Deutschsein ist kein Zuckerschlecken: Der verkehrte Partner

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Der erste deutsche Freund von Zhang Danhong war das Gegenteil von dem, was sie sich unter einem idealen Partner vorgestellt hatte. Dennoch hatte sie großen Respekt vor ihm, der nach der Trennung weiter gestiegen ist.

Ich lernte Christian (den Namen habe ich geändert) bei einem gemeinsamen chinesischen Freund kennen. Als der Chinese merkte, dass sich zwischen Christian und mir etwas anbahnte, sprach er aus landsmännischer Fürsorge sofort eine ernsthafte Warnung aus: “Du bist nicht sein Typ. Ich kenne all seine Ex-Freundinnen. Sie sind groß, schlank, braungebrannt, lässig und unsensibel, so wie er selbst.” Außer “schlank” trifft tatsächlich keines dieser Attribute auf mich zu. Ist man aber erst mal verliebt, verkehrt sich jeder Einwand in einen Ansporn.

War er überhaupt mein Typ? Bis dahin verfügte ich nicht über nennenswerte Erfahrungen mit Männern. In Sachen Sexualität und Partnerschaft sind Chinesen Spätzünder. Da galt ich schon als avantgardistisch. Meinen Idealtyp stellte ich mir als einen tiefgründigen, feinfühligen und verantwortungsbewussten Mann vor. Mit “Verantwortung” meine ich nicht nur Pflichtbewusstsein für die Familie, die kleinste Zelle der Gesellschaft, sondern auch für die ganz große Zelle. Also sollte er auch bereit sein, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. “Jeder trägt Verantwortung für das Wohl des Landes” (天下兴亡,匹夫有责) – so wurden wir erzogen. Das Aussehen meines Idealpartners war für mich hingegen eher zweitrangig.

Doch bei Christian war es ausgerechnet sein Aussehen, zu dem ich mich hingezogen fühlte: kastanienfarbene Haare, dunkelbraune Augen, Waschbrettbauch und auch sonst ein fitnessgestählter Körper. Von Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft konnte bei ihm hingegen nicht im entferntesten Sinne die Rede sein. Im Gegenteil: Mit seinen 29 Jahren war er immer noch fest entschlossen, sein vom Sozialstaat subventioniertes Studentenleben bis in alle Ewigkeit fortzuführen. Kein einziges Mal habe ich erlebt, dass er sich mit einem BWL-Buch herumplagte. Den lieben langen Tag verbrachte er entweder vor dem PC oder im Fitnessstudio. Wenn die Sonne schien und die Temperaturen es zuließen, folgte er der Völkerwanderung auf die Liegewiesen.

Die Zeit des ungetrübten Glücks war nur von kurzer Dauer

Sonnenbad wider Willen

Bald wurde auch ich dazu genötigt. Charmant wie er war, bezeichnete Christian meine Haut als käsig. Darüber war ich nicht amüsiert. Nicht nur, weil er genau wusste, welche Abneigung ich (damals) gegenüber Käse hegte, sondern weil er in meiner hellen Haut eher einen Nachteil sah. Was habe ich in China für Komplimente gerade deswegen eingeheimst! Dort gilt die noble Blässe fast als die Mutter aller Schönheitskriterien. “Eine helle Haut verdeckt hundert Unvollkommenheiten” (一白遮百丑), lautet ein gängiger Spruch in meiner Heimat. Andere Länder, andere Sitten, sagte ich mir und legte mich mit Heldenmut in die knallige Sonne.

Mit einem Grashalm malte Christian Kreise auf meinem Gesicht. “Hey, meine kleine Chinesin, weißt du, wann ich mich in dich verliebt habe?” Er erwartete wohl keine Antwort von mir und fuhr fort: “Als du das erste Mal bei mir übernachtet hast und den Behälter für deine Kontaktlinsen nicht dabei hattest.” “Ich kann mich erinnern. Dann hast du mir zwei Eierbecher gegeben”, sagte ich. “Du hast die Kontaktlinsen in die Becher getan und auf den einen den Buchstaben ‘L’ geschrieben, auf den anderen gar nichts”, erzählte er weiter. “Hast du dich wegen des geschriebenen oder wegen des ungeschriebenen Buchstabens in mich verliebt?”, fragte ich, um Ernsthaftigkeit bemüht. “Das ist genau der Punkt. Andere würden ein ‘L’ und ein ‘R’ schreiben. Klug wie du bist, hast du dir eben einen Buchstaben gespart. Ich habe mich in deine Intelligenz verliebt.” Soso. Da lag ich im Bikini vor seiner Nase, und er schwärmte von meiner Intelligenz. Sollte ich das als Kompliment oder Beleidigung verstehen?

Als wir zusammenzogen, nahm ich wahr, wie viel Potenzial in ihm steckte: Er strich die Wände, legte den Fußboden und schraubte die Ikea-Möbel ruckzuck zusammen – ein chinesischer Intellektueller hätte dafür Tage gebraucht. Dass wir nicht füreinander geschaffen waren, stellten wir beide aber sehr bald fest. Christian nahm es auf die leichte Schulter und traf sich wieder halb offen, halb heimlich mit der letzten seiner Ex-Freundinnen. Ich fühlte mich in der Zweisamkeit einsamer denn je.

Robin Hood der Moderne

Unsere Trennung vollzog sich wie selbstverständlich und fast automatisch: Christian ging in den Osten des wiedervereinigten Deutschlands und verdiente sich mit seinem Computerwissen eine goldene Nase. Ich bekam eine Stelle bei der Deutschen Welle und zog in die Nähe des Funkhauses. Beim Abschied fielen wir uns in die Arme und heulten eine Weile. “Ich habe dich wirklich sehr geliebt”, beteuerte Christian. “Schon gut. Ich war nicht wirklich in dich, sondern eher in das Gefühl verliebt, in einem fremden Land wieder eine Art Familie zu haben.” Ich wollte nicht zugeben, wie sehr ich in unserer Beziehung gelitten hatte.

Christian sah fast so gut aus wie Kevin Costner. Er kämpfte hart wie Robin Hood – gegen das Finanzamt

Später erfuhr ich von unserem gemeinsamen Freund, dass Christian als junger Student eine Firma gegründet und dabei sehr unangenehme Erfahrungen mit dem Finanzamt gesammelt hatte. Seither verdiente er immer nur so viel, dass er keine Steuern zahlen musste – bis auf die Monate in Ostdeutschland. Mit dem dort verdienten Geld kaufte er einer seiner Ex-Freundinnen in Nordafrika eine Ziegenherde und sicherte so die Existenz von deren Familie. So eine Art Robin Hood der modernen Gesellschaft hatte ich also hautnah erleben dürfen.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie “Deutschsein ist kein Zuckerschlecken” schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.