Beliebte, gebrauchte Autoteile im Irak

0
337

In Deutschland oder den USA werden sie als Schrott abgestempelt, im Irak sind sie Teil eines Milliarden-Geschäfts: gebrauchte Autoteile, meist aus Unfallwagen. Judit Neurink hat sich in Erbils “Auto-Viertel” umgeschaut.

In seiner Werkstatt in Erbil repariert Karhi Bakr viele deutsche Autos

“Das ist eine Geld-Druck-Maschine”, sagt Karhi Bakr über den Import gebrauchter Autoteile nach Erbil. Der 59-Jährige besitzt eine kleine Autowerkstatt in der Hauptstadt Kurdistans.

Die Stadt ist zu einem Knotenpunkt für den Handel mit gebrauchten Autoteilen, die in westlichen Ländern nach einem Unfall abgeschrieben wurden, geworden. Einige der etwa 200 involvierten kurdischen Händler seien dadurch sehr reich geworden, sagt Bakr. “Ihre Profite sind riesig. Wenn ich einen Partner hätte, der bereit wäre, Geld zu investieren, dann würde ich auch nach Europa fahren, um Autoteile zu besorgen.”

Derzeit beschränkt er sich darauf in seiner Werkstatt in Erbils “Auto-Viertel” deutsche Autos zu reparieren – mit Teilen, die andere importiert haben. Bakr lebte 17 Jahre lang in Dänemark, dort war er auf Mercedes-Reparaturen spezialisiert.

“Besser als die chinesischen Ersatzteile”

Hier in Erbil wollen die meisten seiner Kunden gebrauchte Teile aus dem Westen. Nur diejenigen, die sich diese nicht leisten können, kaufen die chinesischen Kopien – die sind zwar billig, gelten aber als qualitativ minderwertig. “Gebrauchte Teile sind in der Regel genauso gut wie neue, aber kosten die Hälfte. Chinesische Teile kosten etwa ein Viertel so viel wie echte, neue Teile.”

Die Iraker lieben Autos; bei vielen Familien stehen gleich zwei vor dem Haus. Aber regelmäßige Wartungen sind nicht die Norm; die meisten Autobesitzer sind nicht bereit, viel Geld zu zahlen für eine Reparatur. Deshalb erfreuen sich die verhältnismäßig günstigen und hochwertigen gebrauchten Ersatzteile so großer Beliebtheit.

Im “Auto-Viertel” findet man so gut wie alle gebrauchten Autoteile: “Motor, Getriebe, Kältemittelverdichter, ABS-Teile, Kühler, Gabelfederungssysteme – weil unsere Straßen so schlecht sind, aber auch Stoßstangen, Türen und Motorhauben”, sagt Bakr.

Komplette ältere Autos importieren? Verboten!

Die Teile kommen in Containern auf LKWs ins Land. An der Grenze gäbe es keinerlei Qualitätskontrollen, sagt Bakr. “Die haben da keinerlei Fachkenntnisse.” Deshalb würde man nie wissen, wie lange ein Teil hält, “wobei aber sicher ist, dass die Gebrauchtteile länger halten als die Chinesischen”, sagt der Mechaniker. Grenzbeamte würden lediglich überprüft, dass keine funktionsfähigen ganzen Autos unter den Teilen versteckt seien – denn Fahrzeuge, die älter als ein Jahr sind, dürfen nicht eingeführt werden.

Um die Ecke von Bakrs Werkstatt befindet sich der heruntergekommen Laden von Umed Abdelaziz. Er verkauft hier hauptsächlich Toyota-Teile. Die japanische Automarke ist eine der beliebtesten im Irak.

Die Kunden wollen meist Gebrauchtteile aus dem Westen: Umed Abdelaziz in seinem Laden im “Auto-Viertel” von Erbil

Ein- oder zweimal im Jahr fährt Abdelaziz nach Dubai, um dort Teile von gebrauchten Autos aus den USA oder Kanada zu kaufen. “Wir suchen uns die Teile aus und dann werden die Autos auseinandergebaut”, erklärt er. “Falls wir ein Auto finden, an dem noch alles gut ist, dann lassen wir es hinter dem Vorderreifen in zwei Teile zersägen; dann können wir es komplett hierher bringen und hier auseinander nehmen.”

Es gibt zwei Haupt-Routen für gebrauchte westliche Autoteile in den Irak: von Dubai über den Hafen von Bandar Abbas im Iran nach Irakisch-Kurdistan – oder durch die Türkei. Durch die Zölle sind die europäischen Autoteile, die aus der Türkei kommen, teurer.

Ein großes Geschäft für einige wenige

Abdelaziz ist, wie viele seiner Kollegen, nur kleiner Fisch in diesem großen Geschäft. “Zwei Drittel des Geschäfts ist in den Händen von einigen wenigen Großhändlern, die riesige Container voll ins Land bringen”, sagt er. “Wir alle kaufen bei ihnen.”

Einer dieser einflussreichen Großhändler ist Omar Said Ahmed. Sein Büro im “Auto-Viertel” ist unerwartet unscheinbar. Er hat gerade sein Mittagsgebet beendet und verstaut seinen Gebetsteppich in einer Kommode. “Wie wahrscheinlich ist es, dass dein neuer Mercedes, wenn er nach einem Unfall abgeschrieben wurde, in Einzelteilen hier landet?”, fragt Said lächelnd. “Ich würde sagen: fast 100 Prozent!”

Ein Milliardengeschäft

Das Handelsvolumen liegt bei fast 3,5 Milliarden Euros, schätzt er. Und Erbil ist zu einem zentralen Umschlagsort geworden – von hier werden Autoteile weiterverkauft nach Bagdad, Mossul und Basra. Zuverlässige Zahlen zum Umfang des Geschäfts gibt es kaum – schließlich werden im Irak fast alle Käufe noch mit Bargeld getätigt.

Jeden Monat bringt Said zwei Container voll mit gebrauchten Autoteilen nach Erbil. Jeder von ihnen ist im Schnitt 900.000 Euro wert. Er selbst macht nach eigenen Angaben einen Profit von etwa 27.000 Euro. Bevor der Krieg im Irak gegen die Terroristen des “Islamischen Staates” die Wirtschaft schwer beschädigte, waren es manchmal auch sechs Container pro Monat, erzählt er.

Die Lagerhalle unter Saids Büro ist heute trotzdem fast leer. Warum? “Ich verkaufe fast alles sofort weiter”, erklärt er. “Manchmal geht die Lieferung gleich weiter nach Bagdad.”

Omar Said Ahmed importiert jeden Monat gebrauchte Autoteile im Wert von fast zwei Millionen Euro

Aus Europa oder lieber aus den USA?

Said erzählt stolz, er würde die “saubersten” Autoteile Erbils anbieten und meint damit, Teile, die zum Großteil unbeschädigt sind. Er bezieht sie aus den USA und Kanada. “Früher habe ich die Teile aus Europa importiert, aber ich habe gemerkt, dass ich den Händlern nicht trauen konnte. Da kam es vor, dass sie mir Motoren ohne die Elektronik geschickt haben, damit waren sie wertlos.” In den USA hat er hingegen einen Geschäftspartner gefunden, dem er vertrauen kann. “Wir haben uns noch nie persönlich getroffen, aber er bekommt hin und wieder auch mal Summen von zwei bis drei Millionen Dollar von mir in die Hand. Ich vertraue ihm total.”

Doch einen Nachteil hat es, dass Saids Teile aus Nordamerika kommen: Es dauert länger. Container aus Europa brauchen etwa 20 Tage bis sie in Erbil sind – Container aus den USA mindestens 6 Wochen. 

Wachstumsmarkt Oldtimer

Said – der auch privat ein Autofan ist – sucht stets nach neuen Geschäftszweigen. Seine neuste Idee: Er will Autoteile für Oldtimer verkaufen. Auch wenn es eigentlich verboten ist, ältere Autos in den Irak einzuführen, haben einige Sammler es doch geschafft, den Zoll zu umschiffen. Und nun brauchen sie Ersatzteile für ihre Fahrzeuge.

“Mazda, Opel, BMW, 1988 bis 1992 – vielleicht kennen Sie ja eine europäische Firma, die mit mir arbeiten wollen würde”, fragt Said. Er überreicht seine Visitenkarte und wiederholt, was er schon mehrmals betont hat: Das Geschäft mit den alten westlichen Autos und ihren Teilen sei verdammt profitabel.