Kongo: Hunderttausende auf der Flucht

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In der Provinz Ituri ist neue Gewalt zwischen den Volksgruppen der Hema und der Lendu aufgeflammt. Die Bevölkerung fühlt sich in diesem 20 Jahre alten Konflikt von den Behörden zunehmend im Stich gelassen.

Binnenflüchtlinge in einem Flüchtlingslager in Ituri

Schießereien, Entführungen, Vergewaltigungen und Verstümmelungen – davon berichten Augenzeugen in der Provinz Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Hunderttausende Menschen sind nach Kämpfen zwischen den rivalisierenden Volksgruppen Hema und Lendu auf der Flucht. Mehr als 240 Menschen sollen bisher getötet worden sein.

Esther Nzale ist aus ihrem Dorf geflohen

Esther Nzale musste, wie viele andere, aus ihrem Dorf Kpatsi fliehen: “Die Lendu kamen am Montag im Laufe des Tages, es war 12 Uhr”, sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. “Wir waren auf den Feldern, als wir davon hörten. Wir sind zu unseren Häusern gelaufen, die angezündet worden waren.” Sie habe gesehen wie Menschen lebendig verbrannten oder mit Macheten getötet wurden. Ihr Ehemann wurde bei dem Angriff getötet, Esther Nzale selbst entkam. Aber sie wisse nun nicht, was die Attentäter mit den Leichen gemacht hätten, ob diese überhaupt begraben wurden.

Selbstverteidigungsgruppen und Rachemorde

Wie ihr geht es vielen anderen. Laut Babar Baloch, Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, sind seit Anfang des Monats 300.000 Menschen vor den Konflikten im Nordosten der Demokratischen Republik geflohen sind. Seit Mitte vergangener Woche habe sich die Situation in der Provinz Ituri weiter verschlechtert. “Die Menschen fliehen vor Angriffen und Gegenangriffen in der Region Djugu”, so Baloch am Dienstag in Genf. Berichten zufolge, bildeten beide Gemeinschaften Selbstverteidigungsgruppen und begingen Rachemorde.

UNHCR-Sprecher Babar Baloch

Die Konflikte zwischen Hemas und Lendus reichen bis in die späten 1990er Jahre zurück. Auslöser für das erneute Aufflammen der Gewalt war die Ermordung eines Lendu-Kaufmanns vergangene Woche. Daraufhin folgten Vergeltungsmaßnahmen, berichtet Dieudonné Paluku. Er lebt in der Provinzhauptstadt Buna und kümmert sidch um das Zusammenwirken der verschiedenen zivilgesellschaftlichen Player in der Provinz Ituri. Der Hof seiner Eltern in der Stadt Kilo sei attackiert worden. Die Angreifer hätten seine Mutter gesucht, die aus der Hema-Gemeinschaft stammt. “Als sie niemanden fanden, plünderten sie nur unser Eigentum”, berichtet Paluku. Für ihn hat der Konflikt mehrere Ursachen. So gäbe es Unstimmigkeiten über Landeigentum, die noch aus der Kolonialzeit herrührten. “Einige Grenzen zwischen den beiden Volksgruppen wurden nicht gut gezogen”, sagt Paluku. Und schließlich gäbe es den sozioökonomischen Aspekt des Konflikts.

Frauen für den Frieden

Für Jacqueline Dz’Ju Malosi hat der aktuelle Konflikt seine Ursache darin, dass frühere Streitigkeiten nie richtig beigelegt wurden. Sie arbeitet für “Pamoja Inawezenaka” – ein Projekt, das mehrere Frauenorganisationen zusammenführt, um den Frieden wiederherzustellen. “Wir mobilisieren die Gemeinschaften, so dass sie für sich einstehen können und unterstützen sie im Aufbau von Strukturen, damit sie für sich selbst sorgen können.”. Aber die Aktivistin fragt sich, weshalb die kongolesischen Behörden nicht mehr unternehmen würden.

Flucht aus Ituri über den Albertsee nach Uganda

Jean Bamanisa Saidi ist Gouverneur der Provinz Ituri. Für ihn ist einer der Schlüssel zur Lösung dieses Konflikts die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Außerdem müsse sich die Regierung in Kinshasa mehr einbringen. “Die Maßnahmen, um die Bevölkerung zu schützen, werden mit einer größeren Präsenz der Armee gewährleistet”, sagte Saidi der DW. Nun fordert er von der Regierung eine größere und tiefergehende Unterstützung in den Bereichen Bildung, Arbeit und Straßenbau. Außerdem brauche es eine größere Präsenz staatlicher Autorität in den Gebieten Djugu und Irumu.

Mangelnde Präsenz der Regierung

In der Tat sei dies eines der Grundprobleme der Region, bestätigt Ntumba Lwaba, Professor an der Universität Kinshasa und ehemaliger Minister der Menschenrechte im Kongo. “Es ist uns nie gelungen, die Autorität des Staates dort vollständig zu etablieren, das heißt die Armee, die Polizei, die Justiz, die Verwaltung.”. Dies läge auch daran, dass sich einige Wenige an den Ressourcen der Provinz bereichern würden. Lwaba fordert: “Die staatliche Autorität muss im gesamten Gebiet der Provinz Ituri gefördert werden. Die Grenzen müssen besser bewacht werden.”

MONUSCO-Blauhelme bei Goma im östlichen Kongo

Zunächst muss aber der Frieden in der Region wiederhergestellt werden. So verstärkte die örtliche UN-Friedensmission MONUSCO inzwischen nach eigenen Angaben ihre Präsenz in den umkämpften Gebieten. Laut Florence Marchal, Sprecherin der Mission, wurden mittlerweile drei Bataillone in die Region geschickt – zwei nach Djugu und eines nach Mahagi. Marchal erläutert das Vorgehen der MONUSCO so: “Wir richten in den Gemeinden Warnsysteme ein, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Wenn wir merken, dass eine Krise bevorsteht, analysieren wir die Situation und können dann Truppen in diese schwierigen Gebiete schicken, um die Bevölkerung zu unterstützen.”

Ebola verschärft die Lage

Laut Augenzeugen ist das Vertrauen der Bevölkerung in die MONUSCO allerdings nicht besonders groß. Und das UNHCR berichtet, dass es die Menschen nur mangelhaft versorgen könne. Es fehlten vor allem Unterkünfte und Nahrungsmittel. Viele Flüchtende versuchten, Bunia, die Hauptstadt der Provinz Ituri, zu erreichen – andere würden über den Albertsee nach Uganda fliehen. Sie würden aber von Jugendbanden der Bevölkerungsgruppen der Hema und Lendu teils daran gehindert.

Improvisiertes Ebolazentrum in der Nachbarprovinz Ost-Kivu

Zuletzt gab es zwischen 1999 und 2003 einen großen Konflikt zwischen Lendu- und Hema-Milizen. Damals kamen etwa 50.000 Menschen ums Leben. Gefährlich ist die aktuelle Lage vor allem, weil es in der Provinz schon zahlreiche Fälle der hochansteckenden Viruskrankheit Ebola gegeben hat. Wenn so viele Menschen in engen Flüchtlingslagern zusammenleben und umherziehen, könnten die Gesundheitsbehörden Ansteckungen kaum verhindern, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Insgesamt sind im Kongo seit Beginn des jüngsten Ausbruchs vor etwa einem Jahr fast 2200 Menschen an Ebola erkrankt und fast 1450 von ihnen gestorben. Etwa zehn Prozent der Fälle wurden in der Provinz Ituri gemeldet, so ein WHO-Sprecher in Genf.