Algerien: “Bouteflikas Plan ist ein Witz”

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Seit Wochen gehen tausende Algerier im ganzen Land auf die Straße und haben eine fünfte Amtszeit des 82-jährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika erst mal verhindert. Doch nach diesem ersten Sieg bleibt alles ungewiss.

Protestierende erhoffen sich eine Erholung Algeriens vom korrupten System

Die Forderungen der Algerier erinnern an die des Arabischen Frühlings: Langzeitmachthaber Abdelaziz Bouteflika solle zurücktreten, faire Wahlen sollen stattfinden, die Verfassung novelliert und endlich tiefgreifende Reformen eingeleitet werden. Die Massenproteste haben in Algeriens Machtgefüge ein Erdbeben ausgelöst. Der schwer kranke Präsident ließ Montagabend in einer schriftlichen Erklärung über die Staatsmedien verkünden, er trete nicht mehr an. Daraufhin reichte der Premierminister Ahmed Ouyahia seinen Rücktritt ein. Viele Algerier feiern diesen Rückzug als Etappensieg. Andere sind skeptisch, ob Bouteflikas Vorschläge eine wirkliche Veränderung bringen werden.

Eine Algerier feiert den angekündigten Rückzug Bouteflikas nach zwanzig Jahren

Denn in seinem Schreiben an die Nation erklärte Bouteflika auch, dass die für den 18. April angesetzte Präsidentschaftswahl abgesagt sei, wie die staatliche Nachrichtenagentur APS mitteilte. Eine Nationalkonferenz soll bis Ende 2019 über Reformen beraten und die Verfassung überarbeiten. Der bisherige Innenminister Noureddine Bedoui wurde mit einer Regierungsumbildung beauftragt. An dieser Konferenz sollen alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen teilnehmen. Das Ergebnis soll dann dem Volk  vorgelegt werden. Geht es nach dem Präsidentenpalast sollen die nächsten Wahlen erst danach stattfinden. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt Bouteflika im Amt und überwacht den “Prozess der Transformation unseres Staatswesens”, wie es in seinem Schreiben an die Bevölkerung heißt.

Die Antwort der Bevölkerung ist klar und spiegelt sich auch in der digitalen Welt wieder. Unter dem Hashtag “#Keine Verlängerung der vierten Amtszeit” protestieren viele Algerier gegen Bouteflikas Plan. Dagegen gingen sie auch heute auf die Straße.

Auch Nahostexpertin Gudrun Harrer von der Universität Wien fürchtet, dass die Demonstranten mit diesem Plan Bouteflikas nicht zufrieden sein werden: “Der Jubel war groß, denn man dachte es ist ein signifikanter Schritt. Für ihn selbst ist es bestimmt ein großes Entgegenkommen. Aber Bouteflika ist noch lange nicht weg. Er bleibt im Amt, die vierte Amtszeit wird verlängert. Damit kann man nicht zufrieden sein, weil es keine wirklichen Zusagen für die Zukunft gibt.”

Bouteflikas Erbe

Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika kam 1999 an die Macht und ist somit der am längsten amtierende Präsident Algeriens seit der Unabhängigkeit 1962.

Eine algerische Studentin fordert unter anderem das Ende der Korruption in ihrem Land

Auch wenn heute mehrere tausende Algerier gegen Bouteflika protestieren, einst wurde er als Nationalheld gefeiert. Er nahm am Befreiungskrieg teil und ist mit nur 26 Jahren vom Tourismusminister zum Außenminister aufgestiegen. Bouteflika gilt als kluger Politiker und Taktiker. Die Beendigung des Bürgerkrieges, die nationale Versammlung und sein Vorgehen gegen den islamistischen Terror gehören zu seinen größten Verdiensten. 

Doch seine politischen Erfolge sind lange her. Sein letzter öffentlicher Auftritt liegt schon sechs Jahren zurück. Seit einem Schlaganfall sitzt er im Rollstuhl, hat Artikulationsprobleme und lebt zurückgezogen in seinem Palast. Als er nur einen Tag vor seiner Rücktrittsankündigung von einem Klinikaufenthalt in Genf nach Algier zurückkehrte, soll der 82-Jährige nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen sein und zunehmend an Atembeschwerden leiden.

Wachsender Widerstand

Es scheint als ob die Unterstützung Bouteflikas in weiten Teilen des Landes langsam schwindet. Denn der Widerstand beschränkt sich nicht nur auf Proteste auf den Straßen. Auch das algerische Militär hat seine Sympathie für die Demonstranten ausgedrückt. Der staatliche Fernsehsender “Ennahar” zitiert den Generalstabschef Gaed Salah mit folgenden Worten: “Das Militär und das Volk haben die gleiche Zukunftsvision.” Auch mehr als 1000 algerische Richter haben sich zusammengeschlossen und stellten sich öffentlich an die Seite der Protestierenden.

Abdelaziz Bouteflika verschiebt die Wahl auf eine ungewisse Zeit. So lange bleibt er im Amt.

Oppositionspolitiker Ahmed Azimi hält Bouteflikas Versprechen für einen Witz. Bouteflika hätte sofort zurücktreten sollen, wenn er wirklich bereit wäre etwas zu ändern, meint er. “Wie soll der bisherige Innenminister Noureddine Bedoui Chef dieser Nationalkonferenz werden, wenn er uns Algeriern erst vor einer Woche das Versammlungsrecht abgesprochen hat? ” Azimi ist besorgt, denn er ahnt, dass das System auch weiterhin bestehen bleibt. Die Machtlücke werde von Kräften des Systems gefüllt. Die werden keine Veränderungen bewirken, denn dafür hatten sie die letzten zwanzig Jahre Zeit, sagte er im arabischen Programm der DW.

Drei große Player

Schon lange gibt es eine große Intransparenz in der Politik Algeriens. “Wer wirklich reagiert, weiß man nicht. Ob Bouteflika Entscheidungen trifft oder wer anderer ist unklar”, so Harrer. Gewiss ist aber, dass Abdelaziz Bouteflika nur ein Baustein in der Machtkonstruktion Algeriens ist. “Le Pouvoir”, die Macht liegt in den Händen der Regierung, des Geheimdienstes und des Militärs.

Dieser Machtzirkel aus Familienmitgliedern, Militärs, Geschäftsleuten und Eliten um den Präsidenten profitiert vom Geld der Staatskasse und den Gewinnen aus dem Erdöl. Korruption und Verschwendung öffentlicher Mittel erreichen extreme Ausmaße. Vor allem die junge Bevölkerung der 40 Millionen Einwohner leidet unter fehlender Arbeitsmöglichkeiten und Lebensperspektiven.

Das Regime Algeriens versucht mit der Reaktion auf die Massenproteste Zeit zu gewinnen, um die Macht neu zu formieren. Es sei völlig unklar, was hinter den Kulissen verhandelt wird, so Universitätsprofessorin Harrer. Diese vorgeschlagene Nationalonferenz vergleicht sie mit einer Nebelgranate. “Sie soll den Anschein erwecken, es wird etwas getan. Dabei ist die Befürchtung vieler, dass sich das Militär durchsetzt. Es könnte darauf hinauslaufen, dass nur die Fassade sich ändert.”