Sierens China: Wunschdenken

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Peking will ausländische Unternehmen in Zukunft gleichberechtigt behandeln. Das mit heißer Nadel gestrickte neue Gesetz ist jedoch vor allem eine symbolische Geste in Richtung Washington, meint Frank Sieren.

2.929 Delegierte des Volkskongresses stimmten für das Investitionsgesetz, acht dagegen, weitere acht enthielten sich

Das “Gesetz über Investitionen ausländischer Unternehmen” ist das am schnellsten verabschiedete Gesetz in der Geschichte der Volksrepublik: Nur drei Monate brauchte es vom Entwurf bis zur Verabschiedung letzte Woche beim Nationalen Volkskongress in Peking. Ab dem ersten Januar 2020 soll es grundlegend ändern, wie ausländische Unternehmen in China behandelt werden. Sie sollen ab dann zu den gleichen Konditionen wie heimische Unternehmen am Markt agieren können, etwa beim Zugang zu Kapital oder öffentlichen Ausschreibungen. Der Diebstahl geistigen Eigentums soll stärker bestraft werden, Technologietransfers in lokalen Joint Ventures der Vergangenheit angehören, ebenso “illegale Einmischung der Regierung” in ausländische Geschäfte. Das Weiterreichen von Unternehmensgeheimnissen werde streng geahndet, erklärte Premier Li Keqiang in seiner Abschlussrede vor dem Volkskongress in der Großen Halle des Volkes. Der Staat müsse “Urheberrechte schützen” und dafür sorgen, dass Firmen aus dem Ausland “nicht benachteiligt” werden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Dass das alles so schnell ging und auch von höchster Stelle so deutlich kommuniziert wird, liegt vor allem am Handelsstreit mit den USA. Die Regierung will beweisen, dass sie bereit ist, auf Washingtons Forderungen einzugehen.

Das ist auch in unserem Interesse. Erst letzte Woche verkündete Brüssel in einer gemeinsamen Erklärung, dass man China nicht mehr als “Entwicklungsland” behandeln dürfe sondern als “führende technologische Macht” und “strategischen Wettbewerber”, der internationale Handelsgesetze einseitig für sich ausnutze und gleichzeitig weiter seine Märkte abschotte.

Stabilität muss Pekings Ziel sein

Tatsächlich stammen viele der Wirtschaftsgesetze Chinas noch aus der ersten Phase der Öffnung zwischen 1979 und 1989. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in dem Riesenland trotzdem noch immer immens. Und auch beim Pro-Kopf-Einkommen hat China längst nicht zu den reichen Industrieländern aufgeschlossen. Um den eigenen Aufstieg nicht zu gefährden, muss Peking nun vor allem für Stabilität sorgen. Die Wirtschaft steht unter Druck. Die Konjunkturerwartungen wurden erstmals seit drei Jahrzehnten auf zwischen 6 und 6,5 Prozent heruntergeschraubt. Das ist immer noch viel. Der Handelsstreit hat jedoch viele Unternehmer und Konsumenten verunsichert. “Es ist richtig, dass die chinesische Wirtschaft unter einem neuen Abwärtsdruck steht”, sagte Li auf einer Pressekonferenz zum Abschluss des Volkskongresses. “Wir müssen starke Maßnahmen ergreifen.”

DW-Kolumnist Frank Sieren

Ob die besagte Reform für ausländische Unternehmen wirklich zu einem fairen und freien Markt führen wird, ist ungewiss. Alte Vereinbarungen müssten neu ausgehandelt werden. Peking behält sich eine Übergangsfrist von fünf Jahren vor, um das neue Gesetz zu implementieren. In fünf Jahren kann einiges passieren. Und versprochen hat Peking schon viel. Ein erster Entwurf mit 170 Artikeln lag bereits 2015 vor. Die neue Version ist mit 42 Artikeln nun deutlich kürzer. Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Aber: Um mitzureden, ging es doch zu schnell.

Schwammige und mehrdeutige Formulierungen im Gesetz

Die Handelskammern der EU und der USA kritisieren, dass ihnen keine Zeit für Vorschläge oder Kommentare geblieben sei. Viele der Formulierungen seien schwammig und mehrdeutig. Das trage nicht dazu bei, “das Vertrauen und die Zuversicht in das im Grunde angestrebte gute Ziel – die Förderung eines transparenten und fairen Rechtsrahmen für ausländische Investitionen – zu stärken”, erklärte Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der deutschen Außenhandelskammer in Peking. Bis ein Plan mit konkreten Zeitpunkten veröffentlicht wird, ist die Wirtschaftsreform deshalb kaum mehr als eine symbolische Geste.

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Mehr Offenheit in China

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Chinas Volkskongress beschließt neues Investitionsgesetz

Beim China-EU-Gipfeltreffen am neunten April, an dem auch Li Keqiang, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk teilnehmen, soll es auch darum gehen, konkrete Fristen festzulegen. Die USA wollen sogar einen Maßnahmenkatalog einführen, der garantiert dass China sich an die Vereinbarungen hält. Demnach sollen in regelmäßigen Treffen Beschwerden über Ungleichbehandlungen vorgetragen werden können. Alle drei Monate sollen die Vize-Minister beider Seiten zusammenkommen und jedes halbe Jahr die Minister. Bei unlösbaren Problemen werde Amerika “unilaterale” Maßnahmen ergreifen, etwa neue Strafzölle. Diese Idee war bislang eine der Hürden in den Verhandlungen zur Lösung des Handelsstreits. Ebenfalls noch offen ist wie Peking mit der sogenannten Negativliste verfahren will. Das sind Bereiche in denen Ausländer nicht investieren dürfen. Li versprach zwar, “mehr Gebiete als bisher” zu öffnen – dass die kommunistische Partei ausländische Unternehmen unkontrollierter in Bereiche wie die chinesische Medienbranche oder den Kapitalmarkt eindringen lässt, ist jedoch mehr als unwahrscheinlich.

Wahr bleibt bei allem Willen zur Reform ja auch, dass der Einfluss der Partei unter Staats-und Parteichef Xi Jinping innerhalb der Wirtschaft weiter ausgebaut wird. Dass China seine Richtung fundamental ändern oder gar zur liberalen Marktwirtschaft wird, ist und bleibt Wunschdenken. Wir müssen uns entscheiden, inwiefern wir mit diesen Widersprüchen leben können. Ganz auf Geschäfte mit Chinas Staatskapitalismus zu verzichten, können wir uns längst nicht mehr leisten.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.