Brustimplantate: “Ich leide immer noch unter Symptomen”

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Tracey Kiss erhielt fehlerhafte Brustimplantate. Bis heute, sagt sie, leide sie unter den Spätfolgen. Nun will Kiss Schadenersatz vom TÜV Rheinland, als eine von rund 5000 Klägerinnen. Am Montag beginnt der Prozess.

“Es bedeutet mir viel, dass ich heute wieder stark bin – und nicht dieses Häuflein Elend, zu dem ich wegen PIP geworden war”, sagt, Tracey Kiss, während sie im Fitnessstudio Gewichte stemmt. Sechs Jahre ist es her, dass ihr Brustimplantat riss, während sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war. “Meine Brust brach zusammen. Ich konnte kaum atmen. Ich fragte mich, was los mit mir war, dass ich nicht einmal mein gerade zur Welt gekommenes Baby halten konnte.”

Bettlägerig sei sie gewesen und habe sich völlig hilflos gefühlt: “Ich kam mir vor wie eine Rentnerin – und das, obwohl ich in diesem Moment hätte stark und selbstbewusst sein sollen”, erinnert sich die Hobby-Bodybuilderin.

Als ihr die Implantate schließlich entnommen und durch sicherere ersetzt worden waren, verließ ihr Verlobter sie. Er habe ihre Schwäche nicht mehr ertragen können. Das habe sie umso mehr deprimiert.

“Mein Kampfgeist hat mir geholfen”

“Damals verabscheute ich mich selbst, weil ich meinen Zustand durch eine Operation verursacht hatte, die überhaupt nicht nötig war”, erzählt Kiss. “Ich hätte mit meinen natürlich entstellten Brüsten leben sollen und lernen, mich selbst zu lieben. Stattdessen habe ich mich versteckt.” Mehrere Monate habe sie gebraucht, bis sie aufhören konnte, darüber zu weinen, über ihre Trauer und Qualen hinwegzukommen. Sechs Jahre ist das her.

Neue Kraft: Tracy Kiss beim Training

Heute fühlt sie sich erheblich besser. “Mein Kampfgeist”, sagt Kiss, hat mir damals geholfen, die schwierigste Zeit meines Lebens zu überstehen.” Und so schloss sie sich einem der Gerichtsverfahren gegen den TÜV Rheinland an. Eine erste Entschädigung hat sie bereits erhalten, aber die Haftungsfrage ist noch nicht abschließend geklärt.

Weltweit bis zu 400.000 Frauen betroffen

Das deutsche Prüfunternehmen hatte die Brustimplantate, die das französische Unternehmen Poly Implants Prothèse (PIP) vor 2011 auf den Markt brachte, 1997 zertifiziert und für unbedenklich erklärt. Dann aber stellte sich heraus, dass PIP über Jahre ein für medizinische Zwecke verbotenes Silikon-Gel für die Kissen verwendet hatte. PIP selbst ging kurz nach Bekanntwerden des Skandals im Jahr 2010 in Konkurs.

Drei Verfahren hat es bereits gegeben. In ihnen ging es um Schadensersatzansprüche von mehr als 20.000 Frauen, von denen viele immer noch unter gesundheitlichen Problemen leiden. Vermutet wird, dass weltweit bis zu 400.000 Frauen die Implantate von PIP eingesetzt wurden.

Bisher hatten die Richter eine Haftung des TÜV Rheinland abgelehnt. Doch im Oktober hob Frankreichs Oberstes Gericht dieses Urteil auf. In dem nun anlaufenden vierten Verfahren lassen sich bislang etwa 5000 Opfer vertreten, sagt ihr Anwalt Olivier Aumaitre. Der TÜV Rheinland müsse zahlen, ist Aumaitre überzeugt. Für ihn liegt es auf der Hand, dass er die Verantwortung trage. “Die Repräsentanten des TÜV sollten an den Verhandlungstisch kommen, um ihr Image wiederherzustellen”, sagte er.

Einsatz von Brust-Implantaten: Bis zu 400.000 Frauen könnten gefährlichen Implantate von PIP erhalten haben

TÜV Rheinland sieht sich als Betrugsopfer

Der TÜV Rheinland allerdings erklärt, er sei selbst ein Opfer des Betrugs: “PIP hatte ein perfektes System der Täuschung auf Grundlage gefälschter Dokumente errichtet”, sagt die Anwältin des Unternehmens, Cecile Derycke. Zudem hätte das Unternehmen Mitarbeiter in seinen Reihen gehabt, die “sehr gut im Lügen” gewesen seien: “Es war unmöglich zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. Der Betrug wurde nur dank einer Kündigung aufgedeckt.”

Zudem sei es nicht Aufgabe des TÜV Rheinland gewesen, die realen Produkte zu überprüfen. “Mein Mandant musste lediglich bestätigen, dass das Unternehmen in der Lage war, die beschriebenen Brustimplantate herzustellen und dass das Design den Standardvorschriften entsprach”, so Derycke.

Dazu habe man vor Ort Dokumente geprüft, die Prozesse studiert und Interviews geführt. Die Produkte selbst zu überprüfen sei nicht die Aufgabe gewesen und hätte auch den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprochen. Auch einen Anlass habe es nicht gegeben, da keinerlei Verdacht oder Hinweise auf betrügerische Aktivitäten bei PIP vorgelegen hätten.

“Eine undichte, ekelhafte Masse”

Kiss hofft dennoch, dass die französischen Gerichte den TÜV Rheinland als Hauptverantwortlichen sehen. Das wäre ein bedeutender Teil ihres Heilungsprozesses: “Es ist für uns wichtig zu wissen, dass die Prüfung tatsächlich ernst genommen wird, dass es eine rechtliche Unterstützung dafür gibt”, so Kiss im Gespräch mit der DW.

Tracy Kiss: “Ich leide immer noch unter Spätfolgen der Implantate”

Ihre ehemaligen Brustimplantate hat sie noch zu Hause: Sie seien ihr Ansporn weiter zu kämpfen. “Diese undichte, ekelhafte Masse ist in mich eingedrungen”, sagt sie, während sie das Implantat über das Waschbecken hält. “Das sind giftige Industrie-Chemikalien. Ich trug damals mein Baby in mir. Nach der Geburt habe ich es gestillt.”

Neue Hoffnung

Kiss leide immer noch unter unerklärlichen Symptomen, sagt sie: “Meine Sehkraft hat sich verschlechtert. Ich habe Verdauungsprobleme und manchmal das Gefühl, zu ersticken.”

Aber sie ist auch stärker geworden. “Man muss den Tiefpunkt erreichen, um sein Bestes zu geben. Denn wenn man jeden Tag gleich erlebt, wird man nie etwas zu schätzen wissen. Jetzt habe ich eine zweite Chance im Leben und bin vielleicht glücklicher als je zuvor. Die kleinsten Dinge bedeuten mir jetzt sehr viel.”

Kiss hat wieder gelernt, sich selbst zu lieben. Und eine neue Liebe gefunden. Sie und ihr Freund freuen sich auf das endgültige Urteil – auch wenn es bis dahin noch Jahre dauern könnte.