Ostkirchen-Experte zum Kirchen-Streit zwischen Ukraine und Russland: “Ziemlich dramatisch”

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Nun bekommt der Ukraine-Konflikt auch eine religiöse Dimension: Am Samstag soll in Kiew eine eigenständige orthodoxe Nationalkirche begründet werden – gegen den Willen des Moskauer Patriarchats.

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bekommt nun auch eine religiöse Dimension. Beide Länder sind traditionell orthodox. Und die Ukraine ist seit langem der religiösen Führung in Moskau untergeordnet. Doch seit Monaten gibt es einen politisch aufgeladenen Streit – der sich nun zuspitzt.

Die Kirche in der Ukraine grenzt sich von der russisch-orthodoxen Kirche, dem Patriarchat in Moskau, ab.

An diesem Samstag soll in Kiew eine eigene orthodoxe Nationalkirche errichtet werden. Als Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Christen will ihr der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, die Eigenständigkeit verleihen.

Die Kirchenleitung in Moskau hat bereits alle Kontakte zum Ökumenischen Patriarchat abgebrochen.

Dieser Konflikt birgt viel Sprengkraft. Als Kirchenhistoriker und Ostkirchen-Experte kann Rudolf Prokschi den Streit einordnen. 

DW: Herr Professor Prokschi, wie dramatisch ist der Konflikt in der Orthodoxie?

Rudolf Prokschi: Rein von den Fakten her ist das ziemlich dramatisch. Die russisch-orthodoxe Kirche hat alle Beziehungen zum Ökumenischen Patriarchat abgebrochen. Das Problem, dass die Ukraine den Status einer autokephalen – also eigenständigen – Kirche  bekommen möchte, gibt es seit über hundert Jahren. Und jetzt orientiert sich die Ukraine politisch verstärkt nach Westen.

Professor Rudolf Prokschi (65) ist Kirchenhistoriker und Ostkirchen-Experte

Für viele Russen ist das unmöglich, denn sie sagen: Wir gehören zusammen: die Großrussen, die Kleinrussen – das ist die Ukraine – und die Weißrussen. Für sie ist klar: Wir gehören zusammen, und wir gehören auch kirchlich zusammen.

Wie sehr ist der Streit politisch aufgeladen?

Er ist sehr politisch aufgeladen. Es geht ja nicht um Glaubensfragen. Es geht einzig und allein um Organisation und Macht. Bislang war die ukrainische Kirche, die eine sehr starke Orthodoxie ist und durchaus das Zeug zur Eigenständigkeit hätte, offiziell an Moskau angebunden. Aber sie ist schon jetzt gespalten: Neben der Anbindung an das Moskauer Patriarchat gibt es in der Ukraine bereits Kirchen, die sich vom Moskauer Patriarchat abgesetzt haben.

Diese Spaltungen sind aber von der Gesamt-Orthodoxie bislang nicht anerkannt worden. Der ukrainische Präsident Poroschenko hat schon mehrere Vorstöße beim Ökumenischen Patriarchat unternommen, damit der Zustand der Orthodoxie in seinem Land geändert wird. Bislang war er immer damit gescheitert.

Warum ist das jetzt anders?

Seit längerem gibt es große Spannungen zwischen dem Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel und dem Moskauer Patriarchat. Das zeigte sich, als die Russen überraschend 2016 nicht am ersten gesamtorthodoxen Konzil der Neuzeit auf Kreta teilnahmen.

Zugleich ist klar, dass sich nach der Annektierung der Krim die politische Gemengelage verschärft hat. Und mir scheint da durchaus, dass das Ökumenische Patriarchat auch ein wenig unter Druck aus den USA steht, wo viele seiner Gläubigen leben.

Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios ist das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie. Nun befindet er sich in einem Machtkampf mit Moskau.

Wie gefährlich ist es, dass sich die Kirchen in Mittel- und Osteuropa so nationalkirchlich verstehen?

Bei den Ostkirchen ist das nationalkirchliche Prinzip viel stärker als bei den Westkirchen vorherrschend. Man spürt das nun wieder deutlich. Leider ist das kein gutes Vorzeichen für eine baldige friedliche Lösung des Problems.

Hat es in Russland seit Ende des Zarenreichs jemals eine solche Nähe zwischen dem Patriarchat – sprich der Kirchenleitung – und dem Kreml gegeben wie heute?

Sicher nicht. Auch Stalin hat zeitweise versucht, die Kirche zu instrumentalisieren. Aber das, was jetzt bei Präsident Putin passiert, ist beeindruckend. Dieses Tempo, wie schnell sich die Politiker wandelten.

Putin war KGB-Agent – er hat danach sehr rasch das orthodoxe Kreuzzeichen und das Anzünden der Kerzen gelernt …

Nun sind zu hohen Festtagen die Politiker immer wieder medienwirksam in den Kirchen präsent. Putin ist für viele Russen “der Verteidiger unserer Traditionen, unserer Interessen”. Und für viele ist er auch zum „Verteidiger des Glaubens” geworden. Mit der Betonung traditioneller Werte begründet Putin eben auch die Abgrenzung vom Westen.

Seit Wladimir Putin Präsident ist, sucht der frühere KGB-Agent demonstrativ die Nähe zur Kirche

Was würde ein Schisma, also eine Kirchenspaltung, bedeuten?

Es würde vieles, was sich im ökumenischen Gespräch gut eingespielt hat, ganz schwierig machen. Die Russen haben ja bereits ihre Teilnahme an allem aufgekündigt, bei dem ein Vertreter des Ökumenischen Patriarchats den Vorsitz innehat. Und das ist bei vielen interkonfessionellen Gesprächen und Veranstaltungen der Fall.

Wenn die russische Orthodoxie bei wichtigen ökumenischen Gesprächen nicht mehr dabei ist, ist es nicht mehr ein Gespräch zum Beispiel der katholischen Kirche mit der Orthodoxie, sondern nur mit bestimmten orthodoxen Landeskirchen. Diese Blockade würde den gesamten ökumenischen Dialog um Jahrzehnte zurückwerfen.

Da wäre es wichtig, dass sich die katholische und die evangelische Kirche möglichst neutral verhalten und immer wieder Plattformen schaffen, an denen beide Seiten teilnehmen können.