Ausnahmetalent: Trifonov spielt Trifonov im Rheingau

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Er wird als einer der ganz großen Pianisten des 21. Jahrhunderts gehandelt. Einen starken Auftritt hatte das russische Multitalent jetzt beim Rheingau Music Festival – als Solist bei seinem eigenen Klavierkonzert.

Dunkel, bedrohlich klingt es aus dem Orchester, Tendenz steigend. Aus der brodelnden Klangmasse tritt das Klavier hervor. Flatterhafte Motive im Stil vom russischen Komponisten Alexandr Skrjabin kitzeln das Ohr, gefolgt von burlesk-verspielten Tastaturläufen à la Sergej Prokofjew und schwärmerischer Lyrik, die an Sergei Rachmaninow erinnert.

Dann noch eine verrückte Kadenz, die in ihrer muskulösen Kraftentfaltung von dem Komponisten Dmitri Schostakowitsch hätte geschrieben werden können. Durch die spätromantischen Orchesterfarben klingt das Stück, als wäre es vor 130 Jahren geschrieben. Das Entstehungsjahr ist jedoch 2014 und der Komponist der heute 28 Jahre alte russische Pianist Daniil Trifonov. 

Gilt als außerordentliches Talent: Daniil Trifonov, hier 2017 auf einer Konzerttournee

Als Artist in Residence trat er am 16. Juli 2019 beim Rheingau Musik Festival auf. Auf dem Programm stand die deutsche Erstaufführung seines eigenen Klavierkonzerts in es-Moll, das zusammen mit den Bamberger Sinfonikern unter deren Chefdirigenten Jakub Hrusa aufgeführt wurde. Vom Publikum im Kurhaus Wiesbaden wurden Konzert  und Pianist frenetisch gefeiert.

An der Tastatur geht Trifonov vollkommen in die Musik auf, wirkt wie im Trance. Durch sein kräftig-zupackendes Spiel klingt das Klavier mitunter ebenso stark wie das hundertköpfige Orchester. Im Stück wechseln sich Motiven und Klangfarben schnell ab, treten wie blasen in einem brodelnden Suppentopf hervor und verschwinden ebenso schnell wieder.

Heterogene Komposition

Im Publikum saß Andreas Bomba, Intendant der Bachwoche Ansbach, der Trifonovs Klavierkonzert als “sehr heterogen” wahrgenommen hat: “Er scheint noch seinen Stil zu suchen. Aber neue Musik zu schreiben und sie wie Liszt oder Busoni selber aufzuführen: Dazu gehört viel Mut. Wer macht das heutzutage?”

Michael Herrmann, Künstlerischer Leiter des Rheingau Musik Festivals, war mit dem Ergebnis von Trifonovs Aufenthalt als Artist in Residence mehr als zufrieden. Dazu gehörte ein ausverkaufter Klavierabend, eine umjubelte Aufführung von Robert Schumanns a-Moll-Klavierkonzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und ein Kammermusikabend.

“Jedes Konzert war ein Highlight”, sagt Herrmann anerkennend im Gespräch mit der DW. “Trifonov ist einer der ganz wenigen Künstler, die ich als Genie beschreiben würde. Er wird ganz bestimmt in den Olymp der Musikgeschichte eingehen.”

Ob mit Orchester, Kammermusikern oder solo: Trifonov ist ein Phänomen

Introvertierter Romantiker

Das Klavierspiel von Daniil Trifonov ist kräftig, selbstsicher und in der musikalischen Aussage klar. Dafür wird bei einer persönlichen Begegnung mit dem Künstler eine vollkommen andere Seite seiner Persönlichkeitsstruktur offenbar: “Es ist nicht einfach, mit ihm Kontakt aufzunehmen”, merkt Herrmann an. “Er ist immer sehr  introvertiert.”

Für den tschechischen Dirigenten Jakub Hrusa erklärt sich das Phänomen Trifonov nur mit dem Begriff Authentizität: “Wie er das Instrument spielt, wie er die Musik erlebt und durchlebt ist im Grunde genauso, wie er wirklich ist.” Für Hrusa ist offenbar, dass Trifonov beim Spiel alles gibt: “Wenn wir zusammen auf der Bühne sind, habe ich immer das Gefühl, dass er die Musikwerke nicht bloß wiedergibt sondern sie in dem Augenblick nachschöpft.”

Musikalische Wechselbäder

Nach zeitweiser Unruhe im Verlauf der drei Sätze ist die Stimmung der Komposition zum Schluss des Klavierkonzerts hell, triumphal und optimistisch: Zwei Minuten Jubelstimmung vertreiben alle emotionalen Wechselbäder, die zuvor zu hören waren.

Im Ausklang des ausgiebigem Applaus sagt der Pianist-Komponist einige Worte ins Mikrophon – hörbar verlegen – und nimmt nicht den üblichen Blumenstrauß sondern eine gepflanzte Weinrebe in Empfang. Ein kleiner Hinweis auf die Weinbaugegend, in der das Rheingau Music Festival  jedes Jahr stattfindet..

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Kultur.21 – Daniil Trifonov – ein neuer Chopin, Teil 2

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Daniil Trifonov – ein neuer Chopin, Teil 2

Preisgekröntes Ausnahmetalent 

Daniil Trifonov gehört derzeit zu den gefragtesten Pianisten und Klassikmusikern. Man nennt ihn sogar in Verbindung mit einem russischen Pianisten und Komponisten aus dem frühen 20. Jahrhundert — Sergej Rachmaninow. Und er kann wichtige Preise für sich verbuchen: Künstler des Jahres 2016 der deutschen Zeitschrift “Grammophon”, Empfänger eines ECHO Klassik, und die Nominierung für einen Grammy.

Die klaren Strukturen und einprägsamen Melodien bei der Musik Rachmaninows finden in Trifonovs Klavierkonzert allerdings keine Entsprechung. Hier gibt es eher eine Abfolge kontrastierender Momente als den großen musikalischen Bogen. Aber allein die Tatsache, dass Daniil Trifonov mit dem berühmten russischen Multitalent in einem Atemzug genannt wird, weist auf eine große Zukunft für den hochbegabten Pianisten und Komponisten hin.