Kamerun, Kolumbien, Kanada: Die neuen Fluchtrouten

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Die Warteschlange in Tijuana wächst: Nicht nur Flüchtlinge aus Mittelamerika und der Karibik, sondern auch aus Afrika wollen weiter nach Norden. Die neuen Fluchtrouten afrikanischer Migranten sind extrem teuer.

Eine Gruppe afrikanischer Flüchtlinge wartet auf einen Termin bei der US-Einwanderungsbehörde in Tijuana

Seit Januar ist Samuel aus Kamerun auf der Flucht vor den Häschern des seit 1982 regierenden Diktators Paul Biya. Die Reise führte ihn aus den Folterkellern Biyas um die halbe Welt – bis in die nordmexikanische Grenzstadt Tijuana. “Es war eine Odyssee”, erzählt der gelernte Buchhalter per Telefon der DW.

Die Odyssee ging über Nigeria in die Türkei und von dort weiter nach Ecuador, per Bus, per Pferd, per Boot und zu Fuss durch den Darien-Dschungel zwischen Kolumbien und Panama. Unterwegs lauerten Wegelagerer, mehrfach wurde der 42-Jährige ausgeraubt, und überall, bis auf Costa Rica, kassierten korrupte Funktionäre Schmiergeld.

Protest unerwünscht

6.500 US-Dollar hat Samuel, der seinen Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht nennen will, die Reise insgesamt gekostet. “Als ich am 31. Mai in Tijuana landete, dachte ich, dass das Schlimmste vorüber ist und der Rest ein Kinderspiel sein wird”, erzählt Samuel im Telefoninterview mit der DW. “Stattdessen sitze ich jetzt im Dschungel der Bürokratie fest”, seufzt er auf englisch mit gebrochener Stimme. Seine Ersparnisse sind aufgebraucht, und zuhause warten seine drei Kinder auf Geld für Schuluniformen- und Schreibhefte.

Samuel gehört der englischsprachigen Minderheit Kameruns an. Er ist gelernter Buchhalter, arbeitete bei einer Bank und machte eine Fortbildung in Südkorea. Von dort brachte er zahlreiche Entwicklungsideen in sein Heimatdorf im Süden des Landes mit. Er beteiligte sich an den Protesten der englischsprachigen Minderheit gegen Biya, die 2016 begannen und versorgte dank seiner internationalen Kontakte Binnenflüchtlinge mit Nahrung, Kleidern und Medikamenten.

Endstation Tijuana? Flüchtlinge aus Afrika protestieren gegen den Schlendrian der mexikanischen Behörden

Am 5. Januar wurde er vom Militär festgenommen. Nur weil einer der Offiziere sich als ehemaliger Klassenkamerad entpuppte und seine Familie 1000 US-Dollar Lösegeld bezahlte, kam er frei. Samuel flüchtete nach Nigeria, fühlte sich aber nicht sicher, weil die dortigen Machthaber mit Biya kooperierten. “Immer wieder verschwinden kritische Landsleute”, sagt er.

Auf Durchreise in Kolumbien

Über Schlepper kaufte er ein Flugticket über die Türkei, Panama und Kolumbien nach Ecuador – eines der wenigen Länder, die kein Visum von Kamerunern verlangen. Er wurde angewiesen, dort bei einer bestimmten Busgesellschaft ein Ticket nach Kolumbien zu kaufen. Kein Zufall: In dem Bus sassen schon zahlreiche Kameruner.

Auf seiner Odyssee durch Lateinamerika traf er auch auf Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern sowie Migranten aus Kuba und Haiti. So ging es mal im kleinen, mal in einem bis zu 200 Mann starken Tross quer durch den Kontinent – eine Station ergab die nächste, die Migranten wechselten oft die Hände, und immer war Geld fällig.

“Die Beamten begleiteten uns sogar bis zum nächsten Western-Union-Schalter, wo wir das Geld abholten, das uns die Verwandten geschickt hatten”, erzählt Samuel. Wer kein Geld hat, wird festgehalten – notfalls wochenlang. “Am meisten verlangten die Nicaraguaner. Dort mussten wir der Polizei 150 US-Dollar für die Weiterreise zahlen”, sagt Samuel. “Und wir bekamen dafür noch nicht einmal einen Passierschein.”

Auch aus Kuba stecken viele Flüchtlinge auf der Route in Lateinamerika fest – hier in Costa Rica

In Panama und Kolumbien wurde Samuel ausgeraubt – erst von Kriminellen, dann von Polizisten. Den lebensfeindlichen Darien-Dschungel durchwanderte er in fünf Tagen, “immer auf den Spuren kaputter Kleidungsstücke, die Migranten vor uns als Zeichen in die Bäume gehängt hatten”.

Warten auf den Passierschein

Rund 2000 Flüchtlinge aus Kamerun, Eritrea, Äthiopien, Ghana und Somalia warten nach Angaben der Menschenrechtsaktivistin Soraya Vasquez an der mexikanischen Grenze auf die Anhörung für politisches Asyl vor der US-Einwanderungsbehörde. Die Warteliste geht in die tausende. Sie wird von zentralamerikanischen Migranten verwaltet und nachts in der mexikanischen Grenzstation aufbewahrt.

Vorwürfe der Mauschelei machen die Runde. “Die Afrikaner sind besonders benachteiligt, weil sie die Sprache nicht sprechen und die Gepflogenheiten nicht kennen”, sagt Vásquez von der Organisation “Families belong together”.

Samuel pilgert jeden Tag zum Grenzposten -und wird immer wieder vertröstet. Sein Transitvisum, das ihm die mexikanischen Behörden ausgestellt haben, ist längst abgelaufen. Ohne Papiere aber bekommt er keine Arbeit, um die vielleicht monatelange Warterei zu überbrücken. Die wenigen Herbergsplätze in Tijuana sind besetzt, vor allem von allein reisenden Frauen und Familien mit Kindern. Die Warteschlangen vor den Gratis-Essensausgaben sind lange.

Wartet hinter dem Zaun die Polizei? Migranten stürmen die Grenze zwischen Mexiko und den USA

“Ich bete für ein Wunder”

Vor drei Wochen demonstrierte Samuel mit anderen afrikanischen Flüchtlingen in Tijuana. Die Behörden versprachen, sich des Problems anzunehmen. “Seither ist nichts passiert”, klagt er. Die USA sind noch immer sein Traumziel, doch inzwischen würde er sogar nach Kanada gehen – doch auch dort öffnen sich trotz offizieller Beteuerungen bislang keine Türen für die Asylbewerber.

Mexiko oder Guatemala – die nach Plänen von US-Präsident Donald Trump die meisten Migranten aufnehmen sollen – sind keine Option für Samuel. Die Sprache könne er lernen, aber die Kultur sei so anders. Es gäbe keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit. Drogen und Prostitution blühten – das sei nicht sicher für seine Kinder, die er gerne nachholen will. “Ich weiss nicht, wie es weitergeht. Ich bete für ein Wunder.”


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