Brasilien: Justizminister Moro unter Druck

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Schwerer Schlag für den Anti-Korruptionskampf: Gesprächsmitschnitte zwischen Ex-Richter Sérgio Moro und der Anti-Korruptionseinheit zeigen illegale Absprachen bei Verurteilung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Justizminister Sergio Moro (r.) mit Präsident Jair Bolsonaro (Archivbild)

“Absurde Geheimabsprachen zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft” nennt der Politologe Sérgio Praça vom brasilianischen Think-Tank Fundação Getúlio Vargas die nun zutage getretenen Gespräche zwischen dem ehemaligen Bundesrichter und heutigen Justizminister Sérgio Moro und den Ermittlern der Anti-Korruptionseinheit “Operation Waschstraße”. Am Montag hatte der US-amerikanische Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald die in dem Messenger-Dienst Telegram geführten Gespräche auf seiner Webseite “The Intercept” veröffentlicht. Und damit ein politisches Erdbeben in Brasilien ausgelöst.

In den Gesprächen orientiert Moro die Ermittler und trifft Absprachen mit ihnen. Das ist nach brasilianischem Recht untersagt, da der Richter unparteiisch sein muss. “In jedem anderen Land wäre dies ein Skandal, der den Minister sofort zum Rücktritt zwingen würde und sofort interne Ermittlungen gegen die Staatsanwälte auslösen würde”, so Praça gegenüber der DW. Tatsächlich wurden noch am Montag interne Untersuchungen gegen die Spezialeinheit eingeleitet.

Konkret geht es um den Fall von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2010), der von Moro Mitte 2017 wegen Geldwäsche und Korruption verurteilt wurde. Es war nur eine von mehreren Anklagen gegen den beliebten Politiker im Rahmen des Korruptionsskandals rund um den halbstaatlichen Energieriesen Petrobrás. Seit 2014 deckte die Justiz ein gigantisches Netz aus Korruption auf, in dem sich zahlreiche Politiker nahezu sämtlicher Parteien, Manager von Staatsbetrieben sowie einflussreiche Unternehmer verfingen.

Zweifel an Beweisen gegen Lula

Der größte Triumph der Ermittlungen war dabei Lulas Inhaftierung im April 2018. Lula soll als Dank für die Bevorzugung von Unternehmen ein Luxus-Apartment im Küstenort Guarujá erhalten haben. Der Ex-Präsident bestreitet dies. In den nun veröffentlichten Gesprächen werden Zweifel des Chefermittlers Deltan Dallagnol an der Stichhaltigkeit der Beweise gegen Lula offensichtlich.

Die Mitschnitte waren wohl durch Hackerangriffe entwendet worden. Vor Gericht dürfen sie deshalb wohl nicht verwendet werden. “Letztlich ist es jedoch nicht so wichtig, ob es sich um einen Hackerangriff handelt, schließlich sind die Informationen von öffentlichem Interesse”, so Sérgio Praça. Im Jahr 2016 habe Moro selbst ein illegal mitgeschnittenes Gespräch zwischen Lula und der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff veröffentlicht, erinnert der Politologe. “Jetzt, da es gegen sie selbst geht, darf so etwas nicht sein.”

Justizminister Moro verteidigte am Montag die Gespräche zwischen Richtern und Staatsanwälten als “normal”. Praça sieht das anders. “Das ist absurd. Wenn Gespräche zwischen Richtern und Ermittlern gang und gäbe sind, sind sie ebenfalls korrupt, denn dies ist nun einmal in Brasilien verboten. Der Richter muss unparteiisch sein und darf nicht mit anderen Beweise konstruieren.” Im Umkehrschluss sei jedoch nicht automatisch die Unschuld Lulas erwiesen. Noch existierten weitere Prozesse und zahlreiche Beweise gegen den Politiker, so Praça.

Lula durch Verhaftung an Kandidatur gehindert?

Die Enthüllungen werfen jedoch einen Schatten auf die Arbeit der brasilianischen Justiz. Besonders schwer wiegen die bewussten Manipulationen, um einen Wahlsieg von Lulas Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) im Oktober 2018 zu verhindern. Aus den Gespächsmitschnitten geht hervor, dass sowohl Moro wie auch die Ermittler versuchten, dem Ersatzkandidaten der PT, Fernando Haddad, zu schaden. Dieser war eingesprungen, nachdem Lula aufgrund seiner Verhaftung nicht antreten durfte.

So hatte Moro wenige Tage vor dem ersten Wahlgang Anfang Oktober Teile einer geheimen Kronzeugenaussage veröffentlicht, die Lula und die PT belasteten. Bewusst einer Kandidatur zu schaden, um die PT von der Macht fernzuhalten – “wenn das kein Verbrechen ist, dann weiß ich nicht was eines sein soll”, so Praça.

Befangener Richter: Verfahren zu Lulas Verhaftung erneut auf der Tagesordnung

In Lulas Abwesenheit hatte der Rechtspopulist Jair Messias Bolsonaro, ein erklärter Feind Lulas, die Wahlen gewonnen. Wenige Tage nach seinem Triumph kündigte er an, Bundesrichter Moro zum neuen Justizminister ernennen zu wollen. Lulas Verteidigung hatte daraufhin den Antrag gestellt, dessen Verurteilung wegen Befangenheit des Richters aufzuheben. Nachdem die kompromittierenden Mitschnitte am Montag veröffentlicht wurden, setzte der Oberste Richter Gilmar Mendes den Antrag von Lulas Verteidigung wieder auf die Tagesordnung.

Mendes und weitere Oberste Richter stehen Moro und den Korruptionsermittlern seit Jahren kritisch gegenüber. Diese überschritten regelmäßig ihre Kompetenzen, so die Richter. Besonders die Anwendung von überlanger Untersuchungshaft gegenüber Verdächtigen sowie die Nutzung von Kronzeugenaussagen stößt auf Kritik. Zudem sind die Richter gegen den Haftantritt nach einer Verurteilung in zweiter Instanz. Sie plädieren stattdessen dafür, dass Haftstrafen erst nach Ausschöpfung aller vier Instanzen möglich sind.

Kontroverse um Haftantritt nach Verurteilung in zweiter Instanz

Bisher hatte die Mehrheit der Obersten Richter den vorgezogenen Haftantritt jedoch legitimiert und Lulas Inhaftierung erlaubt. Nun droht ein Positionswechsel des Gerichts. “Wenn sie Lula jetzt auf freien Fuß setzen, ist die Inhaftierung nach der zweiten Instanz am Ende, und das wäre ein Rückschritt”, so der Politologe Ricardo Ismael gegenüber der DW. “Aber mit Sicherheit würde dies eine Reaktion innerhalb der Gesellschaft auslösen, es würde zu Demonstrationen gegen das Oberste Gericht und zur Unterstützung von Sérgio Moro kommen.” Immerhin sei dieser immer noch äußerst beliebt, so Ismael.

Schwierig dürfte zudem die Verabschiedung von Moros Anti-Korruptionsgesetzen im Kongress werden. Bereits vor der Veröffentlichung der Mitschnitte waren viele Politiker gegen die Gesetzesverschärfungen gewesen. “Viele Abgeordnete wollen nun einmal nicht, dass dieses Gesetzespaket verabschiedet wird”, so Ismael. “Und jetzt ist das noch viel schwieriger geworden.”