Afrika testet das bedingungslose Grundeinkommen

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Das bedingungslose Grundeinkommen soll es Menschen ermöglichen, ohne weitere Einkünfte zu überleben. In ländlichen Gebieten Afrikas sollen dafür 20 US-Dollar im Monat reichen. In sechs Ländern läuft der Test.

627 Millionen Menschen leben weltweit in Armut, 431 Millionen davon kommen allein aus Afrika. Mehr als ein Drittel der afrikanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, die nach Weltbank-Definition bei 1,90 US-Dollar am Tag liegt. Lösungsansätze sind die Verteilung von Hilfsgütern, Bildungsprojekte und die Verbesserung von Infrastruktur. Ein konkurrierender Ansatz ist weltweit in vielen Ländern im Gespräch: Das bedingungslose Grundeinkommen. In Finnland läuft ein Modellversuch mit 2000 Teilnehmern – die Schweizer stimmten 2016 in einem Volksentscheid mit großer Mehrheit gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Derzeit wird das Konzept auch in sechs afrikanischen Ländern erprobt.

Die Vision des bedingungslosen Grundeinkommens verspricht jedem Bürger genug Geld, um seine Existenz zu sichern. Dabei ist es egal, ob man arbeitet und was man mit dem Geld macht. Das Grundeinkommen soll jedem Bürger ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ein Hauptgrund für die steigende Bekanntheit des Konzepts sei “die anhaltende Debatte über die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und die Übernahme von Jobs durch Maschinen”, sagt Luke Martinelli, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Bath in Westengland. “Das Grundeinkommen würde die Menschen absichern und es ihnen erlauben, Risiken einzugehen und selbstständige oder befristete Jobs anzunehmen.” Soweit die Theorie. Doch kann das funktionieren?

20.000 Probanden in Kenia

Seit Anfang 2018 führt die gemeinnützige US-Organisation GiveDirectly ein Experiment durch, um die Effizienz genau dieser Idee zu testen. “In Afrika sind wir in Kenia, Ruanda und Uganda aktiv, haben jetzt damit begonnen, Zahlungen in Liberia durchzuführen und bauen uns gerade in der Demokratischen Republik Kongo und Malawi auf”, sagt Joe Huston, Finanzchef von GiveDirectly. Insgesamt bekommen 100.000 Haushalte das bedingungslose Grundeinkommen. 60 Millionen US-Dollar jährlich werden dabei alleine für die vier ersten Länder benötigt.  Im Oktober 2016 startete in einem Dorf im Bondo-Distrikt von Kenia ein zweijähriges Pilotprojekt. Seit Januar 2018 erhalten 20.000 Erwachsene aus knapp 300 Dörfern in den Regionen Siaya und Bomet die Zuschüsse, erzählt Huston.

Die Organisation testet drei verschiedene Modelle der Auszahlung. Die Auswirkungen des Grundeinkommens auf die Empfänger werden durch den Vergleich mit einer Testgruppe, die kein Geld bekommt, ermittelt. Eine Gruppe erhält zwölf Jahre lang ein Grundeinkommen von etwa 20 US-Dollar pro Monat, die über ein Mobile-Money-Verfahren aufs Handy überwiesen werden und in bar abgehoben werden können. Eine zweite Gruppe erhält monatlich dieselbe Summe für insgesamt zwei Jahre, und die dritte Gruppe erhält eine einmalige Auszahlung von 500 US-Dollar, die in der Summe etwa dem Einkommen der zweiten Gruppe entspricht.

Bei solchen Mobile-Money-Dienstleistern können die Empfänger ihr Grundeinkommen in bar abheben

Ein Drittel der Menschen in den Regionen Siaya und Bomet leben unter der kenianischen Armutsgrenze, die von der Regierung auf ein monatliches Pro-Kopf-Einkommen von 15 US-Dollar für Landbewohner und 28 US-Dollar für Stadtbewohner festgelegt worden ist. “Sie haben kein Geld über, das sie sparen oder in Düngemittel, Maschinen oder Bildung investieren können”, sagt Martinelli. Der Wirtschaftswissenschaftler glaubt nicht, dass die Empfänger vom bedingungslosen Grundeinkommen abhängig werden, sondern “in ihr Leben und in die Zukunft investieren und danach in einer besseren Lage sein werden”.

Gewächshäuser, Spar-Gruppen und Schulgebühren

“Es ist spannend, durch ein Dorf in Kenia zu laufen, in dem jeder das Geld bekommt”, erzählt Huston. “Die Leute haben tausende Wege gefunden, es anzulegen.” Eine Familie habe ein Gewächshaus für ihren Bauernhof gebaut. Andere Familien hätten sich zusammengetan, um für das Wochenende einen Nachhilfelehrer für ihre Kinder zu bezahlen. Einige würden gemeinsam sparen: Jedes Gemeindemitglied zahle in eine Kasse ein, aus der monatlich eine Person Geld für eine größere Investition bekomme, zum Beispiel den Kauf von Nutztieren, die Bezahlung von Schulgebühren oder Verbesserungen des Eigenheims.

Spar-Gruppen sind eine von vielen Möglichkeiten, das Geld anzulegen

Auch in Sozialstaaten wie Großbritannien, in denen nicht alle Menschen mit ihrer Arbeit genug verdienen, könne das bedingungslose Grundeinkommen die Lage verbessern, sagt Martinelli. Dass es künftig flächendeckend implementiert werden könnte, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler aber nicht: “Aus der politischen und finanziellen Perspektive bin ich skeptisch. Die Umsetzung des Konzepts kostet viel Geld, das man auch anders nutzen kann.” Die Regierung Kanadas hat im August ein Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen gestoppt, da es “zu teuer und untragbar” sei.

Kosten-Nutzen-Rechnung

GiveDirectly finanziert das Projekt in Afrika über Spenden von Privatpersonen und Organisationen wie der Open Society Foundation. “Es ist viel Geld, das wir aufbringen müssen” gesteht Finanzchef Huston, “und dann stellt sich die Frage, ob es das wert ist.” Huston argumentiert mit den Kosten der Entwicklungshilfe: Laut der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wurden dafür 2017 weltweit fast 150 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Die Spenden für wohltätige Zwecke erreichten 2018 allein in den Vereinigten Staaten mehr als 400 Milliarden US-Dollar. Verglichen mit diesen Summen wäre es vergleichsweise günstig, flächendeckend Zuschüsse zu zahlen, so dass kein Mensch auf der Welt unter der nationalen Armutsgrenze leben müsste: laut Huston bräuchte es dafür 80 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

“Was würdest du machen, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?”, fragt diese 8000-Quadratmeter-Installation in Genf

Generell müssten beim bedingungslosen Grundeinkommen die Kosten und Nutzen gegeneinander aufgewogen werden, findet Huston.  Die Nutzung des Geldes für schädliche Zwecke, beispielsweise für den Kauf von Alkohol, sehen weder Huston noch Martinelli als kritisch an, “doch das Argument, dass arme Menschen nicht selber entscheiden dürfen, wie sie ihr Geld ausgeben wollen, ist gefährlich”, so Martinelli. Er befürchtet eher, dass das zusätzliche Geld Menschen dazu verleiten könnte, keiner Arbeit mehr nachzugehen.

Zahlen über den tatsächlichen Effekt des Grundeinkommens in Kenia gibt es bisher nicht. Ein Pilotprojekt in Namibia brachte jedoch von 2007 bis 2009 vielversprechende Ergebnisse: Nach Angaben der Basic Income Grant Coalition seien im Testgebiet durch das bedingungslose Grundeinkommen 90 Prozent mehr Kinder zur Schule gegangen, die Kinder-Unterernährung sei von 42 Prozent im November 2007 auf 10 Prozent im November 2008 gesunken. Ob das Konzept in Kenia genauso gut funktioniert, soll sich 2019 zeigen, wenn erstmals Daten erhoben werden.