Kaplan: “Kein Preis ersetzt seine Freiheit”

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Der in Russland inhaftierte ukrainische Filmemacher Oleg Senzow erhält den Sarcharow-Preis für Menschenrechte und Meinungsfreiheit des EU-Parlaments. Ein Gespräch mit seiner Cousine Natalia Kaplan über den Preisträger.

Oleg Senzow bekommt den Sacharow-Preis für Menschenrechte und Meinungsfreiheit, eine der höchsten Auszeichnungen, die Europa zu vergeben hat. Der ukrainische Filmemacher kämpft seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 um die Wahrheit. 2014 wurde er verhaftet und sitzt seitdem in einem sibirischen Straflager. Der 41-Jährige wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Nachdem er sich im Mai in einen Hungerstreik begab, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide. Der Preis erinnert aber auch daran, dass neben Senzow fast 70 weitere Ukrainer aus politischen Gründen in russischen Gefängnissen verschwunden sind. 

DW: Am Sonntag hat Oleg Senzows Anwalt erklärt, Oleg leide unter organischen Veränderungen in Herz, Leber und Nieren. Frau Kaplan, können Sie uns etwas über den Gesundheitszustand Ihres Cousins sagen?

Natalia Kaplan: Das Problem ist, dass keine unabhängigen Ärzte zu Oleg gelassen werden. Alles, was wir wissen, berichtet Oleg selbst. Und er weiß das dementsprechend nur von den Gefängnis-Ärzten. Man muss sagen, dass ein 145-tägiger Hungerstreik nicht ohne Folgen bleibt. Als man Oleg zwangsernähren wollte, war klar, dass es um ihn sehr schlecht steht. Er beendete den Hungerstreik mit großen gesundheitlichen Schäden. Niemand weiß, ob er sich davon erholen kann. Er hat unter anderem Herzrhythmusstörungen  bekommen – und das sind nur die Folgen, die das Herz betreffen.

Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu ihm?

Wir haben nur über den Anwalt Kontakt. Ich gebe ihm immer Briefe mit, wenn er ihn besucht. Wenn ich zurückfahre nach Kiew, werde ich ihm einen Brief schreiben und ihm von der Preisverleihung erzählen.

Wie ist sein Zustand sonst zu beschreiben?

Sein psychischer Zustand hat sich in den viereinhalb Jahren Haft gar nicht verändert, so seltsam sich das anhört. Er ist derselbe Oleg geblieben, den wir kennen. Nichts kann ihn brechen. Er arbeitet hart daran. Er beschwert sich nicht. Wenn sich Oleg beklagen würde, würde das nicht bedeuten, dass es ihm schlecht geht, sondern dass es ihm katastrophal geht. Weil Oleg nicht der Typ ist, der jammert.

Er wird jetzt vom Krankenhaus zurück ins Gefängnis gebracht. Denken Sie, er ist dafür fit genug?

Ehrlich gesagt, denke ich nicht, dass es einen großen Unterschied macht, ob er im Krankenhaus oder im Gefängnis ist. Beide Orte sind gleich schlecht.

Was hat er jetzt vor? Will er seinen Hungerstreik fortführen?

Ich weiß nicht, was seine Pläne sind. Ich weiß nicht, ob er sich wieder in Hungerstreik begeben wird, ich hoffe nicht. Es ist furchtbar. Ich mache mir Sorgen um ihn. Bis jetzt hat er noch nichts von seinen Absichten bekanntgegeben.

Würde die Verleihung des Sacharow-Preises etwas ändern?

Zweifellos. Bestimmt werden sein Fall und die Fälle anderer ukrainischer politischer Gefangener dadurch mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ich hoffe, die Politik sieht Oleg dann nicht mehr nur als einen von vielen politischen Gefangenen in Russland, sondern auch als einen Menschen. Hoffentlich kommt er dann frei – und nicht nur er, sondern alle.

Denken Sie, es gibt eine Hoffnung, dass Ihr Cousin bald freikommt?

Ich versuche zu tun, was ich kann. Ich denke aber, dass die Ära Putin nicht weitere 15 Jahre anhalten wird. Genug ist genug. Irgendwann muss es ein Ende geben. Sanktionen und andere internationale Schritte würden einen schnelleren Abgang fördern.

Wie geht es Ihnen bei der Preisverleihung? Ihr Cousin erhält den Sacharow-Preis, kann ihn aber nicht entgegennehmen.

Ich wäre viel glücklicher, wenn Oleg nicht einmal nominiert wäre für den Preis. Kein Preis der Welt ersetzt seine Freiheit. Lieber wäre mir, er wäre frei, könnte mit seiner Familie zusammen sein und seine Filme machen. Gleichzeitig bin ich sehr dankbar dafür, denn es ist ein Schritt zu seiner Freilassung. Es geht nicht nur um Oleg, es geht um alle Ukrainer, die politische Gefangene in Russland sind.

Das Interview führte Max Hofmann.