Union Berlin: Zwischen Tradition und Wandel

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Zweitligist Union Berlin muss in der Relegation gegen VfB Stuttgart bestehen, um erstmalig in die Bundesliga aufzusteigen. In Zeiten zunehmender Kommerzialisierung will der Klub trotzdem seine Identität wahren.

“Scheisse, wir steigen auf”, hieß es vor zwei Jahren auf einem Banner  in der Alten Försterei.  Der Spruch der Fans von Union Berlin bezog sich augenzwinkernd darauf, dass sich ihr Verein nach einem 2:0-Sieg gegen Würzburg am 23. Spieltag jener Zweitligasaison auf Platz 2 verbessert hatte.  Doch die Reaktion war zu einem gewissen Grad auch durchaus ehrlich gemeint.  Viele Anhänger des Vereins standen einem möglichen Aufstieg in die Bundesliga kritisch gegenüber. Sie sahen vor allem die Gefahr einer zunehmenden Kommerzialisierung. Am Ende hatten sich die Bedenken jener Fans erledigt,  Union wurde nur Vierter.

Wie kann es sein, dass die Fans eines Klubs nicht aufsteigen wollen? Es wirkt ein bisschen schräg. Schließlich liegt es doch im Wesen des Fußballs, Spiele gewinnen zu wollen, mit dem Ziel, auch im heutigen Wettlauf um Gewinnmaximierung mithalten zu können. Inzwischen hat sich die Haltung der Union-Anhänger geändert – ist der Verein doch nur zwei (Relegations-) Spiele vom historischen Aufstieg entfernt. Doch das Banner von 2017 steht immer noch für das Ethos des etwas anderen Vereins, der versucht, den Trends des modernen Fußballs zu trotzen.

“Ort der Alternativ-Kultur”

Zu DDR-Zeiten war Ost-Berlin in zwei Fußballlager geteilt: hier die Fans von Union Berlin, dort jene des Berliner FC Dynamo. Union galt als der Verein der Arbeiter, Dynamo als Spielzeug des ehemaligen Stasi-Chefs Erich Mielke. Während Dynamo zwischen 1979 und ’88 zehn DDR-Titel in Folge gewann und zum Rekordmeister aufstieg, kam Union nicht über Rang sieben als bestes Saisonergebnis hinaus. Union erwarb sich den zweifelhaften Ruf einer “Fahrstuhlmannschaft” zwischen erster und zweiter DDR-Liga.

DDR-Oberliga 1988: Union-Torschütze Michael Weinrich (r.) bejubelt sein Ausgleichstor gegen Kar-Marx-Stadt

“Natürlich gab es auch einen politischen Aspekt, denn Dynamo war mit der Stasi verbunden, was vielen Menschen gegen den Strich ging”, sagt Christian Arbeit, Stadion- und Pressesprecher von Union Berlin und sein ganzes Leben lang auch Fan des Vereins. “Aber in erster Linie war es eine Fußball-Rivalität.”

Auch Union war ein wesentlicher Bestandteil des Sportsystems der DDR und wurde vom Regime finanziert, aber die Wurzeln des Vereins gehen viel weiter zurück als die Staatsgründung der DDR 1949. In der Union-Fangemeinde fanden sich auch viele Dissidenten, die ihre Verachtung für das politische System der DDR in der Anonymität der Fußball- Menge ausleben konnten. “Es war ein Ort der Alternativ-Kultur, für Menschen, die mit dem Staat nichts am Hut hatten. Es war ein Ort der Individualität und Freiheit”, sagt Arbeit.

Als die Bundesliga nach dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung ein Jahr später in der Saison 1991/92 auch zwei ostdeutsche Vereine integrierte, waren weder der FC Dynamo noch Union Berlin dabei, sondern Hansa Rostock und Dynamo Dresden.

Der Weg nach oben

Die nächsten 20 Jahre dümpelte Union Berlin in der vierten Liga herum – mit einer Ausnahme, als der Verein im Jahr 2001 ins Endspiel des DFB-Pokals einzog und sich trotz der 0:2-Niederlage für den UEFA-Pokal qualifizierte. Sebastian Fiebrig, der den Fan-Blog “Textilvergehen” schreibt und den Podcast “State of the Union Podcast” leitet, sieht den Einstieg Dirk Zinglers als Vereinspräsident  im Jahr 2004 als wichtigen Wendepunkt.

“Bis dahin mussten meist die Fans die Dinge vorantreiben, doch seit Dirk Zingler hier ist, ziehen der Verein und die Fans am selben Strang, was etwas ganz Besonderes ist”, sagt Fiebrig. Unter Zinglers Führung wurde Union auch sportlich stabiler und schaffte schließlich den Aufstieg in die 2. Liga, wo die Berliner seit einem Jahrzehnt zum festen Bestandteil gehören.

Union verfolgte konsequent den Plan, den Verein nach vorne zu bringen. Das Stadion wurde erweitert – teilweise finanziert von den Fans in der legendären Kampagne “Bluten für Union”, Sponsoren und Investoren wurden gesucht. “Unsere Identität bedeutet nicht, dass wir überhaupt nicht kommerziell sind, natürlich sind wir das. Das ist Fußball”, sagt Fiebrig. “Wir verwenden Sponsorengelder, um unsere Spieler zu bezahlen, und wir machen Geschäfte, ohne die man nicht überleben kann. Das ist vielleicht ein Grund, warum wir jetzt auf dem Weg in die Bundesliga sind.” Verein, Spieler und Fans – sie alle haben den Aufstieg fest im Blick.

Vor 16 Jahren trafen sich 89 Verrückte mit Glühwein und Gebäck auf der Mittellinie im Stadion . Heute hat das Weihnachtssingen Tradition, 30.000 machen mit.

Einzigartige Stadion-Atmosphäre

Jeder, der schon einmal bei einem Union-Spiel an der Alten Försterei dabei war, ist beeindruckt von der Atmosphäre. Der ruhige, grüne Vorort Köpenick im Südosten Berlins verwandelt sich in eine pulsierende, leidenschaftliche Party, sobald sich eine eklektische Mischung von Fans zu einer 22.000 Mann starken rot-weißen Armee zusammenschließt. “An Spieltagen geht es nur um den Fußball. Der Verein sorgt dafür, dass die Fans nur Fußball erleben”, sagt Feibrig.

Soll heißen: keine Halbzeitshows, keine Musik bei Toren, keine Lichtspiele, keine Glocken und Pfeifen, nur ein traditionelles Fußballerlebnis ohne den modernen Marketing-Schnickschnack. Das alles in einem Stadion, das einen an eine längst vergangene Zeit erinnert. “Wir haben ein reines Fußballstadion mit Stehplätzen, im Gegensatz zu den modernen Sitzplatz-Arenen”, erklärt Arbeit.

Union Berlin ist nicht nur ein Verein, sondern eine Gemeinschaft. Und die ist jetzt bereit, ihre Kultur mit der Bundesliga zu teilen. “Union ist wie eine Familie. Klar, das behauptet jeder Klub von sich, aber Union ist anders”, meint Fiebrig. “Wir können einen guten Einfluss auf die Bundesliga haben. Die Menschen haben den Eindruck, dass die Bundesliga derzeit genau das verliert, was sie besonders macht.”

Allen Widrigkeiten zum Trotz

“Leipzig hat seine eigene Fußballvision und das ist okay so.  Aber wir glauben daran, dass die Klubmitglieder entscheiden sollten, welche Richtung der Verein einschlägt.” Arbeit, der als Stadionsprecher die Stimmung an den Spieltagen aufheizt, glaubt, dass Union Berlin die erste Liga aufrütteln kann. “Wir würden alle Bundesligavereine begrüßen und ihnen zeigen, wie es ist, ein Tor ohne Musik zu feiern, eine Ecke zu sehen, die nicht von einem Sponsor präsentiert wird”, sagt Arbeit.

Dafür müsste Union aber erstmal aufsteigen. Seit die Relegation vor zehn Jahren eingeführt wurde, haben lediglich zwei Zweitligisten die Playoffs für sich entscheiden können. Die Stimmung rund um den Verein ist jedoch positiv, dass es Union trotz aller Widrigkeiten schaffen kann.

Das zeigen auch die Fan-Banner aus den vergangenen Spielen, die so ganz anders sind, also das von vor zwei Jahren (siehe Foto oben). Auf einem Transparent, das vor dem letzten Spieltag, beim Unentschieden in Bochum, ausgerollt wurde, war zu lesen. “Gib niemals auf und glaube an dich.”

Nach einer bemerkenswerten Saison wagen es die Fans nun doch zu träumen. Und es besteht kein Zweifel daran, wovon diese nun handeln.