Umweltschutz: Wie uns Kaffeebecher ins Gewissen reden

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Plastiktüten und Einwegbecher sind schlecht für die Umwelt. Aber auch DW Reporterin Hannah Fuchs kauft manchmal welche. Sie fragt Umwelt-Psychologen, warum es so schwer ist, das eigene Verhalten zu ändern.

Eigentlich achte ich auf meine Müllproduktion. Und ich versuche, im Alltag möglichst wenig Plastikabfall zu fabrizieren, mein Mittagessen in wiederverwendbaren Dosen mitzunehmen und KEINE Einwegbecher zu kaufen.

Wie gesagt – eigentlich.

Gerade heute habe ich mir auf dem Weg ins Büro einen bitter nötigen Kaffee gekauft. In einem Pappbecher. Erwischt! Schätzungsweise 110 Gramm CO2 landen damit auf meinem Klimakonto. Ka-ching! Und ja, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Davor und danach. Währenddessen hielt es sich in Grenzen, der Kaffee ließ mich die Untat kurz vergessen.

Lesen Sie hier: Mehrweg-Becher statt Pappe und Plastik – der neue Umwelttrend bei Coffee to go?

Einwegbecher vs. Lieblingstasse: Ein schwacher Moment an einem Montagmorgen

Aber nun ist der Koffeeinzauber verflogen, und dieser Parasit von Wegwerfbecher steht neben mir auf dem Schreibtisch. Er starrt mich an: “Ich wusste, du kannst mir nicht widerstehen”, denkt er. Daneben steht meine heißgeliebte Porzellantasse, der die Enttäuschung förmlich anzusehen ist. Aber hey, ich werde den Pappbecher vorerst als Tischmülleimer weiter benutzen. Recycling also. 

Ich bin nicht allein – stimmt’s?

“Schlecht fühlen – das muss jeder für sich entscheiden”, sagt Gerhard Reese, Leiter des Studiengangs “Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie” an der Universität Koblenz-Landau. “Das ist eine Sache, die von gesellschaftlichen Normen und unseren eigenen Moralvorstellungen abhängt.”

DW-Autorin Hannah Fuchs hat einen Kaffeebecher mehr auf dem Gewissen – aber ist das wirklich so schlimm?

Und tatsächlich befinde ich mich mit meinen 31 Jahren in guter Gesellschaft. Denn genau meine Altersgruppe greift laut Umfragen am häufigsten zum Mitnehmkaffee. Und wie steht’s mit dem Gewissen?

Die meisten Menschen in meinem Alter – und vermutlich auch viele andere – würden sich selbst wahrscheinlich als durchaus umweltbewusst bezeichnen. 

 “Umweltbewusstsein” bedeutet streng genommen das Wissen um den Klimawandel und die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun.

Doch diese Einsicht allein führt nicht zwangsläufig zu einer Änderung des eigenen “Umweltverhaltens” – also Abfallvermeidung, Energie- und Wassersparen, nachhaltigeren Konsum oder Engagement für den Umweltschutz.

Doch warum nicht? Wenn mich das Bewusstsein allein zum  konsequenten Handeln bringen würde, dann hätte ich mir heute keinen Coffee to go gekauft. Genauso wenig wie die rund 460.000 Menschen allein in Berlin, deren Einwegbecher laut einer Studie heute im Müll landen. 

In der Psychologie nennt man so etwas Intentions-Verhaltenslücke. 

Umweltverhalten: Viele Dinge bestimmen unser Handeln

Damit – und wann zum Beispiel Leute ihr Umweltverhalten ändern – beschäftigt sich die relativ junge Disziplin der Umweltpsychologie. 

Gerhard Reese ist Umweltpsychologe und leitet den Studiengang “Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie” an der Universität Koblenz-Landau

“Ein Grund sind natürlich unsere Routinen, die wir uns über viele Jahre der Sozialisation angeeignet haben”, sagt Reese. Er selbst sei in einem Haushalt großgeworden, in dem es zwei Autos gab.” Da war es selbstverständlich, dass man mit 18 Jahren den Führerschein macht.” Solche Gewohnheiten müsse man erst mal durchbrechen.

Außerdem haben Menschen ein Problem damit, etwas aufzugeben, sagt Elke Weber, Professorin für Energie und Umwelt an der Princeton University.

“Untersuchungen haben ergeben, dass die Gefahr, etwas zu verlieren, doppelt so stark empfunden wird als die Vorfreude, etwas zu bekommen.” 

Das heisst: die positiven Auswirkungen, die unser geändertes Verhalten für den Planeten hat, bewegen uns weniger stark als der Verlust unserer persönlichen Freiheiten – Auto fahren, zum Beispiel. 

Ist der Klimawandel noch immer nicht präsent genug?

Dabei gibt es fast täglich schlechte Neuigkeiten von Umwelt und Klima: Wir leben Jahr für Jahr über unsere Verhältnisse, wir Gefährden unsere Ozeane durch Müll und Mikroplastik, klimabedingte Naturkatastrophen nehmen nachweislich zu, das 2-Grad-Ziel, besser noch 1,5 Grad, gilt als letzte Chance, unsere Erde zu retten – was in Klimaverhandlungen wieder und wieder thematisiert wird. Gar nicht zu sprechen von Luftverschmutzung, Abholzung, Artensterben,Monokulturen, Überbevölkerung…

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“Der Klimawandel als Konstrukt hat durchaus ein paar Faktoren, die es uns Menschen schwierig machen, zu handeln”, sagt Umweltpsychologe Gerhard Reese. Einerseits sei er gefühlt für die meisten Menschen sowohl zeitlich als auch örtlich noch sehr weit weg. “Wir werden davon vielleicht erst mal nicht so viel mitbekommen, außer zum Beispiel Dürreperioden oder Hitze in Deutschland.”

Und zum anderen sei das Thema einfach auch sehr abstrakt. Auch Elke Weber sieht dieses Problem. Menschen seien zurückhaltender, wenn ihr Tun nicht sofort einen sichtbaren Effekt hätte. Und beim Umweltschutz würden wahrscheinlich erst kommende Generationen tatsächlich eine Auswirkung spüren, “aber der Aufwand, der heute geleistet werden müsste, ist dagegen etwas sehr Reales”, sagt sie. 

“Nur darüber nachdenken hilft nicht”

All diese Aspekte führen dazu, dass viele Menschen schlichtweg nicht genauer über die Konsequenzen nachdenken. “Und nur darüber nachdenken hilft natürlich auch nicht”, sagt Reese.

Was jedoch helfen könnte, so der Umweltpsychologe, seien politische Entscheidungen. Verbote, die einen Rahmen ermöglichen, in dem “umweltgerechtes Verhalten gefördert anstatt gehemmt wird”. Ein Beispiel: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das dazu geführt hat, dass Bürger in Deutschland in erneuerbare Stromerzeugung investierten.

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Umweltschutz abgucken? Funktioniert!

Doch immerhin, viele Menschen ergreifen laut einer YouGov-Umfrageauch eigene Maßnahmen, um nachhaltiger zu leben: So verzichtet der Großteil der Befragten möglichst auf Plastik, sie versuchen, Dinge erst zu reparieren, anstatt gleich neue zu kaufen und  Energie verantwortungsvoll zu nutzen. 

Reese sieht auch unser Umfeld als wichtigen Orientierungspunkt für das eigene Verhalten. “Wenn zum Beispiel ganz viele meiner Bekannten Vegetarier sind, dann werde ich mich wahrscheinlich nach dem Grund fragen”, sagt Reese, “und es vielleicht auch selbst probieren.”

Die “Big Points” des Alltags

Aber zurück zu meinem Wegwerfbecher. Gerhard Reese bezeichnet Alltagsentscheidungen wie meine als “schöne, aber wichtige Verhaltenskosmetik” – die eben in der Masse zu wichtigen Veränderungen führen können.

Noch wichtiger seien jedoch die sogenannten “Big Points”. Das heißt zum Beispiel: Wohnfläche reduzieren, Alternativen zum Auto nutzen, statt mit dem Flugzeug mit der Bahn in den Urlaub zu fahren.

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Was allerdings meinen Ausrutscher von heute morgen nicht relativiert. 

Denn auch diese “Peanuts” sind wichtig auf dem Weg zu den Big Points, schreibt Michael Bilharz, Nachhaltigkeitsexperte beim Umweltbundesamt in seinem Strategiekonzept “‘Key Points’ nachhaltigen Konsums”. “Die Idee ‘Das Wichtigste zuerst!’ ist kein Argument dafür, den Beitrag von Konsumenten ‘klein zu reden'”, heißt es darin.

Zwar blieben unsere individuellen und alltäglichen Anstrengungen aus globaler Sicht immer klein.  Gleichzeitig sei aber unbestreitbar, “dass sich die mit dem globalen Konsum verbundenen Probleme nur dann reduzieren lassen, wenn sich auch die alltäglichen Konsummuster von uns Menschen in den Industrieländern grundlegend ändern.” 

Im Kollektiv die Welt retten

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Schweden: Schwänzen für den Klimaschutz

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Schweden: Schüler schwänzen für den Klimaschutz

Gerhard Reese sieht die Gemeinschaft in der Pflicht. “Viele sagen, ‘Ich kann als einzelner’ nichts tun. Das ist ein Stück weit richtig”, sagt der Umweltpsychologe. Aber genau das sei es eben auch, was uns Menschen hemme.

“Wir müssen es schaffen, das Gefühl des Individuums auf eine kollektive Ebene bringen”, glaubt er. Heißt: Wir müssen die Herausforderung als Gemeinschaftsaufgabe sehen.

“Und ansonsten”, sagt Reese am Ende unseres Gesprächs, “schaffen Sie sich doch einen wiederverwendbaren Kaffeebecher an.”

Den hab ich schon – nur nie da, wo ich ihn auch brauche. Doch das werde ich ab sofort ändern. 

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  • Die Welt versinkt in Plastik – und was tust du?

    Wie viel Plastik konsumierst du?

    Muss es denn ständig Plastik sein? Nein, denken sich immer mehr Menschen. Die Unternehmen reagieren: McDonald’s und Starbucks haben angekündigt, ihre Plastikstrohhalme bald durch nachhaltigere Modelle auszutauschen. Auch Brotdosen und umweltfreundliche To-go-Becher sind “in”, aber da geht noch mehr! Hier ein paar Tipps.


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    Faul versus nachhaltig

    In den 1970ern wurde To-go-Essen zum Trend. Die Idee verbreitete sich von den USA aus wie ein Lauffeuer. Schnell was zum Mitnehmen holen oder bringen lassen, um gemütlich zuhause auf der Couch zu speisen. Dabei den Plastikmüll konsequent ignorierend. Tipp: Lieber mit Freunden zusammen Essen gehen oder kochen, anstatt Lieferdienste durch die ganze Stadt zu jagen.


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    Polyester, Nylon und Polyacryl

    Mikroplastikteilchen gelangen von unserer Wäsche in die Abwassersysteme und so in den Wasserkreislauf der Stadt. Vor allem Sportkleidung besteht aus Polyester, Nylon und anderen künstlichen Fasern. Aber auch in der Alltagskleidung sind sie zunehmend zu finden. Nachhaltig produzierte Kleidung ist meist etwas teurer. Das wollen sich nur Wenige leisten. Es gibt aber erschwingliche Alternativen.


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    Stop Micro Waste

    Ein Unternehmen aus Berlin hat den “Guppyfriend” entwickelt. Ein Waschbeutel für alles, was künstliche Fasern wie Polyester und Co. enthält. Der Beutel filtert angeblich die kleinen Teilchen aus dem Waschwasser. Er soll die Partikel auffangen. Mit der Hand ließen sich die Überreste entnehmen und im Müll entsorgen, wirbt das Unternehmen.


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    Zähneputzen auf ökologische Art

    Wo wir schon beim Thema Hygiene sind: Zahnärzte raten, dass wir alle drei Monate die Zahnbürste wechseln. Das ist auch richtig so, allerdings sorgt dieser Zyklus auch für eine Menge Plastikmüll. Also beim nächsten Mal nicht zur Plastik-Zahnbürste greifen, sondern eine Holz- bzw. Bambusbürste mit Naturborsten anschaffen. Dann ist Zähneputzen gleich doppelt gut!


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    Klein, aber igitt

    Eine noch kürzere Lebenszeit als Zahnbürsten haben wohl Wattestäbchen. Die landen zuhauf erst auf dem Müll und dann oft auch im Meer. Tipp: Es gibt bereits Wattestäbchen mit Papierstiel. Das ist definitiv die ökologischere Lösung.


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    Es geht noch kleiner

    Shampoo, Make-up, Duschgel, Zahncreme – in vielen dieser Produkte steckt Mikroplastik, aber es gibt ebenso viele Alternativen. Es gilt: Augen auf beim Einkauf. Stoffe wie Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polyamid (PA) und Polyethylenterephtalat (PET) sollten nicht unter den Inhaltsstoffen auftauchen.


  • Die Welt versinkt in Plastik – und was tust du?

    Mikroplastik aus Autoreifen

    Aber genug der Kosmetika. In Deutschland stammt der höchste Anteil Mikroplastik aus dem Abrieb von Autoreifen. Verrückt, oder? Laut der TU Berlin gelangen in Deutschland pro Jahr etwa 120.000 Tonnen Autoreifenabrieb in die Umwelt. Die Stoffe, darunter auch Weichmacher, werden von Pflanzen aufgenommen. Ein Grund mehr, weniger Auto zu fahren.


  • Die Welt versinkt in Plastik – und was tust du?

    Bier schmeckt besser aus Gläsern

    Auch unsere Feierwut trägt ihren Teil zur Umweltverschmutzung bei. Beinahe auf allen Festivals werden nur noch Plastikbecher und -flaschen angeboten. “Rock am Ring” beispielsweise produziert in drei Tagen etwa 500 Tonnen Müll – der größte Teil davon ist Plastik. Aus Gründen der Sicherheit sind Glasflaschen natürlich verboten, doch gibt es reichlich Alternativen zum Einwegbecher.


  • Die Welt versinkt in Plastik – und was tust du?

    Coffee-to-go-Becher

    Wegwerfbecher sind bei Umweltschützern schon fast die Inkarnation des Bösen. Insbesondere nachhaltigere Optionen für Kaffee erobern jetzt Deutschland. Aber nicht jeder nutzt diese Becher, weshalb Umweltschützer weiter kräftig dafür werben – solange, bis in Deutschland nicht mehr 320.000 Becher pro Stunde weggeschmissen werden. EU-weit gehören wir damit zu den größten Müllproduzenten.


  • Die Welt versinkt in Plastik – und was tust du?

    Essbare Wasserkugeln

    Übrigens: Einweg-Plastikflaschen aus PET sind zwar gut recycelbar, eine absolut nachhaltige Lösung sind sie aber trotzdem nicht. Ganz im Gegensatz zu diesen Wasserkugeln. Eine essbare Membran hält das Ganze zusammen. Eine unvorstellbare Menge Plastik ließe sich mit dieser Innovation einsparen, werben die Londoner Erfinder von Ooho. Aber ob sich das wirklich durchsetzen wird?

    Autorin/Autor: Leonard Proske