Unterschriften, mit dem Ziel, das Parlament zur Präzisierung der bestehenden Gesetze zu bewegen. 

Serbien gehört beim täglichen TV-Konsum zur Weltspitze

Dass der mächtige Besitzer des Medienkonzerns Pink von dieser Volksinitiative nicht begeistert war, liegt auf der Hand. In Serbien würden “alle gerne die Fernsehprogramme nach eigenem Gusto gestalten und Zensur ausüben”, beklagte er. Schon vor einem Jahr ließ er seine hervorragenden politischen Kontakte spielen, als der serbische Kulturminister öffentlich das Ausufern der Reality-Shows in Serbien kritisierte. Sogar Staatspräsident Aleksandar Vučić und Ministerpräsidentin Ana Brnabić pfiffen den Minister zurück. 

In der von Savo Manojlović verfassten Antwort wurde der Zensurvorwurf des Pink-Besitzers entschieden zurückgewiesen. Im Schreiben findet sich die Angabe, dass bei TV Pink sieben Stunden Sendezeit pro Tag mit Reality-Shows gefüllt werden – also fast 40 Prozent des gesamten Programms, ohne eine einzige Minute Sendezeit für andere, gesetzlich verpflichtende Inhalte aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft oder Kinder. Die Antwort wurde in den Pink-Programmen nie veröffentlicht.

“…und dann gewinnst du”  

“Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du”, zitiert Savo Manojlović seinen Lieblingsspruch von Mahatma Gandhi. Anfangs reagierte sein Umfeld skeptisch, viele argumentierten, dass in Serbien ohne die entsprechende Partei-Logistik gar nichts gehe. Doch einige Vereinsmitglieder, Studenten und NGOs waren sofort begeistert. “Unser größter Erfolg bestand darin, dass wir eine Null im Budget hatten und trotzdem zeigten, dass der einfache Bürger souverän ist. Menschen sind Macht”, sagt der Jurist.   

Sein Verein versammelte Freiwillige, die zwischen dem 23. und dem 29. Juni hinter ausgeliehenen und mit handgemachten Plakaten überklebten Ständen geduldig verharrten. Mit Erfolg: Sie sammelten mehr als 42.000 Unterschriften. Eine Volksinitiative kann in Serbien zum offiziellen Gesetzentwurf werden, wenn man innerhalb von sieben Tagen 30.000 Unterschriften sammelt. Zum Vergleich: Die Vorbedingung für die Teilnahme der politischen Parteien am Wahlprozess sind 10.000 Unterschriften in einer viel längeren Zeitspanne.

Savo Manojlović weiß genau, dass auch sein Gesetzentwurf für längere Zeit in diversen Schubladen Staub fangen könnte. Er wird die zweite Phase – den öffentlichen Druck auf Institutionen – organisieren. Denn der Erfolg belebt die Hoffnung: “Auf einmal sieht man, dass man nicht allein ist, dass es im Land viele ähnlich denkende Menschen gibt. Wenn man diese Menschen findet, dann ist der gemeinsame Sieg nur eine Frage der Zeit.”

Für die Regierenden, deren öffentliche Auftritte manchmal auch an Reality-Shows erinnern, wenn Opposition und Andersdenkende beschimpft werden, hat Savo Manojlović eine klare Botschaft: “Das Parlament wird die vorgeschlagene Gesetzesänderung nur dann nicht annehmen, wenn der oberste Gesetzgeber Gesetzwidrigkeiten gutheißen will. Wir sind nicht ein Teil des Problems, sondern der Lösung.”