Wandern, Wein und Reisefreiheit – ein Besuch in Schengen

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Für die meisten Touristen ist Schengen der Name für ihr Europa-Visum. Die wenigsten wissen, dass es ein kleiner Ort in Luxemburg ist. Hier wurde 1985 die Reisefreiheit innerhalb Europas beschlossen. Ein Ortstermin.

Ich stehe am Ufer der Mosel, ein europäischer Fluss, der Frankreich, Luxemburg und Deutschland durchfließt. Hier in Schengen treffen alle drei Länder aufeinander. Und auf luxemburgischer Seite liegt das Städtchen Schengen. Es ist, wenn man so will, der Geburtsort des grenzenlosen Europas, wie wir es heute kennen und lieben.

Wege zum Nachbarn: Diese Brücke in Schengen führt nach Frankreich und Deutschland

Reisefreiheit in Europa, das erscheint uns heute selbstverständlich. Die 26 Länder des Schengen-Raums mit ihren mehr als 400 Millionen Menschen verzichten untereinander auf Grenzkontrollen. Wer ein Schengen-Visum hat, kann sich innerhalb Europas frei bewegen.

Von der Utopie zur Wirklichkeit

Meine erste Station in Schengen ist das Europa Museum am Moselufer. Auf dem Vorplatz streben Säulen in den Himmel, die Nationensäulen. Jeder Stern steht für einen Mitgliedsstaat. Im Wind wehen alle Flaggen. Ein buntes Europa. 40.000 Besucher kommen jedes Jahr nach Schengen, in die kleine Grenzstadt. Das Museum ist ein Besuchermagnet.

Jeder Stern ein EU-Land – die Nationensäulen vor dem Europa Museum Schengen

Drinnen begegnen die Touristen der Geschichte Europas, interaktiv aufbereitet – wie das heute Standard ist. Im Mittelpunkt die Bedeutung des Schengen-Abkommens und seine Auswirkungen auf Europa. In einer Glasvitrine hübsch aufgereiht ein analoger Gruß aus der Vergangenheit: 30 Dienstmützen von Zollbeamten aus ganz Europa.

Im Juni 1985 trafen sich die Vertreter von fünf Ländern – Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Deutschland – in Schengen und einigten sich darauf, an ihren Binnengrenzen die Personenkontrollen schrittweise abzuschaffen.

Ein historischer Ort

Dass ausgerechnet hier in Schengen der Traum vom „Europa OHNE Grenzen“ Fahrt aufnahm, ist kein Zufall. Der Ort im Dreiländereck ist so eine Art Miniatur-Europa, von ihm geht eine gewisse Symbolkraft aus. Wer hier lebte, hatte es tagtäglich mit Grenzkontrollen zu tun. Ein Leben ohne Grenzen – damals vor 34 Jahren eine revolutionäre Idee – ein schöner Gedanke, aber irgendwie auch unvorstellbar weit weg.

“Die Idee von offenen Grenzen war eine Utopie. 1985 war ein Europa ohne Grenzkontrollen unvorstellbar, besonders zwischen Frankreich und Deutschland. Es war ganz außergewöhnlich”, berichtet Martina Kneip, die Direktorin des Europa Museums in Schengen.

Ausgedient und ausgestellt: Dienstmützen von Zollbeamten der EU

Das Museum ist nicht nur als Informationszentrum gedacht, es fungiert auch als Denkmal für ein vereintes Europa und einer gemeinsamen Identität. Museumsdirektorin Kneip kommt ursprünglich aus Freiburg, einer Stadt im Süden Deutschlands, die an Frankreich und die Schweiz grenzt. Sie ist überzeugte Europäerin: “Es ist fahrlässig, Schengen als gegeben anzusehen. Das ist nicht so. Wir müssen jeden Tag etwas dafür tun und uns dafür engagieren, damit es so bleibt.”

Wandern ohne Grenzen

Das Moseltal mit seiner idyllischen Hügellandschaft links und rechts lädt zum Wandern ein. Ideal für Tagesausflüge, Angebote gibt es reichlich. Ich entscheide mich für einen dreistündigen Rundweg “Traumschleife – Schengen grenzenlos”. Er führt von Schengen in Luxemburg nach Frankreich und Deutschland und wieder zurück.  Los geht es gleich am Europa Museum.

Der Wanderweg schlängelt sich durch Weinberge und Wälder, es geht über Wirtschaftswege an blühenden Rapsfeldern vorbei. Hinter einer engen Haarnadelkurve öffnet sich der Blick auf das Flusstal und die kleinen Dörfer, die sich ans Ufer schmiegen. So sieht also das Grenzgebiet von oben aus. Kein Stacheldraht, keine Schranken, keine Grenzbeamten. Nur Landschaft. Auf der Mosel tuckert ein Lastkahn mit Kohle flussabwärts, auf den Straßen sind Autos unterwegs, ungehindert fahren sie von einem Land zum anderen.

Wo bin ich? In Deutschland oder Frankreich oder Luxemburg?

Ich frage mich: Wo hört Deutschland auf, wo fängt Frankreich an? Den einzigen Hinweis geben mir die Kühltürme eines Atomkraftwerks – das muss Frankreich sein. Windräder am Horizont – das spricht für Deutschland.

Der Wanderweg ist anspruchsvoll für einen Wenig-Wanderer wie mich. Es geht ordentlich rauf und runter. Es gibt Tafeln mit Infos zu Flora und Fauna. Und immer wieder tolle Ausblicke. Und Unverhofftes: Gegen Ende meiner Wanderung komme ich sogar noch an einer stillgelegten Gipsgrube vorbei.

Wein ohne Schnickschnack

Die Mosel, das bedeutet Wein. Und von dem gibt es auch in Schengen genug. Drei Weinberge hat das Städtchen. An den Hängen des Markusberg wird Müller-Thurgau angebaut. Jeder Weinberg hat seinen eigenen Schutzpatron. Für den Markusberg ist naheliegend – der heilige Markus.

Lucien Gloden produziert Wein in vierter Generation, geboren und aufgewachsen ist der Winzer in Schengen. Ihm gehören fünf Hektar Weinberge, verteilt auf Deutschland, Frankreich und Luxemburg. Das ergibt einen Ertrag von etwa 40.000 Flaschen im Jahr.

Überzeugter Europäer – Winzer Lucien Gloden hat Weinberge in Deutschland, Frankreich und Luxemburg

Gloden profitiert vom vereinten Europa. “Ich denke, gerade wir Luxemburger mit unserem kleinen Land könnten ohne ein gemeinsames Europa und ohne eine gemeinsame Währung nicht überleben.” Die meisten Winzer im Ort beliefern die internationale Gourmetszene, Gloden nicht. Er steht für Bodenständigkeit. Genau das mag ich an seinem Weinkeller. Er ist einfach und ohne Schnickschnack.

Der Müller-Thurgau schmeckt mir am besten, leicht und weich, ein angenehmer Tafelwein. Hier wird er auch gern mit einem Schuss Mineralwasser als Schorle getrunken.

Bevor ich gehe, ruft mir Gloden zu, dass ich im August wiederkommen soll. Dann findet im südlichsten Weindorf Luxemburgs, in Schengen, das Festival “Pinot & Friture” statt. Serviert wird Pinot Blanc und “Friture de la Moselle” – fritierte, kleine Moselfische.

Könnte sein, dass ich nochmal vorbeischaue – im Miniatur-Europa.