Bolsonaros Traum vom Touristenparadies

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Präsident Jair Bolsonaro will das Naturschutzgebiet Tamoios südlich von Rio de Janeiro in ein Touristenparadies verwandeln. Doch nicht alle Bewohner können sich für Casinos und Partystrände begeistern.

Am Mambucaba-Strand genießt eine Hand voll Urlauber die warmen Sonnenstrahlen des brasilianischen Winters. “Wir hätten mehr Touristen, wenn man das hier in einen Tourismus-Hotspot verwandeln würde”, sagt Restaurantbesitzer Doriel. Geht es nach Präsident Jair Bolsonaro sollen hier einmal Resort-Hotels und Spielcasinos stehen.

“Wenn er die hierher bringen würde, bedeutet das für viele Leute Arbeit”, sagt Eisverkäufer Ronardi nebenan. Er kenne den Präsidenten gut, beim Bau von dessen Haus am anderen Ende des Strandes habe er mitgeholfen. Auch angelte man gerne gemeinsam. “Sein Hobby war das Tauchen, und er war gut mit der Harpune, tötete viele Wolfsbarsche.”

Touristen-Mekka à la Cancún

Am Strand von Mambucaba beginnt die “Estação Ecológica Tamoios”, ein Naturschutzgebiet mit 29 Inseln, das Bolsonaro gerne in ein Touristen-Mekka wie Cancún verwandeln würde. Cancún, das ist Mexikos Partystrand mit Casino-Hotels und den Springbreak-Parties der US-Studenten. Tausende Jobs und Milliardenumsätze würde das bringen, so der Präsident, der von seinem Gartentor direkt auf das Schutzgebiet schaut. 

Strand an der Küste in der Nähe des Atomkraftwerks Angra 1 und Angra 2

Das Naturschutzgebiet Tamoios war vor dreißig Jahren als ökologische Pufferzone zu zwei Atomkraftwerken eingerichtet worden, die an den Strand von Mambucaba grenzen. Das Naturschutzgebiet liegt in der traumhaften Bucht von Angra dos Reis: türkisfarbenes Meer, Inseln am Horizont, saftig grüner Regenwald rund um die Strände. Ein Paradies, so die Biologin Suzana Raminelli, Spezialistin für Seepferdchen und Bewohnerin von Mambucaba. 

In Mambucaba setzt man schon jetzt auf Billigtourismus. Den mag Raminelli nicht. “Der Tourist, der hierher kommt, hält nichts von Ökologie, lässt seinen Müll zurück und schert sich nicht um den Strand.” Statt auf Massentourismus wie Bolsonaro, will sie Nachhaltigkeit. “Wenn man hier auf Qualitäts-Tourismus setzen will, dann muss man zuerst in den Umweltschutz investieren. Dann kommen auch betuchte Touristen.” Ladenbesitzer Luiz Alberto aus Mambucaba wünscht sich auch Veränderungen. Denn “wer Geld hat, geht woanders hin, wo es schöner ist.” Aber Casinos und große Hotels will er auch nicht. “Es muss schon was sein, was Rücksicht auf die Natur nimmt.” 

Angra dos Reis – Refugium für viele Reiche aus Rio und Sao Paolo

Mit dem mexikanischen Cancún könne man das Naturschutzgebiet Tamoios aber nicht vergleichen, sagt der Umweltaktivist Ivan Marcelo Neves. Gerade in den abgelegenen Gebieten lassen sich die Reichen aus Rio und São Paulo nieder und errichten sich in abgelegenen Buchten lieber gleich ihr eigenes Refugium. Und wollen Ruhe: “Hier triffst Du auf die großen Vermögen dieses Landes. Und die sehen solche Ideen nicht gerne”, so Neves. Er rät Bolsonaro von seinen Plänen ab. “Mit seiner Unterschrift kann der Präsident fast alles machen. Aber wenn man schaut, ob es aus ökologischen, ökonomischen, kulturellen und historischen Gründen sinnvoll wäre, so kann man nur sagen: Es wäre ein gigantischer Fehler.” 

Weltkulturerbe-Titel in Gefahr?

Auch die historische Stadt Paraty, eine Autostunde von Mambucaba weiter südlich von Mambucaca die Küstenstraße hinab, setzt auf die betuchten Gäste. Höhepunkt ist das Literatur-Festival Flip, zu dem die internationale Literatur-Avantgarde kommt. Seit Juli ist Paraty zudem UNESCO-Weltkulturerbe, was Cristina Maseda, die Kultursekretärin, hoffen lässt. “Ein Mehr an Tourismus liegt ja einerseits in unserem Interesse. Aber da denken wir stets an einen nachhaltigen Tourismus.”

Cristina Maseda – Kultursekretärin der Stadt Paraty

Denn der UNESCO-Titel wurde für die rare Kombination aus Kultur, Natur und Geschichte vergeben. Zudem liegt direkt in der Nähe die Insel Ilha Grande, das Naturschutzgebiet Bocaina mit seinen Küstengebirgen und den indigenen Gemeinschaften sowie denen der Quilombolas, den Nachfahren entlaufener Sklaven.

Tamoios liegt genau zwischen den nun geschützten UNESCO-Stätten, in der sogenannten Buffer-Zone. Ein Tourismus-Pool würde wohl den Verlust des gerade erst gewonnenen Titels bedeuten. “Wenn der Präsident sagt, er will hier Cancún nachbauen, dann müssen wir uns warm anziehen. Man spürt ja schon den Druck”, sagt Edmundo Gallo von der sozioökologischen NGO “Observatório de Territórios Sustentáveis e Saudáveis do Mosaico da Bocaina”. 

Paraty, Stadt an der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro

Ob der UNESCO-Titel die Natur und die ursprünglichen Gemeinschaften schützen kann? “Der wird nicht den Druck auf diese Gebiete lindern. Der Immobiliensektor macht ja schon sehr viel Druck, besonders auf die traditionellen Fischer-Gemeinschaften, dazu kommen die Off-Shore-Bohrungen, das Nuklear-Programm, dazu die Werften und einige Resort-Projekte. All das wird nicht weniger werden, genau wie der Druck auf Tamoios und die anderen Schutzgebiete”, glaubt Gallo. 

Ein Rachefeldzug von Bolsonaro?

Auch Vaguinho do Campinho, Vertreter der Indigenen und Quilombolas der Region von Paraty, wünscht sich Nachhaltigkeit statt Massentourismus. Denn der bedeute das Aus für Mangrovengebiete, privatisiere Strände und gefährde die Natur und die Biodiversität. Dazu komme noch der wachsende Müll, Prostitution und der Drogenhandel der Gangs, die jetzt schon weite Gebiete der Region kontrollieren. “Dieses Entwicklungsmodell wollen wir nicht.” Auf der diesjährigen Literatur Festival demonstrierten einige mit “Weg mit Cancún” Sprechchören.

Edmundo Gallo: “Müssen uns hier warm anziehen”

Letztlich sei die Cancún-Idee nichts weiter als ein persönlicher Rachefeldzug Bolsonaros, glaubt Aktivist Neves. Im Jahr 2012 hatte die Umweltbehörde Ibama Bolsonaro beim Angeln am Mambucaba-Strand erwischt. Obwohl Fotos ihn und die Angel zeigen, streitet Bolsonaro alles ab, das Bußgeld von 10.000 Real – umgerechnet etwas über 2000 Euro – hat er nie gezahlt. Die Episode habe ihm die Lust am Fischen vergrätzt, sagte er einst in einem TV-Interview. Und wohl seine Abneigung gegen die Umweltbehörden und ihre “Bußgeldindustrie” hervorgebracht, gegen die er seit Jahren wütet. 

Vor einigen Wochen erließ die Behörde dem Präsidenten das Bußgeld. Der Beamte, der es einst verhängte, musste aber seinen Hut nehmen. Auch das Budget von Ibama wurde gekürzt, genau wie das der Umweltbehörde ICMBio, die für die Verwaltung von Tamoios zuständig ist. 

“Das ist eine persönliche Angelegenheit, die einen Schatten auf unser Land wirft, und auf die Region, und die – sofern er es tatsächlich umsetzt – auch unsere Bucht gefährden würde, die derzeit noch zu einem gewissen Grad geschützt ist”, resümiert Neves.