Feindeslisten: Im Visier der Rechtsextremen

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Tausende Menschen stehen auf sogenannten Feindeslisten von Rechtsextremen. Das Innenministerium sieht keine konkrete Bedrohung, viele Betroffene fühlen sich aber im Stich gelassen. Wie groß ist die Gefahr wirklich?

Sichergestellte Waffen und ein Schild der kriminellen Neonazi-Gruppe “Combat 18”

An Morddrohungen hat Ruben Neugebauer sich schon gewöhnt. Er arbeitet für die Organisation “Sea-Watch”, die Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet und nach Europa bringt. Damit macht er sich nicht nur Freunde.

“Wir bekommen seit Jahren Morddrohungen, auch konkrete Morddrohungen, das ist etwas, womit wir leben”, sagt er der DW. Dass sein Name nun auf rechtsextremen Feindeslisten auftaucht, wundert ihn daher nicht.   

Sichtlich schockiert ist dagegen Mark Heinrich*. Er steht auf derselben Feindesliste wie Ruben Neugebauer. Das erfährt er aber nicht etwa von der Polizei, sondern von der Deutschen Welle. Er ist vollkommen vor den Kopf gestoßen. “Spontan denke ich jetzt schon: Muss ich das Pfefferspray einpacken oder mich anderweitig schützen?” 

Mark Heinrich ist Lehrer, bisher hatte er wenig mit Rechtsextremen zu tun. Aber auf seinem Blog bezog er klar Stellung gegen die rechtspopulistische AfD und bekam daraufhin Hassnachrichten. Dies könnte der Grund sein, warum er nun als Feind gelistet wird, vermutet Heinrich. Seinen echten Namen möchte er nicht veröffentlichen – aus Angst, noch mehr zur Zielscheibe zu werden.  

Ruben Neugebauer von Sea-Watch bekommt seit langem Morddrohungen

Ziel: Angst und Schrecken

Der Politologe Hajo Funke forscht seit vielen Jahren zu Rechtsextremismus. Die Verfasser solcher Listen verfolgen laut Funke gleich mehrere Ziele. “Was sie damit natürlich betreiben, ist Angst und Schrecken zu verbreiten, zumindest der Absicht nach”, sagt Funke. Die Listen könnten dazu dienen, in einen “konkreten gefährdeten Bereich” vorzustoßen, wie im Fall Walter Lübcke.

Der CDU-Landtagsabgeordnete und Regierungspräsident vom Bezirk Kassel stand auf einer solchen Feindesliste und wurde vor einigen Monaten von einem vermutlich rechtsextremen Täter erschossen. Laut Funke könnten die Listen aber auch eine Vorbereitung für den sogenannten “Tag X” sein – “den Tag, an dem Rechtsextreme hoffen, die Macht zu übernehmen. Dann sollen die Listen dazu dienen, Personen ausfindig zu machen und festzusetzen”, so Funke.

Die Liste, auf der Mark Heinrich und Ruben Neugebauer stehen, trägt den Titel “Wirkriegeneuchalle” und enthält Daten von rund 200 Menschen. Der Verfasser ist unbekannt, im Internet war sie nur für einige Stunden zugänglich.

Auch CDU-Politiker Walter Lübcke stand auf einer Feindesliste. Er wurde am 2. Juni 2019 erschossen

Der DW liegt die Liste vor: Es handelt sich um keine reine Namensliste, neben Adressen stehen dort auch Kommentare und Beleidigungen. “Antikapitalistischer Muselkopf”, “Linker Vollspast”, “Demonstrantenfotze” – der Hass wird recht deutlich. Die aufgeführten Personen sind zum Großteil Aktivisten, Journalisten, linke und grüne Politiker.

Es gibt viele solcher Listen: So hackte zum Beispiel die rechtsextreme Gruppe ‘Nordkreuz’ die Website eines linken Punkrock-Versandhandels und setzte die so erhaltenen 25.000 Adressen auf eine Liste. Schon seit Längerem ist auch eine Website online, die es vor allem auf Menschen jüdischen Glaubens abgesehen hat: Auf der Plattform ‘judas.watch’ werden nicht nur vermeintliche ‘Feinde’ aufgezählt und in Kategorien A (besonders verhasst) bis D eingeteilt, sondern jüdische Menschen zusätzlich mit einem Davidstern gekennzeichnet.

Keine konkrete Gefahr?

Das Bundesinnenministerium gibt an, die Gefährdungslage für Listen dieser Art geprüft zu haben. In einer Pressemitteilung heißt es dazu: “Dabei haben sich jedoch bisher grundsätzlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen einer konkreten Gefährdung unterliegen. Eine Gefährdung der dort genannten Personen, Institutionen und Organisationen ist nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes aktuell nicht gegeben.”

Daher ist es bislang den Landeskriminalämtern überlassen, ob sie Betroffene kontaktieren oder nicht. Eine deutschlandweite, einheitliche Regelung gibt es nicht. Der Effekt: Wer in München lebt, erfährt eher, dass er auf einer Feindesliste steht, als jemand, der in Berlin wohnt.

Die antisemitische Website “judas.watch” ist öffentlich zugänglich

Helga Seyb von der Berliner Beratungsstelle “Reachout” hält den Umgang der Polizei und des Bundesinnenministeriums mit solchen Listen für fahrlässig. Ihrer Einschätzung nach geht von den Listen durchaus eine Gefahr aus: “Es werden Daten gesammelt und diese Daten sollen natürlich auch genutzt werden. Vielleicht ist es nicht jetzt gefährlich, aber es kann zu einem anderen Zeitpunkt gefährlich sein”, sagt sie der DW.

Wie gefährlich sind die Listen?

Politologe Hajo Funke meint, das Risiko sei von Liste zu Liste, von Person zu Person verschieden. Bei einer Liste mit 25.000 Menschen, deren Daten bei einem Hack einer linken Website gezogen wurden, seien nicht alle gefährdet.

Doch bei kleinen Listen, wie “Wirkriegeneuchalle”, bei denen gezielt Adressen gesucht und online gestellt würden, sei die Gefährdung für die Betroffenen größer. “Sie sind jetzt zusätzlich gefährdet, vermutlich unmittelbar gefährdet. Wenn die Sicherheitsbehörden gut wären, würden sie das so einschätzen und öffentlich machen”, sagt Funke.

Für die Menschen, die auf den Listen stehen, sind Angst, Enttäuschung und Empörung groß. Ruben Neugebauer sagt: “Wir sind hier von den Behörden im Stich gelassen worden. Das Innenministerium hat die Gefahr, die von solchen Listen ausgeht, überhaupt nicht erkannt und leugnet sie auch jetzt noch, das ist ein Riesenskandal.” Er vernetzt sich inzwischen – genauso wie Mark Heinrich – mit anderen Betroffenen, die ebenfalls auf der Liste stehen. Die gegenseitige Unterstützung ist für sie die größte Hilfe.