Kommentar: Brexit? EU geht auch ohne Briten

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Selbst nach dem EU-Gipfel will die britische Premierministerin immer noch weiter über den Brexit verhandeln. Dabei ist jedem in Brüssel klar, dass jetzt wichtigere Themen angegangen werden müssen, meint Bernd Riegert.

Let’s move on: EU ohne Großbritannien ist nicht schön, aber machbar

Genervt vom Brexit-Theater hat die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite die Frustration vieler Europäer auf den Punkt gebracht: Die Briten sollten auf den Weihnachtsmann vertrauen, wenn sie glaubten, die EU müsse alle ihre Wünsche zum Ausstieg aus dem Klub erfüllen. Selbst der normalerweise wild um sich küssende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat kurz die Maske der Harmonie fallen lassen. Nebulös und unpräzise seien die Positionen der Briten zu dem von ihnen selbst gewünschten Ausstieg, ätzte Juncker beim jüngsten Gipfeltreffen in Brüssel.

Die Botschaft an die arg gebeutelte Regierungschefin Theresa May und das bockige Unterhaus in London lautet: Nehmt den Brexit-Vertrag, so wie er in zwei Jahren mühevoll ausgehandelt wurde, an – oder lasst es bleiben. Es ist jetzt wirklich an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Der Brexit überschattet schon viel zu lange das gesamte Geschehen innerhalb der Europäischen Union.

Den Briten sind nur ein Problem von vielen

Die hat wahrlich auch noch andere Probleme: Sie braucht eine gemeinsame Migrationspolitik. Der gemeinsame Binnenmarkt, der an vielen Stellen noch nicht vollendet ist, aber den Kern des wirtschaftlichen Erfolges in der EU bildet, muss weiter ausgebaut werden. Verteidigungs- und Sicherheitspolitik müssen auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Die Handelsbeziehungen mit anderen Weltregionen müssen neu geordnet werden. Die Euro-Währungsunion muss besser gegen kommende Finanzkrisen gewappnet werden. Die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den reichen und ärmeren Mitgliedsstaaten muss vorangetrieben werden, um den sozialen Sorgen der EU-Bürger entgegen zu kommen. Alles zusammengenommen ist notwendig, um das Anwachsen populistischer und in weiten Teilen EU-feindlicher Bewegungen und Parteien aufzuhalten oder zumindest abzuschwächen.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Der Auftrag der EU ist es, für Frieden und soziale Wohlfahrt zu sorgen. Der Auftrag lautet nicht, den Briten einen möglichst weichen Ausstieg aus dem Klub zu ermöglichen. Das Vereinigte Königreich ist nicht das Zentrum Europas und schon gar nicht der Nabel der Welt. Das mögen viele Briten anders sehen. Sie hängen einer überkommenen, nationalistischen Illusion an. Wenn das britische Unterhaus den von der EU großzügig gestalteten Austrittsvertrag tatsächlich ablehnt, es kein weiteres Referendum gibt und der harte Brexit am 29. März 2019 stattfindet, dann wird die EU die Folgen besser verkraften können als das Vereinigte Königreich.

Die EU muss sich um ihre Mitglieder sorgen, nicht um die Ex-Mitglieder

Wir sind am Punkt angelangt, an dem klar wird, dass der beispiellose Ausstieg aus der EU einen Preis hat. Und der ist für Großbritannien und Nordirland höher als für die übrigen 27 Mitgliedsstaaten. Das gibt inzwischen selbst die Regierung in London zu. Statt sich mit theoretischen Rückfallpositionen für Nordirland zu beschäftigen, die in drei oder vier Jahren des Übergangs doch von keiner Seite je genutzt werden sollen, wäre es sinnvoller, wenn sich die EU um die Mitgliedsstaaten Polen, Ungarn, Rumänien oder Italien sorgen würde. Bei den ersten dreien hapert es an den rechtsstaatlichen Grundlagen. In Italien dräut nach wie vor eine Finanzkrise, angezettelt von einer unberechenbaren populistischen Regierung in Rom. Das sind die wirklich entscheidenden Themen des nächsten Jahres.

Selbst wenn es im März zu einem Brexit ohne Übergangsregelung käme, ginge davon die Welt nicht unter. Für Flug- und Reiseverkehr, Lieferketten und Finanzgeschäfte würde die EU kurzfristige Abkommen mit den britischen Behörden schließen. Nicht ideal, aber machbar.

Selbst nach dem Austritt der Briten wäre die Sache ja nicht erledigt. So oder so müssen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen folgen. Die können Jahre dauern und werden die Nerven der beteiligten Staats- und Regierungschefs noch gehörig strapazieren. Es gibt nur einen Unterschied: Das Vereinigte Königreich als Drittstaat außerhalb der EU wird in einer ungleich schwächeren Verhandlungsposition als heute sein. Hoffentlich ist das Theresa May und den wackeren Brexiteers klar.