Zukunft von Pariser Kathedrale Notre-Dame weiterhin offen

0
487

Mehr als zwei Monate nach dem Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris ist unklar, wie es mit dem Wiederaufbau weitergeht. Die französische Nationalversammlung debattiert erneut darüber.

Das Pariser Design-Studio NAB schlägt vor, das Dach von Notre Dame in ein riesiges Gewächshaus zu verwandeln

Einen weißen Schutzhelm trägt der Erzbischof von Paris auf dem Kopf, als er am 16. Juni 2019 zur Predigt anhebt. Auch Messdiener und Gemeinde tragen Sicherheitshelme. Baustrahler tauchen den Altar in gleißendes Licht. In der Fernsehübertragung ist zu sehen, dass über dem Altarraum der Himmel durchscheint.

Weiterhin Einsturzgefahr in Notre-Dame

In dieser Kulisse leitete der oberste Geistliche von Paris, Michel Aupetit, nun seine erste Messe in der Kathedrale Notre-Dame, auf den Tag genau zwei Monate nachdem hier ein Großbrand gewütet und Dach samt Spitzturm zerstört hatte.

Helm statt Mitra: Der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit (zweiter von links), beim ersten Gottesdienst in Notre-Dame nach dem verheerenden Großbrand

Mit einem etwas trotzig anmutendem “Notre-Dame ist quicklebendig”, zitierte die Nachrichtenagentur AFP den Domdekan Patrick Chauvet vor der Messe. Ganz anders klingt Barbara Schock-Werner, frühere Kölner Dombaumeisterin und nun Koordinatorin der deutschen Hilfe beim Wiederaufbau von Notre-Dame. Wenige Tage vor der Messe konnte sie die Kirche ein zweites Mal betreten. Experten halten die für die Öffentlichkeit gesperrte Kirche weiterhin für einsturzgefährdet, so auch Schock-Werner selbst, die im Kölner Domradio ihre Eindrücke des Besuchs schilderte. Zwar sähe es besser aus als bei ihrem ersten Besuch, doch weiterhin lägen im Mittelschiff Haufen verkohlter Balken und heruntergebrochene Gewölbesteine herum. Dem vom Löschwasser durchnässten Chorgestühl drohe Schimmel. Wie der gesamte Innenraum, sei auch die Orgel völlig verrußt.

Warnung vor hoher Bleikonzentration

Bauarbeiter in Notre-Dame im Mai 2019. Wegen hoher Blei-Kontamination dürfen sie nur kurz an der Baustelle bleiben und überlassen dann ferngesteuerten Baggern das Feld

Zentrales Hindernis der Aufräumarbeiten aber sind Tonnen geschmolzenen Bleis aus dem Dach, die nun den Innenraum kontaminieren. Wegen der Bleivergiftungsgefahr versuche man den Schutt in der Kathedrale zeitraubend mit ferngesteuerten kleinen Baggern zu bergen, berichtet Schock-Werner. Doch erst wenn die Kirche vollständig gereinigt und gesichert ist, kann der eigentliche Wiederaufbau beginnen.

Vom Generalstabschef zum “Monsieur Reconstruction”: General Jean-Louis Georgelin

Der soll in fünf Jahren abgeschlossen sein. Das hatte Präsident Emmanuel Macron im April den Franzosen versprochen. Dieser ehrgeizige Zeitplan sitzt nun dem Fünf-Sterne-General Jean-Louis Georgelin im Nacken. Der ehemalige Generalstabschef im Elysée-Palast ist seit April “Monsieur Reconstruction”, Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau von Notre-Dame. Macron hatte “erfinderischen Wiederaufbau”, eine Allianz aus Tradition und Moderne und “respektvollen Wagemut” angemahnt. Diese Slogans befeuern nun den nationalen Architektenwettbewerb, den die Regierung schon im April ausgelobt hatte.  

Schwimmen ist schließlich gut für’s Kreuz: Wie wäre es mit einem Pool auf dem Dach von Notre-Dame?

Das letzte Wort hat die Regierung

Zu einer großen “Debatte und Konsultation” über den Wiederaufbau hatte Kulturminister Franck Riester die Franzosen im Mai eingeladen, zugleich aber auch klar gestellt, dass im Anschluss “der Staat” über das zukünftige Aussehen der Kathedrale entscheide und damit namentlich die Regierung von Premier Edouard Philippe. Wann genau die Entscheidung getroffen wird, ist noch nicht klar. 

Laut einer im April vom Meinungsforschungsinstitut YouGov veröffentlichten Online-Umfrage sprachen sich 54 Prozent der befragten Franzosen für eine Rekonstruktion aus. Als ermüdet von all dem “enormen Unsinn” beim Thema Wiederaufbau, bezeichnete sich unterdessen Chefarchitekt Philippe Villeneuve. Im Interview mit “Le Figaro” verweist er auf die Vorgaben der Denkmalpflege-Charta von Venedig aus dem Jahr 1964, die Frankreich einhalten müsse. Kurzum, so Villeneuve: “Die Spitze muss identisch nachgebaut werden”. 

Negativbeispiel Kölner Dom?

Denn der beim Brand zerstörte Spitzturm, den Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert entworfen hatte, habe sich “zeitlos “in die Kathedrale eingefügt, diese Silhouette gelte es nun zu rekonstruieren, so Villeneuve. Wie man es nicht machen solle, hat er dabei auch klar vor Augen und verweist auf den Vierungsturm des Kölner Doms: “Das ist eine Warze der 1950er Jahre auf einem historischen Gebäude”, sagte der Architekt. Mit einem Team von 150 Mitarbeitern ist Villeneuve nun beschäftigt, derlei zu verhindern. Ein Ende des sich immer klarer abzeichnenden Konflikts zwischen Wagemut und Denkmal-Demut beim Wiederaufbau der Kathedrale ist dabei nicht absehbar.

So stellen sich Pariser Designer die Innenansicht ihres Gewächshauses auf Notre-Dame vor.

Verwässerter Fünfjahresplan

Vor insbesondere zeitlich übertriebenen Erwartungen warnt unterdessen die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner: “Selbst wenn das Dach vielleicht in fünf Jahren drauf ist, wird man noch lange an und in dieser Kirche arbeiten müssen.” Die “große Eile” kritisierte auch der französische Senat, als er Ende Mai über das zuvor von der Nationalversammlung verabschiedete Gesetz zur “Erhaltung und Restaurierung” von Notre-Dame beriet. So wurde der Regierung schließlich untersagt, um Zeit sparen den Denkmalschutz punktuell umgehen zu können. Mehr noch verlangt der Senat, dem “letzten visuellen Zustand” treu zu bleiben. Das betrifft auch den Vierungsturm, den einst Viollet-le-Duc nachträglich errichten ließ. Über den derart geänderten Textentwurf will die Nationalversammlung am 26. Juni erneut entscheiden. Damit steht für Frankreichs Politik eine nächste Runde im Streit Alt versus Neu beim Wiederaufbau von Notre-Dame ins Haus. 


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Höhepunkt der Gotik

    Im Jahr 1163 gab der Pariser Bischof Maurice de Sully den Auftrag, eine Kathedrale zu errichten. Der Standort mitten in Paris war nicht zufällig gewählt. Zuvor befand sich an der selben Stelle ein römischer Tempel. Der Bau erstreckte sich über zwei Jahrhunderte und musste mehrere Plünderungen erleben. Zuerst wurde der Chorbereich errichtet. 1220 gab es den ersten Gottesdienst.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Kathedrale mit Toplage

    Für den Bau der Kathedrale wurde eigens eine neue Straßenachse angelegt. Bischof Maurice de Sully wollte mit dem hellen Kalksandsteinbau an der Spitze der Seineinsel ein Zeichen setzen. Die 69 Meter hohen Zwillingstürme entstanden aus teuren Materialien und sollten edel aussehen. Dafür wurden viele Spenden von Parisern eingesammelt.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Blick über Paris

    Im nächsten Bauabschnitt entstand das Langhaus, dessen Dach nun in Flammen aufgegangen ist. Imposant sind die zwei flachen Türme. Obwohl die Kathedrale Notre-Dame de Paris das meistbesuchte Bauwerk der französischen Hauptstadt ist, zahlt der Staat zu wenig Geld für den Unterhalt. An vielen Stellen bröckelte die Bausubstanz.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Zahn der Zeit

    Wahrscheinlich sind Reparaturarbeiten im Dach für den Brand verantwortlich. Schon im letzten Jahr, zum 850. Geburtstag von Notre-Dame zeigte sich, dass die Strebebögen von Witterung und Luftverschmutzung angefressen waren. Seitentürmchen mussten behelfsweise gestützt werden. 100 Millionen Euro wurden für die Renovierung beziffert. Das gotische Strebesystem stützt von außen das Hauptgewölbe.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Victor Hugo machte sie berühmt

    128 Meter Länge und 33 Meter Höhe misst die Kathedrale. Der französische Schriftsteller Victor Hugo stellte Notre-Dame in den Mittelpunkt seines 1831 veröffentlichten Erfolgsromans “Der Glöckner von Notre-Dame”. Schon in diesem Buch, das von dem missgestalteten Glöckner Quasimodo und seiner Liebe zur Zigeunerin Esmeralda erzählt, bemängelt Hugo den kritischen Zustand der Kirche.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Neue Glocken

    Zum 850. Geburtstag wurden die Glocken, die Quasimodo im Roman läutete, aus den Türmen entfernt. In einer Gießerei wurden neun neue Glocken gegossen. Zur Einweihung standen noch mehr Menschen vor Notre-Dame Schlange.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Renovierung vor mehr als 100 Jahren

    Im 19. Jahrhundert wurde die Kathedrale von Violett-le-Duc renoviert. Er fügte die sogenannte Chimären-Galerie hinzu. So heißen die steinernen Fantasievögel und Fabelwesen an den Ecken der Balustrade. Die Touristen konnten innen wie außen aber auch die berühmten Rosettenfenster bewundern.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Prachtvolle Fenster

    Im Innern ließ sich bislang die Farbwirkung der Rosettenfenster noch besser erspüren. Ein tiefes Blau, aber auch ein dunkles Rot dominierte die Lichtflut. Alles in dem Bau strebt nach oben – das Erbe der Gotik. Aber auch in späteren Epochen wie Renaissance und Barock wurde die Kirche weitergebaut und an die jeweilige Zeit angepasst. Doch die Gotik ist das vorherrschende Stilmittel.


  • Notre-Dame von Paris – Geschichte eines Wahrzeichens

    Notre-Dame brennt lichterloh

    An der Kathedrale laufen aufwändige Renovierungsarbeiten, als am 15. April ein verheerendes Feuer auf dem Dachboden ausbricht. Das Dach und der höhere, spitze Turm in der Mitte des Hauptschiffs fallen in sich zusammen. Noch während der Brand in dem historischen Gemäuer tobt, verspricht Staatspräsident Emmanuel Macron “Wir werden Notre-Dame wieder aufbauen”.

    Autorin/Autor: Sabine Oelze