Superreiche kapern den Kunstmarkt: Warum zu viel Geld die Kunst kaputt macht

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Banksys “Mädchen mit dem Luftballon” war gerade teuer versteigert, da ließ der Künstler es schreddern. Ist das nun eine Kritik am Kunstmarkt oder eine gelungene PR-Aktion? Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen.

Gut vier Monate liegt die spektakuläre Aktion des Streetartkünstlers Banksy zurück. Bei Sotheby’s in London saust an einem Freitag im Oktober der Hammer des Auktionators herab. Banksys Gemälde “Mädchen mit dem Luftballon” wechselt für 1,04 Millionen Pfund den Besitzer, da erklingt ein Piepton. Darauf rutscht das kleine Mädchen durch den Rahmen. Was unten herauskommt, ist in schmale Streifen zerschnitten. Jemand filmt den Vorgang. Über die sozialen Netzwerke verbreitet sich die Nachricht in Windeseile – weltweit.

Hat Banksy, wie ein Bekennervideo auf Instagram nahelegt, den Kunstmarkt kritisiert? Möglich. Sein Gemälde hat einen dieser absurd hohen Preise erzielt. Und auch hat der Künstler sein Werk dem Markt durch Zerstörung wieder entzogen. Doch worin besteht die Anarchie, wenn doch alle Beteiligten von Banksys Aktion profitierten – die Ersteigerin, deren Werk an Wert vermutlich massiv zugelegt hat, das Auktionshaus, das einen Coup landete und schließlich der geheimnisumwitterte Künstler selbst, dessen Bekanntheit noch einmal explosionsartig anstieg?

Versteigerung bei Christie’s in New York

Gespaltene Kunstwelt

Banksys Aktion spaltet die Kunstwelt. Henrik Hanstein, Präsident des Europäischen Versteigererverbandes (EFA) und Chef des Kölner Auktionshauses Lempertz, betrachtet Banksys Aktion als “tolle PR-Aktion für Künstler wie für den Auktionator”. Gleichwohl glaubt er an eine Inszenierung: “Ein Auktionator müsste ein solches Bild vorher ausräumen und fotografieren”, weiß Hanstein, der lange im Geschäft ist. “Und wenn Künstler sich über ihre eigenen Preise mokieren, wie das ja auch Gerhard Richter tut, können sie ja ihre eigenen Bilder billiger verkaufen. Tun sie aber nicht.”

Über einen “peinlichen Marketing-Gag” und ein “abgekartetes Spiel zwischen Künstler und Auktionshaus” empört sich auch Erhard Witzel. Der Kunstsammler betreibt ein Ausstellungshaus im österreichischen Dornbirn und eine Galerie in Wiesbaden. Seit Kurzem ist er Kunsteinkäufer für die Sammlung des Bundeslandes Vorarlberg.

Dietmar Elger hingegen, Leiter des Richter-Archivs in Dresden, hält Banksys Kritik für nachvollziehbar: “Von ihm wird doch alles mögliche von den Wänden gekratzt, nur um es zu Geld zu machen.” Genau wie bei Richter, aus dessen Mülleimer jemand zwei übermalte Fotos kramte. Richter hat sie beschlagnahmen lassen. Über den Verbleib entscheidet ein Gericht.

Henrik Hanstein vom Kunsthaus Lempertz

Eigenmarketing ja, aber “Robin-Hood-Absichten” will Wolfgang Ullrich bei Banksy nicht erkennen. Der Leipziger Kulturwissenschaftler und Publizist ist gefragter Experte, wenn es um die Gepflogenheiten des Kunstmarkts geht, auch im Museum Burda in Baden-Baden, wo das “Mädchen mit dem roten Luftballon” derzeit ausgestellt wird. Der Künstler hat es mittlerweile in “Love is in the Bin” umgetauft.

Niemand sei geschädigt worden, so Ullrich, im Gegenteil: “Eigentlich hat Banksy die Logik des Kunstmarktes bedient.” Seit Jahren setzten die Auktionshäuser mit immer neuen Skandalen Themen – sei es, dass sie von einem Algorithmus erzeugte Bilder versteigerten, einen Ferrari als zeitgenössische Kunst anboten oder ein 500 Jahre altes da-Vinci-Gemälde  in der Kategorie “Post-War and Contemporary Art” unter den Hammer brachten. “Das waren alles große Aufreger – und so muss man auch diese Banksy-Geschichte sehen.”

Dietmar Elger leitet das Gerhard-Richter-Archiv

Globaler Kunstmarkt

“Mein Auto, meine Yacht, mein Leonardo” – dieser Satz wäre typisch für den Sammler eines inzwischen globalisierten Kunstmarktes. Immer mehr Superreiche aus Osteuropa, Asien oder den arabischen Ländern kaufen Kunst. “Es sind sehr viele Leute mit sehr viel Geld unterwegs”, weiß Galerist Witzel.  “Die sehen Kunst als reines Business, die wollen Rendite.”

Das Wirtschaftsmagazin “Forbes” zählt derzeit weltweit gut 2000 Milliardäre. Nicolas Orlowski, Chef des Pariser Auktionshauses Artcurial glaubt, dass sich ihre Zahl in den nächsten fünf Jahren verdoppelt, wie er unlängst dem Berliner “Tagesspiegel” verriet. “Dieselbe Art von Kunst, die vorher ein paar hundert Interessenten fand,” sagt Versteigerungsexperte Hanstein, “stößt jetzt auf ein paar Tausend. Das treibt die Preise hoch.” Eine Jagd auf Trophäen habe eingesetzt.

Wurde 2008 für fast 13 Millionen Euro versteigert: Damien Hirsts “Goldener Bulle”

Mehr Käufer, höhere Preise – bekannte Künstler stilisieren sich zu Luxusmarken. “Jeder will seinen Jeff Koons haben”, weiß Hanstein, “das sind jetzt die globalen Marken des Kunstbetriebs.” Verständlich, dass steinreiche Sammler auf die Ikonen eines etablierten Weltgeschmacks setzen – mit Werken von Andy Warhol, Gerhard Richter, Damien Hirst oder Jeff Koons. Das verspricht einen Statusgewinn und zugleich eine sichere Anlage. Das Online-Portal “Artnet” rechnet vor, dass die Hälfte der weltweiten Auktionsumsätze bei zeitgenössischer Kunst mit nur 25 Künstlern erzielt werden.

Spielplatz der Milliardäre

Doch lohnt die Investition in Kunst? Zwar kann Kunst ästhetische Bedürfnisse stillen und Sammelleidenschaft befriedigen. Doch was ihre Wertsteigerung betrifft, so bleibt Kunst häufig hinter der von Wertpapieren zurück. Zum einen können diese – anders als Kunstwerke – frei gehandelt werden. Kunstverkäufer müssen ihren Gewinn zudem mit Auktionshäusern teilen. Nicht zu vergessen die Kosten für Lagerung und Versicherung. “Anders als im Aktienmarkt hat es der Normalbürger im Kunstmarkt schwer, wirklich Geld zu verdienen”, warnte der Brüsseler Kunsthistoriker und Finanzprofessor Kim Oosterlinck erst kürzlich in einem Interview mit der Wochenzeitung “Die Zeit”.

Teuerstes Werk eines lebenden Künstlers: David Hockneys “Portrait of an Artist”

Und was sagt der erzielte Auktionspreis über den Wert eines Werkes? Nicht viel, glaubt Kulturwissenschaftler Ullrich. “Sie sind eigentlich ein Indikator für die Kaufkraft derer, die hier mitbieten.” Auktionserlöse sind in Datenbanken wie Artnet, Lot-Tissimo, MutualArt oder Artprice recherchierbar. Privat- und Galerieverkäufe werden dagegen kaum erfasst. Erst Mitte November schaffte es David Hockneys Pool-Gemälde “Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)” mit einem Versteigerungserlös von 90,3 Millionen Dollar in die Schlagzeilen – als teuerstes Werk eines lebenden Künstlers. “Die Medien sehen nur den lukrativen Teil des Marktes, das Luxussegment”, kritisiert Ullrich. “Vieles andere fällt hinten runter.”

Tunnelblick der Branche?

In der Tat hat der Fokus auf einige wenige Künstler und Spitzenpreise seine Schattenseiten. Eine sei, so Ullrich, dass junge Künstler erfolgreichen Künstlern nacheiferten, indem sie sie kopierten. Einen Preisverfall bei älterer Kunst, kostbaren Möbeln oder Porzellan beklagt zudem Auktionsexperte Hanstein. Der Branche bescheinigt er einen Tunnelblick: “Wir sehen, was im Mainstream liegt, aber vieles rechts und links davon nicht.”

Der Sammler und Galerist Erhard Witzel

Am spürbarsten aber dürften die Auswirkungen auf die Sammler sein: “Jüngere Menschen werden verschreckt, wenn sie die Preise sehen”, meint Erhard Witzel. Natürlich sei es “nach wie vor schick, Kunst zu kaufen”, ist der Sammler und Galerist überzeugt. Er beschwört die Leidenschaft des Sammelns, die bei ihm “im Herzen und in der Seele” entstehe, und dadurch, dass er sich mit den gekauften Arbeiten intensiv beschäftige. Witzel wünscht sich: “Wir müssen das Bewusstsein schaffen, dass die Kunst das eine ist – und das Geld das andere.”