Italiens teurer Europawahlkampf

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Wahlkampfgetöse kann richtig teuer werden. Kurz vor den Europawahlen macht Italien es vor: Vizeregierungschef Salvini wettert gegen die EU-Regeln – und die italienischen Staatsanleihen rutschen weg.

Italien, so formuliert es die römische Zeitung “La Repubblica”, stünde “unter besonderer Beobachtung der Märkte”. Das ist wohl wahr. Die Reaktion der Finanzmärkte auf Äußerungen der Regierungspolitiker in Rom erfolgt derzeit geradezu in Echtzeit. Vizeregierungschef Matteo Salvini von der rechten Lega schießt gegen die europäischen Stabilitätskritierien – im Wortlaut: “Die scheren mich nicht im Geringsten” – und die Kosten für die italienischen Staatsschulden gehen in die Höhe.

Wirtschaftsminister Giovanni Tria beteuert, das Land würde zu seinen Verpflichtungen stehen – und die Märkte beruhigen sich wieder etwas. Die Nervosität aber bleibt. Und sie wird wohl bis über die Europawahlen, die vom 23. bis 26. Mai abgehalten werden – hinaus anhalten. Zumal die Streithähne mittlerweile gemeinsam in der Regierung in Rom sitzen. 

Achterbahnfahrt

In schlichten Zahlen verlief die kostspielige Achterbahnfahrt italienischer Staatsanleihen in dieser Woche bisher so: Am Dienstag stieg die Rendite der zehnjährigen Titel Italiens auf ein Zweieinhalb-Monats-Hoch von 2,80 Prozent. Salvini, also der stellvertretende Ministerpräsident Italiens und von vielen als heimlicher Regierungschef des Landes gehandelt, hatte zuvor gesagt, die Regierung in Rom sei bereit, die Defizit-Regeln der EU zu ignorieren und die Verschuldung auf bis zu 140 von derzeit etwa 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in die Höhe zu treiben, um die Konjunktur anzukurbeln.

Zwist im Kabinett: Innenminister Matteo Salvini und Regierungschef Giuseppe Conte (rechts)

Nachdem sein Kabinettskollege Tria und der ebenfalls als Vizeministerpräsident firmierende Luigi Di Maio von der “Fünf-Sterne-Bewegung” versucht hatten, die Wogen etwas zu glätten, ging die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen auf 2,751 Prozent zurück. Auch am Donnerstag verharrten sie in etwa dort. Hinter den Zahlen verbirgt sich eine ernste Gefahr für Italien. Deshalb wird im Land der sogenannte “Spread” – also der Abstand zwischen italienischen Staatsanleihen und den deutschen Bundesanleihen – scharf beobachtet. Am Mittwoch der Woche stieg der “Spread” über 2,9 Prozentpunkte. Bei einem Wert von 3,5 Prozentpunkten hatte seinerzeit der damalige Regierungschef Berlusconi sein Amt verloren.

Unter den großen europäischen Ländern ist Italien nämlich das am höchsten verschuldete EU-Mitglied. Bei 132,2 Prozent lag 2018 die Verschuldungsquote – erlaubt sind nach EU-Kriterien 60 Prozent. Ein Rekordwert für Italien: 2,4 Billionen Euro. Einen großen Anteil dieser Schulden des italienischen Staates halten italienische Banken. Mehr als 400 Milliarden Euro römische Staatsanleihen stehen in ihren Bilanzen, rechnete die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” jetzt vor, mehr als das Eigenkapital des gesamten Bankensystems im Land.

Risiko für die Banken

Höhere Kosten für die Staatsanleihen belasten also nicht nur den italienischen Haushalt – die hohen Zinsen müssen ja fortlaufend beglichen werden und schränken den Spielraum für andere Ausgaben ein. Sie werden auch zum Risiko für die Banken: Kursverluste der Staatsanleihen schwächen das Eigenkapital der Banken, und auch sie müssen höhere Finanzierungskosten fürchten.

Italien: Problemsektor Banken

Um angesichts dieser Zahlen die Nervosität der Märkte einschätzen zu können, mag ein Blick auf den Wortlaut der Äußerungen des Lega-Politikers Salvini helfen: “Es ist nicht nur mein Recht, sondern meine Pflicht, mich über gewisse europäische Beschränkungen hinwegzusetzen, durch die Millionen von Italienern Hunger leiden”, sagte er am Dienstag dem Sender RAI. Die Regeln für die Euro-Zone bezeichnete er als “überholte, fiskalische Zwänge, die uns von der EU aufgezwungen werden”. Sie seien alt und ohne Bedeutung.

Salvini ist derzeit bemüht, Koalitionen mit anderen Rechtsparteien in Europa zu schmieden und will erklärtermaßen die Mehrheitsverhältnisse in Europa bei den kommenden Wahlen nach rechts verschieben.

Positionen wie die Salvinis belasten immer wieder auch die europäische Gemeinschaftswährung. Der Euro fiel am Mittwoch nach den jüngsten Äußerungen des Lega-Politikers zwischenzeitlich auf bis zu 1,1178 Dollar.

Schwache Wirtschaft

Die Märkte würden solche Reden während eines Wahlkampfs vielleicht eher ignorieren, wenn die Wirtschaftslage des Landes Anlass zu Hoffnung gäbe. Nach jüngsten Schätzungen der EU-Kommission wird das Staatsdefizit Italien in diesem Jahr auf fast 134 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Im Jahr darauf dürften es über 135 Prozent sein. Dagegen sank die Wirtschaftskraft in den letzten Quartalen des vergangenen Jahres, und das Plus in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres lag bei nur 0,2 Prozent. Für das Gesamtjahr rechnet die EU-Kommission mit einem Wachstum von 0,1 Prozent.

Schwächelnde Produktion: Verrostetes Stahlwerk in Taranto

Die Arbeitslosenquote lag 2018 landesweit bei 10,5 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit aber ist ungleich höher und übersteigt die 30-Prozent-Marke. Besorgniserregend auch die Entwicklung der Industrie: Eine Schwächephase mit sinkender Produktion prägte die letzten vier Monate des vergangenen Jahres. Und im Gesamtjahr 2018 brachte es die Produktion auch nur auf ein Plus von 0,8 Prozent – der niedrigste Wert seit 2014. Die maue Tendenz setzt sich fort: Im März vermeldete das italienische Statistikamt Istat einen Rückgang der Industrieproduktion von 0,9 Prozent.

Die Zustimmung der Wähler zur Partei des starken Manns Italiens, Innenminister Salvini mit seinen starken Sprüchen, scheint übrigens ihren Höhepunkt derzeit hinter sich zu haben. Seine Lega-Partei kam in letzten Umfragen vor der Europawahl zwar durchschnittlichen auf 31,6 Prozent – zwar mehr als alle anderen Parteien und auch deutlich mehr als der Koalitionspartner der Fünf-Sterne-Bewegung. Der “Corriere della Sera” berichtete allerdings von einer eigenen Umfrage, der zufolge die Zustimmung der Lega im Mai bei 30,9 Prozent lag. Im Monat zuvor waren es noch 36,9 Prozent.

ar/hb (rtr, dpa – Archiv)