Polnische Schulen wegen Lehrerstreik lahmgelegt

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80 Prozent der polnischen Lehrer gehen in den Streik. Sie fühlen sich überbelastet und fordern Lohnerhöhungen. Auf dem Spiel stehen die für diese Woche geplanten Abschlussprüfungen der Mittelstufe.

Die Grundschullehrerin Anna Zając aus Warschau ist nicht in der Lage, für 500 Euro im Monat ihre Familie zu ernähren. Sie wohnt nach 13 Jahren im Lehrerberuf zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern immer noch bei ihren Eltern. Eine eigene Wohnung zu mieten wäre zu teuer. “Ich liebe meinen Beruf und möchte ihn eigentlich nicht aufgeben”, sagt Zając, die aber immer häufiger an den Berufswechsel denkt. Verzweifelt präsentiert sie ihren Lohnstreifen vor den Kameras der polnischen Fernsehsender. Und während der Gesprächsrunden zwischen Lehrergewerkschaft und Regierung wollte sie auch die Schulministerin darauf aufmerksam machen. “Die Ministerin versuchte wegzuschauen, als sie an mir vorbeilief. Doch sie kennt die Lehrergehälter genau”, sagt Zając. Die Lohnerhöhung, die seit Januar 2019 gilt, könne höchstens die Inflation ausgleichen, erklärt sie.

Ein landesweiter Streik

Zając geht nun zusammen mit ihren 400.000 Kollegen landesweit in den Streik. Das bedeutet, dass die Schulen zwar nicht geschlossen werden, dass aber die Lehrer die Streiklisten unterzeichnen und keinen Unterricht anbieten. Bis zu drei Millionen Kinder und Jugendliche sind betroffen. Die Betreuung der Kinder müssen die Eltern übernehmen. Kommunen und Kulturzentren bieten den Kindern zusätzliche Freizeitaktivitäten an, Firmen lassen die Kinder mit den Eltern zur Arbeit kommen, auch Elterngruppen organisieren Kinderbetreuung untereinander.

Englisch-Lehrer Marcin Zarod mit seinen Schülern

Für Tausende von Schülern der 9. Klasse ist der Stress enorm, weil diese Woche die Abschlussprüfungen der Mittelstufe beginnen sollten. Niemand weiß, ob und wann sie stattfinden werden. Die Regierung ruft die Lehrer zur Solidarität mit den Schülern auf und argumentiert, dass zur unpassenden Zeit gestreikt wird. Doch die Taktik der Lehrer ist wohl durchdacht. Ausgerechnet in dieser heißen Prüfungsphase bekommen sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Die Lehrer wollen mehr verdienen

Es ist ein Präzedenzfall, einen solchen Streik hat es in Polen seit dem Fall des Kommunismus nie gegeben. Derzeit liegen die Grundgehälter der Lehrer zwischen 600 und 1000 Euro, also etwas unter dem Durchschnittslohn. Der Bund der polnischen Lehrer (ZNP)  fordert Erhöhungen für verschiedene Lehrergruppen von 180 bis 240 Euro. Nach monatelangem Tauziehen liegt das Angebot der Regierung weit unter den Erwartungen der Lehrer. Kurz vor Beginn des Streiks hat die viel kleinere und der PiS nahestehende Gewerkschaft “Solidarnosc” die von der Regierung vorgeschlagenen Erhöhungen von 120 bis 180 Euro angenommen. Dafür soll aber auch die Arbeitswoche länger werden. Derzeit unterrichten Lehrer 18 Schulstunden, künftig sollen es 22 bis 24 werden.

Die Lohnforderungen

Marcin Zaród, der seit 23 Jahren als Englischlehrer arbeitet und 800 Euro im Monat verdient, spricht von einer Überbelastung der Lehrer. “In unseren Verträgen ist von 18 Stunden Arbeit pro Woche die Rede, doch niemand rechnet die Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts, die Prüfung der Klassenarbeiten und die Durchführung der Examen. Ich habe mal zusammengerechnet, meine Arbeitswoche als Lehrer beträgt im Schnitt 47 Stunden”, sagt Zaród. Die Arbeit, die er in die von den Schülern und den Eltern so geschätzten internationalen Schülerprojekte reinlegt, ist meistens ehrenamtlich.

Anna Zajac, Grundschullehrerin seit 13 Jahren – kann von 500 Euro Gehalt kaum überleben

Als Englischübersetzer und Lehrer-Ausbilder verdient er zusätzliches Geld. “Meine Frau ist auch Lehrerin. Wir haben zwei Kinder, 11 und 14 Jahre alt. Ohne zusätzliche Arbeit würden wir nie über die Runden kommen”. Er ärgert sich über Premierminister Mateusz Morawiecki, der vor einiger Zeit im Fernsehen sagte,  dass “Lehrer mehr Freizeit als andere hätten und gleichzeitig mehr verdienen wollten”.

Strukturwandel ist notwendig

Beim Lehrerprotest geht es auch um die Schüler – und um einen Strukturwandel. “Wenn von Überbelastung die Rede ist, dann sind die Schüler genauso betroffen wie wir Lehrer, wenn nicht noch schlimmer. Mein Sohn, der in die 7. Klasse geht, fängt seinen Unterricht jeden Tag um 7.30 Uhr an und der geht dann bis 15.30 Uhr. Danach haben sie einen mit Hausaufgaben vollgepackten Nachmittag und Abend”. Das Unterrichtssystem sei auf unbrauchbares Wissen und das Einprägen von vielen unwichtigen Details konzentriert, während ein selbständiges Denken zu kurz komme. Ein Kind, das keine Zeit für die Erholung und Hobbys habe, sei dem Stress und psychischen Krankheiten ausgesetzt, klagt Zaród. Mit dem Streik will man auch auf diese Probleme aufmerksam machen.

Die finanziellen Versprechen der PiS

Die Verbitterung der Lehrer ist groß, denn während ihre Forderungen abgelehnt werden, zeigt sich die PiS-Regierung großzügig für andere Berufsgruppen. Jaroslaw Kaczynski will noch mehr Kindergeld verteilen, verkündet Zuschüsse für Rentner und Steuersenkungen und nach den letzten Bauernprotesten verspricht er den Landwirten mehr Geld von der Regierungskasse und aus dem EU-Topf.

Auch in der Freizeit wehrhaft: Ehepaar Zarod mit Kindern

Doch an die Lehrer wird appelliert, dass sie sich mit den Kindern solidarisch zeigen und nicht während der Abschlussprüfungen in den Streik gehen. “Ja, es gibt zwar eine ungeschriebene Regel, dass solche Berufsgruppen wie Lehrer, Ärzte oder etwa Feuerwehrleute nicht in den Streik gehen, damit das Leben funktionieren kann. Aber irgendwann ist es genug”, so Lehrer Zaród, der in seiner Schule nun auch streiken wird.