Indiens Kanalarbeiter, ein riskanter Job

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Der Beruf ist zwar gesetzlich verboten, aber für ein großes Land wie Indien unentbehrlich. Aus verstopften Röhren entfernen Kanalarbeiter die Exkremente. Nun soll ein Roboter Abhilfe schaffen. Angela Weiß aus Kerala.

Bevor Satheesh in den Kanalschacht hinabsteigt, reibt er seinen Körper mit Fischöl ein. Es sei zwar keine echte Schutzschicht, aber dennoch gut, damit sich Insekten und Parasiten nicht so leicht an der Haut festsetzten. Verwesung, Kot und Urin wehen ihm entgegen. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet steigt er in den Schacht eines Krankenhauses hinab. Er zieht und spürt, wie der Sog des Wassers zunimmt. Wenn es gut läuft, muss er heute nicht tauchen.

“Ich habe schon alles gesehen”

Satheesh ist ein Kanalarbeiter in Indien. Mit beiden Händen reinigt er verstopfte Kanalschächte und Klärgruben, entfernt Exkremente aus Abwasserrohren, die in städtischen Gebieten vorkommen. Diesen Job erledigen laut der Organisation Safai Karmachari Andolan (SKA) mindestens 770.000 Menschen, größtenteils Männer.

Nie wisse er, was einen in der schwarz-braunen Brühe erwarte, sagt der 47-jährige Satheesh der DW. Er habe schon alles gesehen. Schlimm seien neben den Krankenhäusern die Restaurants, sagt der dreifache Familienvater. Öl und scharfe Gewürze, Essensreste, Fisch- und Fleischabfälle wandern allesamt in die Kanalisation. Da treffen sie dann auf Kanalarbeiter wie Satheesh – halb verfault, von Maden und Würmern durchsetzt.

Satheesh bei der Arbeit im Kanal

Kanalarbeiter gesetzlich verboten

Kanalarbeiter darf es in Indien laut einem Gesetz von 2013 eigentlich gar nicht mehr geben. Wer sie anstellt, riskiert eine Haftstrafe. Trotzdem steigen täglich unzählige Arbeiter in die verdreckten Kanäle. In den ländlichen haben die meisten Toiletten keinen Kanalanschluss. Landesweit müssen circa 2,6 Millionen Toiletten von Hand geleert werden.

Das Leben der Kanalarbeiter ist kurz. Selten werden sie älter als 50 Jahre, so eine jüngste Statistik. Sie leiden unter Lähmungen, Gelbsucht, Haut- und Atemwegserkrankungen oder sterben früh an Nierenversagen, Typhus oder Tuberkulose. Der Verdienst ist regional unterschiedlich. Im Norden verdiene man pro Tag vielleicht 200 bis 300 Rupien (2,50 bis 3,50 Euro), der Bundesstaat Kerala in Südindien zahle besser, so Satheesh. “Für sechs Schächte bekomme ich 950 Rupien (12 Euro). Wenn ich nachts arbeite, sogar doppelt so viel.”

Ein Gullideckel in Thiruvananthapuram

Skandal um Drecksarbeit

2017 stand der Kanalarbeiter Satheesh im Fokus einer öffentlichen Diskussion, als er zufällig bei der Arbeit von einem Journalisten der lokalen Tageszeitung Kerala Kaumudi fotografiert wurde, denn ihm stand das Abwasser in einem Schacht bis zu den Lippen (Artikelfoto).

Nach der Veröffentlichung dieses Fotos geriet Keralas Regierung unter Druck, suchte nach einer Erklärung und Lösung des Problems. Die Arbeiter bekamen zunächst Schutzkleidung. “Es war unmöglich, sie zu tragen.Sie behindert einen in dem engen Schacht. Es war darunter unglaublich heiß und die Brille beschlug sofort”, erzählt Satheesh.

Existenzgründer Nikhil NP (l.)

Kanalroboter

Später zogen die Behörden Maschinenbauer zu Rate. “Das Telefon klingelte und man fragte uns, ob wir nicht helfen können, es sei dringend”, erinnert sich der Ingenieur Nikhil NP.  Kurzerhand gründete der 26-Jährige mit drei weiteren Ingenieuren das Start-Up Unternehmen Genrobotics. “Wir haben drei Monate lang recherchiert und uns genau angesehen, wie die Schächte aufgebaut sind und welche Probleme entstehen können”, so Nikhil.

Im Februar 2018 präsentierten sie die erste Version ihres wasserfesten Bandicoot-Roboters, ausgestattet mit ausfahrbaren Greifarmen, Licht, Kameras und einem Display. Die Firmengründer investierten eine halbe Million Euro. Aus dem ehemaligen Kanalarbeiter sollen Maschinenführer werden.

Aus Kanalarbeiter Saheesh ist ein Maschinenführer geworden

Der Roboter selbst wird ständig optimiert. Das Bedienfeld wurde mittlerweile stark vereinfacht und das Gewicht mehr als halbiert. In Kerala befindet sich das Projekt in der Testphase. Auch andere Bundesstaaten haben Interesse gezeigt und Fortbildung für die Kanalarbeiter in die Wege geleitet. Über 100 von ihnen können den Roboter mittlerweile bedienen.