Brexit – Rettung in letzter Minute?

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Theresa May spricht von rechtlich bindenden Änderungen am Austrittsvertrag, die EU nennt es Garantien und Klarstellungen. Aber reicht die Einigung, um eine Parlamentsmehrheit zu sichern?

EU-Kommissionspräsident Juncker macht der britischen Premierministerin May klar: “Dies ist ein Zusatz zum Austrittsvertrag.”

Theresa May machte es kurz vor der entscheidenden Abstimmung im britischen Unterhaus noch einmal richtig dramatisch: In letzter Minute reiste sie am späten Montagabend nach Straßburg, um den EU- Verhandlungsführern doch noch Änderungen am umstrittenen irischen Backstop abzuringen, der Rückversicherung gegen eine harte Grenze in Irland. Beide Seiten verkündeten am Ende einen Erfolg. Aber was genau ist neu?

Hat sich etwas geändert?

Nur Juristen mit Kenntnissen in internationalem Vertragsrecht werden die Feinheiten der in Straßburg vereinbarten Texte würdigen können. Schon die Erklärungen beider Seiten dazu zeigen, dass die Bedeutung des neuen “gemeinsamen Auslegungsinstruments”, das dem Austrittsvertrag beigefügt wird und das rechtlich bindend sein soll, wiederum eine Frage der Auslegung ist.

Theresa May spricht von “bedeutenden Änderungen am Austrittsvertrag”, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht “zusätzliche Zusicherungen”. Nach “besten Kräften” werde die EU sich bemühen, dass der Backstop nicht eingesetzt werden muss und sie versichert erneut, dass er nicht dauerhaft gelten solle. Über ein Schiedsgericht könnte die britische Seite sogar aussteigen, wenn sie der EU eine böswillige Verletzung ihrer vertraglichen Verpflichtungen nachweisen kann.

Hinter einem Schwall juristischer Sprache steckt hier der politische Versuch der EU, dem Austrittsvertrag bei der Abstimmung an diesem Dienstag über die Hürde zu helfen. Und Juncker macht dabei ganz klar: “Dies ist ein Zusatz zum Austrittsvertrag”. Die EU habe sich an ihre roten Linien gehalten, den Vertrag nicht wieder geöffnet und sie stelle den Backstop nicht grundsätzlich Infrage.

Der sogenannte “Backstop” könnte zum Knackpunkt der Brexit-Verhandlungen werden: Es geht um die wichtige Grenze zwischen Irland und Nordirland.

Erste Reaktionen

Im Parlament in London stellte David Lidington, quasi-Stellvertreter der Premierministerin, die Einigung als eine Verbesserung und Stärkung des Austrittsvertrages vor. Er mogelte sich dabei um die entscheidenden Fragen nach einer zeitlichen Begrenzung des Backstop und einer einseitigen Ausstiegsklausel herum, denn beides hatte sie den Brexiteers versprochen. Viele von ihnen wollten den Backstop mit dem britischen Verbleib in der EU-Zollunion am liebsten ganz abgeschafft sehen. 

Ist die Vereinbarung von Straßburg nun eine hinreichend lange Leiter, damit die Hardliner von der Palme herunter klettern können, in die sie aus Protest gestiegen waren? Sie kann ausreichen, wenn sie herunter kommen wollen, heißt hier die Antwort. Ian Duncan Smith, früherer Tory-Parteichef und führender Brexiteer erklärte immerhin, man müsse die Einigung jetzt sorgfältig prüfen.

Ähnlich zurückhaltend ließ sich auch die nordirische DUP ein, von deren Entscheidung bei der Abstimmung am Dienstagabend viel abhängen wird. Ändern sie ihre Meinung und stimmen dem nachgebesserten Austrittsvertrag zu, dann dürften sie eine Mehrheit der konservativen Brexiteers nach sich ziehen. Allerdings werden nicht alle die Wende mitmachen. Hardliner Steve Baker erklärte am Montagabend im Radiointerview etwa, dass Mays Kompromiss zu kurz greife und nicht ausreiche.

Und auch die Labour Party bleibt bei ihrer Ablehnung: Brexit-Schattenminister Keir Starmer erinnerte daran, dass May habe im Januar eine bedeutsame Änderung des Austrittsvertrages versprochen habe, und die gebe es jedenfalls nicht. Und Labour MP Hilary Benn, Vorsitzender des Brexit-Ausschusses im Unterhaus, wies darauf hin, dass der Europäische Gerichthof weiterhin das letzte Wort über juristischen Streit um den Backstop behalten werde.

Es könnte für die Mehrheit reichen

Standen die Aussichten von Theresa May, ihren Brexit-Deal durch das Unterhaus zu bringen, am Montagmorgen noch bei Null, waren sie gegen Mitternacht auf vielleicht 60% gestiegen. Es scheint jetzt eine Chance zugeben, das sie am Dienstagabend eine Mehrheit bekommt.

Wenn May die Abstimmung im Unterhaus erneut verliert, fällt der Brexit am 29. März vorerst aus

Viel wird davon abhängen, ob Generalanwalt Geoffrey Cox seine Rechtsmeinung offiziell ändert und erklärt, das Großbritannien mit den neuen Zusicherungen der EU nicht mehr in Gefahr ist, dauerhaft im Backstop festgehalten zu werden. Er soll noch vor Beginn der Debatte ins Unterhaus kommen und seine Auslegung der veränderten juristischen Lage darstellen.

Vielleicht trägt auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dazu bei, dass die Brexiteers umschwenken. Er hatte in Straßburg erklärt, das “ist es nun” von Seiten der EU, es werde keinen dritten Anlauf für weitere Änderungen geben. Wenn die Abgeordneten dem Austrittsvertrag erneut nicht zustimmen wollten, werde es am Ende gar keinen Brexit geben. Und welch schlimmere Drohung könnte es für den rechten Flügel der Tories geben?

Und wenn es doch schief geht?

Verliert Theresa May die Abstimmung erneut, kommt wohl Plan B zum Einsatz. Danach dürfen die Abgeordneten am Mittwoch zunächst entschieden, ob sie einen No-Deal Brexit ausschließen wollen. Und in einem zweiten Votum würde es dann um eine Fristverlängerung gehen.

In dem Fall würden auch die Versuche von verschiedenen Seiten wieder aufleben, Theresa May so schnell wie möglich aus dem Amt zu kegeln. Eine weitere Niederlage beim Austrittsvertrag würde sie politisch nicht lange überleben, so glauben ihre Gegner. Und davon hat sie viele, jedenfalls mehr als Freunde. Auch in ihrem eigenen Kabinett sitzen vor allem Rebellen und gleich mehrere Anwärter auf ihre Nachfolge.

Und noch eines ist sicher: Wenn May die Abstimmung im Unterhaus erneut verliert, fällt der Brexit am 29. März vorerst aus und wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Das halten manche im tief gespaltenen Großbritannien für die ärgste Drohung – und andere für die letzte Chance, den Brexit vielleicht noch abzuwenden.