Sichere Herkunftsstaaten? Homosexuelle im Maghreb

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Der Bundesrat hat ein weiteres Mal die Anerkennung der drei Maghreb-Länder Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten verschoben. In allen drei Ländern werden Schwule und Lesben verfolgt.

Der Gang zur Polizei hatte andere Folgen als erwartet. Anfang Januar dieses Jahres betrat ein junger Mann eine Polizeidienststelle im tunesischen Sfax. Dort stellte er Anzeige gegen zwei Landsleute, die ihn vergewaltigt und ausgeraubt hätten. Im Verlauf der Untersuchung wurde der junge Mann der Homosexualität beschuldigt. Die gilt in Tunesien als Straftatbestand und kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.

Zur Aufklärung wurde der junge Mann dann einer – in Tunesien möglichen – Anal-Untersuchung unterworfen. Anschließend wurde er in Untersuchungshaft genommen. Beim Prozess im Februar wurde er wegen des Straftatbestands der Homosexualität zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt. Weitere sechs Monate erhielt er, weil er nach Auffassung der Richter nicht vergewaltigt worden sei, sondern die sexuellen Handlungen im Gegensatz zu seiner Erklärung im Einvernehmen mit den beiden Beschuldigten begangen habe. Die beiden Beschuldigten erhielten ebenfalls sechsmonatige Haftstrafen wegen Homosexualität, zudem jeweils zwei weitere Monate wegen Diebstahls.

Willkür und Gewalt

Ein Fall wie der seines Landsmannes sei nicht der erste seiner Art, sagt Mounir Baatour, Vorsitzender der tunesischen LGBT-Menschenrechtsorganisation Shams, im Gespräch mit der DW. “Viele Schwule werden erpresst, bestohlen oder erleiden sexuelle Übergriffe, ohne dann aber zur Polizei zu gehen”, so Baatour. “Sie tun das nicht, weil sie Angst haben, ihrerseits verhaftet zu werden.”

Behördliche Willkür und zivile Gewalt gegen Homosexuelle sind nicht nur in Tunesien bekannt. In Ben Aknoun im Speckgürtel von Algier wurde Anfang Februar der junge Medizinstudent Assil Belalta in seinem Zimmer in einem Studentenheim ermordet aufgefunden. Einem Bericht der LGBT-Organisation Alouen zufolge schnitten ihm zwei Unbekannte die Kehle auf und ließen ihn dann verbluten. An die Wände seines Zimmers schrieben sie das Wort “Gay”. “Die staatliche Homophobie greift mehr und mehr um sich”, hieß es auf der Facebook-Seite von Alouen zum gesellschaftlichen Klima, vor dessen Hintergrund das Verbrechen stattfand.

Coming out in Frankreich: Abdellah Taia

Auch aufgrund der Lage von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen spreche sich ihre Partei dagegen aus, die drei Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer anzuerkennen, sagt die Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg, Sprecherin der Grünen für Flüchtlingspolitik. Alle drei Maghreb-Staaten stellten die Ausübung von Homosexualität unter Strafe, bei Männern wie Frauen. “Das ist natürlich ein absoluter Missstand und widerspricht allen menschenrechtlichen Vorgaben. Diese Vorgaben müssen in Deutschland aber Grundlage dafür sein, dass ein Land als sicher eingestuft wird.”

Ein frühes Coming-out: Abdellah Taia

In den Maghreb-Ländern regt sich in kleinen Teilen der Bevölkerung seit geraumer Zeit gesellschaftlicher Widerstand gegen die Homophobie. Als einer der ersten artikulierte zu Beginn des neuen Jahrtausends der schwule Schriftsteller Abdellah Taia das Problem. Nachdem er nach Frankreich emigriert war, outete er sich selbst in dem liberalen marokkanischen Nachrichtenmagazin “Tel Quel”.

Die marokkanische Gesellschaft habe sich der Moderne nur in Teilen geöffnet, sagte Taia damals im Gespräch mit der DW. Im Kern aber sei sie konservativ geblieben. Insbesondere die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind streng geregelt. Ab einem bestimmten Alter werden die Jungen und Mädchen sorgsam voneinander getrennt. Für ihn sei seine Homosexualität “ein zutiefst empfundenes Bedürfnis”, so Taia im Interview. In mehreren Romanen hat er das Thema Homosexualität dann aufgegriffen. Heute sieht er sich nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Vorkämpfer der LGBT-Rechte in Marokko wie im Maghreb allgemein.

“Wir lassen die Zivilgesellschaft allein”

Der Bundesrat wollte eigentlich an diesem Freitag über die umstrittene Einstufung der Maghreb-Länder wie auch Georgiens als sichere Herkunftsländer entscheiden. Auf Antrag des Bundeslandes Thüringen ist das Votum aber verschoben worden. Eine Zustimmung galt ohnehin als unwahrscheinlich. Sie scheiterte bislang an den Grünen, die nicht bereit sind, die Einstufung der genannten Länder als sichere Herkunftsländer mitzutragen.

Vielfalt als Buntheit: Demonstration in Tunis, Oktober 2015

Dies tue ihre Partei auch darum nicht, weil man darauf achten müsse, dass die deutsche Menschenrechtspolitik glaubwürdig bleibe, sagt Luise Amtsberg im DW-Gespräch. Stufe man Länder mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz als sicher ein, erteile man deren Regierungen einen “Persilschein”. “Zugleich lassen wir die Zivilgesellschaft, die ja für Verbesserungen in diesem Bereich kämpft, allein. Dadurch tragen wir im weitesten Sinne dazu bei, dass man Fluchtursachen nicht bekämpft, sondern weiter verschärft.”

Homophober Druck von mehreren Seiten

Die rechtliche und gesellschaftliche Lage der Lesben und Schwulen ändere sich in den Maghreb-Staaten nur langsam, sagt Mounir Baatour von der tunesischen LGBT-Organisation Shams. So habe der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi erst kürzlich erklärt, er sei dagegen, Homosexualität als Straftatbestand abzuschaffen. “Druck gibt es zudem seitens der Islamisten. Sie sind dafür, Homosexuelle ins Gefängnis zu stecken.”

Schwulen und Lesben in den Maghreb-Staaten zu gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen, dürfte ein langer Weg sein, nimmt auch Luise Amtsberg an. “Aber wir können unseren Beitrag dazu leisten, dass die Menschen zumindest nicht hart strafrechtlich verfolgt werden.”

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