“Rechtsstaatlichkeit ohne politischen Rabatte”

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Die EU ist gerade überfordert, darf aber den westlichen Balkan und auch Bulgarien nicht aus der Auge lassen, sagt Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt in einem DW-Gespräch.

Deutsche Welle: Herr Staatsminister Roth, während seines Besuchs in Bulgarien (4. und 5. April) hat der Bundespräsident mehrmals das Engagement Bulgariens für den Westbalkan erwähnt. Sind Sie auch der Meinung, die Heranführung des westlichen Balkans an die EU sei als Thema untergetaucht? Braucht man heute wieder mehr Power in dieser Sache?

Michael Roth: Ich habe nach wie vor den Eindruck, dass das strategische Interesse der EU und vieler EU-Mitgliedsstaaten an dem westlichen Balkan nachgelassen hat. Das ist problematisch und das beunruhigt mich, weil wir nur dann in der EU sicher und stabil leben können, wenn wir auch mehr tun für die Sicherheit, für die Stabilität und für die regionale Versöhnung im westlichen Balkan. Umso mehr freue ich mich, dass es Partner in der EU gibt, die diese strategische Bedeutung des westlichen Balkans für uns alle anerkannt haben.

Und was kann man heute in dieser Sache unternehmen?

Wichtig ist, dass wir die Sichtbarkeit der EU erhöhen, dass deutlich wird: wir lassen die Menschen im westlichen Balkan nicht im Stich, gerade auch, weil der Transformationsprozess, der Weg in die EU so beschwerlich, so mühselig für die Menschen ist. Das erleben wir ja gerade bei den jungen Leuten, die ihre Heimat verlassen und auch nach Deutschland kommen, weil sie für sich im westlichen Balkan keine Perspektive mehr sehen. Darüber hinaus müssen wir auch werben worum es in der EU geht. Die EU ist nicht in erster Linie ein Binnenmarkt, ein Wirtschaftsprojekt, sondern vor allem eine Wertegemeinschaft. Und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, respektvoller Umgang mit Minderheiten, Korruptionsbekämpfung haben für uns ein herausragendes Interesse. Und da darf es auch keine politischen Rabatte geben.

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Während seiner EU-Ratspräsidentschaft hat Bulgarien die Heranführung des westlichen Balkans zum Schwerpunktthema erklärt. Heute hat ein anderes Land aus der Region die EU-Ratspräsidentschaft: Rumänien. Haben Sie einen Eindruck darüber, ob sich Rumänien auch vergleichbar stark mit dem westlichen Balkan engagiert?

Der westliche Balkan sollte für alle Ratspräsidentschaften eine große Priorität genießen und auf der Tagesordnung ganz oben angesiedelt sein. Da wünsche ich mir von allen ein großes Engagement, nicht zuletzt von Deutschland, von unserer Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr. Natürlich, derzeit sind wir sehr gefangen von anderen Themen. Das ist, beispielsweise, der Brexit, der viel Energie und Zeit kostet. Wir haben derzeit auch die Verhandlungen über den Finanzrahmen. Und umso wichtiger ist es, dass wir den Westbalkan nicht hinunter fallen lassen.

Sie haben die jungen Menschen in der Region erwähnt. Während seines Besuches in Bulgarien hat sich auch der Bundespräsident intensiv mit dem Thema beschäftigt, besonders mit der Frage der Berufsausbildung und der dualen Bildung – zwei “Instrumente”, mit denen man die jungen Menschen wohl in ihrer jeweiligen Heimat eine gute Perspektive eröffnen könnte.

Es ist erstmals wichtig, dass wir Bulgarien überhaupt in Auge behalten, denn das Land ist in den letzten Monaten ein bisschen aus dem Blick geraten. Wir haben ja mehrere Botschaften. Demokratie, Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit sind das, was uns Europäern zusammenhält, wir wollen voneinander und miteinander lernen. Und Deutschland ist natürlich bereit, bei der dualen Ausbildung mehr zu tun. Und wenn die Voraussetzungen stimmen, sind auch deutsche Unternehmen bereit, in Bulgarien und auf dem Balkan zu investieren, Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist aber nicht nur eine Frage der Infrastruktur, es ist auch eine Frage der Rechtsstaatlichkeit. Das ist in den Gesprächen in Bulgarien auch deutliche geworden.

Das Gespräch führte Alexander Andreev

Michael Roth (SPD) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Er ist zudem auch Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit.