Verwickelte Lage in Italien: Neuwahlen nicht sicher

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Koalition auflösen, Wahlen erzwingen. Das war der Plan des rechtsradikalen Lega-Chefs für Italien. Doch der könnte so schnell nicht aufgehen. Parlament und Präsident haben ein Wörtchen mitzureden.

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Senats-Fraktionschefs beraten in Rom

Der Chef der Lega, Matteo Salvini, verbrachte das Wochenende an Stränden in Süditalien. Dort macht er bereits kräftig Wahlkampf und Stimmung gegen den ehemaligen Koalitionspartner 5-Sterne, der besonders im ärmeren Süden mehr Wähler hatte als die Lega. Der Vorsitzende der 5-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, war auch nicht faul und bastelt an einem Plan, schnelle Neuwahlen, die Salvini mit dem Bruch der Populisten-Koalition erreichen will, noch zu verhindern. Di Maio warf der rechtsradikalen Lega vor, sie haben die Italiener verraten und schiele nur auf Umfrageergebnisse, sei aber an Reformen und stabiler Regierung nicht interessiert. Angeblich verhandeln Di Maios 5-Sterne und die oppositionellen Sozialdemokraten darüber, dem derzeitigen Regierungschef Giuseppe Conte gemeinsam das Vertrauen auszusprechen und Salvinis Misstrauensvotum, das er im Senat gegen den eigenen Regierungschef angestrengt hat, zu unterwandern.

Totaler Wahlkampfmodus: Salvini am Strand im sizilianischen Taormina am Sonntag

Sozialisten und 5-Sterne in einem Boot?

Allerdings sind sich die Sozialdemokraten intern selbst nicht einig, ob sie sich tatsächlich mit den 5-Sternen verbünden sollten, die sie bisher als Hauptgegner betrachtet haben. Der frühere Regierungs- und Parteichef Matteo Renzi ist dafür, der derzeitige Parteichef Nicola Zingaretti meint dazu allerdings: “Das ist keine glaubwürdige Alternative, eine Wirtschaftsregierung im Amt zu halten, auf die sich die Rechten dann einschießen könnten.” Zingaretti wies darauf hin, dass nicht Matteo Salvini sondern der Staatspräsident am Ende entscheide, ob und wann es Wahlen geben werde.

In der Regierungskrise ist jetzt zuerst das Parlament gefragt. Die Senatoren in der zweiten Parlamentskammer müssen entscheiden, wann sie das Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Conte, beantragt von der rechten Lega, auf die Tagesordnung setzen.

Die Mehrheit der Fraktionschefs im Senat hat sich bei einer Sitzung an diesem Montag mehrheitlich für den 20. August ausgesprochen. Für die Festlegung des Termins wäre aber ein einstimmiges Votum der Fraktionsvorsitzenden notwendig gewesen, weshalb nun das Plenum am Dienstag darüber entscheiden muss. Es wäre sehr ungewöhnlich, mitten in der Sommerpause eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen, weil im August halb Italien am Strand verbringt und sich sowieso wenig für die Krisen in Rom interessiert.

Auf der Suche nach einer alternativen Mehrheit: Di Maio will im Amt bleiben

Staatspräsident könnte Neuwahlen ansetzen

Sollte das Parlament der Regierung das Misstrauen aussprechen, dann hätte der Staatspräsident Sergio Mattarella zwei Möglichkeiten. Er könnte das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen, vielleicht schon im Oktober. Viele italienische Kommentatoren rechnen aber eher damit, dass Präsident Mattarella versuchen wird, eine “Technokraten”-Regierung für eine Übergangszeit von maximal einem Jahr einzusetzen. Diese Regierung sollte dann den schwierigen Haushalt für das kommende Jahr aufstellen, der im Oktober der Europäischen Kommission vorgelegt werden muss.

Italien steckt in einer Wirtschaftskrise, muss seine überbordenden Schulden abbauen und seine Banken weiter sanieren. Eine lange Regierungskrise oder gar eine rechtsradikal geführte Regierung unter Matteo Salvini, über dessen Finanzpolitik man nur rätseln kann, käme der Europäischen Union äußerst ungelegen. Die italienische Zeitung “La Reppublica” schreibt, Salvini wollte, falls er nach Neuwahlen Ministerpräsident würde, aus der Gemeinschaftswährung Euro aussteigen. Salvini bestreitet das, obwohl dieser Schritt schon im Parteiprogramm der Lega gestanden hat.

Staatspräsident Mattarella (li.) könnte Ministerpräsident Conte (re.) stützen oder einen Übergangspremier einsetzen

Die rechtsradikale Lega führt derzeit mit bis zu 36 Prozent in den Umfragen. Zum Regieren bräuchte Matteo Salvini allerdings Koalitionsparteien. Er will sich, wie er sagte, bald mit den Führern der faschistischen “Fratelli d’Italia” und der nationalkonservativen “Forza Italia” treffen. Dort kommt der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi wieder ins Spiel, der mit seinen fast 83 Jahren ein Comeback in einer extrem rechten Koalition erleben könnte.

Für die 5-Sterne geht es ums Überleben

Bei den letzten Wahlen 2016 hatte die populistische Bewegung der 5-Sterne noch 32 Prozent der Stimmen gewonnen und wurde stärkste Kraft im Parlament. In Umfragen liegt Luigi Di Maio jetzt mit seiner bunt gemischten Truppe nur noch bei der Hälfte der Stimmen auf Platz drei. Di Maio kämpft vielleicht aus persönlichen Gründen gegen Neuwahlen. Denn nach internen Bestimmungen der Populisten dürfen Abgeordnete nur zwei Mal hintereinander zur Wahl antreten. Für Di Maio wäre die nächste Wahl die dritte. Der Vize-Premier und Arbeitsminister müsste also das Feld räumen.

Vor einer Neuwahl will Di Maio, als selbst ernannter Anti-Establishment-Kämpfer und Anti-Politiker noch eine lange geplante Verkleinerung des italienischen Parlaments durchboxen. Die beiden Kammern haben derzeit 950 Sitze. Die sollen auf 605 gekürzt werden. Die Abstimmung darüber war für September geplant. Um die Lega von einem kurzzeitigen Bündnis mit den Sozialdemokraten zu überzeugen, hatte der prominente ehemalige Parteichef Renzi überraschend erklärt, seine Partei könne jetzt auch für die Verkleinerung des Parlaments stimmen.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte: Berlusconi könnte das greise Zünglein an der Waage einer rechten Koalition werden

Schlechte Nachrichten für die EU

Der Gründer der Bewegung 5-Sterne, der beliebte Komiker Beppe Grillo, hatte sich aus der aktiven Politik eigentlich zurückgezogen. Angesichts des Platzens der Koalition der Populisten, erklärte Grillo: “Ich erhebe mich, um Italien vor den neuen Barbaren zu retten.”

Für Europa wäre eine rechtsradikale Regierung in Italien eine Katastrophe, meint der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher. Sie sei noch schlimmer als die derzeitige Mannschaft, die wenig erreicht habe. “Salvini wird weiter auf Konfrontationskurs mit Europa gehen, zumal sich dieser für ihn bisher gelohnt hat”, sagte der Wirtschaftsexperte in mehreren Interviews. “Ein zunehmend populistischer und fremdenfeindlicher Kurs Italiens wird es für Europa in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik und beim Thema Migration deutlich schwieriger machen.”